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Islamfeindlichkeit in Deutschland
Bedroht, beleidigt und bespuckt

Anfeindungen, Beleidigungen, körperliche Attacken: 1.075 Übergriffe auf Muslime und islamische Einrichtungen wurden 2017 in Deutschland registriert. Dagegen setzt sich das neue Netzwerk Claim ein. Die Initiatoren der Allianz fordern eine "eine Empörung aller" gegen Diskriminierung von Muslimen.

Von Manfred Götzke | 27.06.2018
    Zwei Muslima mit Kopftuch und Kinderwagen, Kreuzberg, Berlin, aufgenommen am 28.02.2017. Two Muslim with Headscarf and Pram Kreuzberg Berlin Date at 28 02 2017
    Muslime in Deutschland beklagen, sie seien immer mehr Hass und Hetze ausgesetzt. Eine neue Allianz aus 35 Organisationen will dagegenhalten. (imago stock&people)
    "Also das meiste ist am Bahnhof, wo ganz viele Menschen verkehren, und da war das so, dass ein Mann gesagt hat, scheiß Kopftuch und plötzlich war eine Bierflasche auf meinem Kopf – das war nicht lustig. "
    Farah Bouamar streicht sich über ihren grünen Hidschab, während sie von der Flaschenattacke erzählt. Nur einer von vielen Angriffen, Übergriffen, Beleidigungen, die sie fast täglich erlebt, weil sie sich offen als Muslimin zu erkennen gibt.
    "Das ist kaum zu fassen, wenn man diese Lebenswirklichkeit nicht lebt. Also seien es Beleidigungen, dass man angespuckt wird, oder Dinge, die etwas mit dem Bewusstsein machen, nach dem Motto, okay, jetzt ist irgendwo im Ruhrgebiet ein Fußballspiel, nehme ich da den Zug oder nicht. Oder wenn ich abends mit dem Zug fahre, das Kopftuch oder lieber 'ne Mütze drauf, dass man eben nicht erkannt wird."
    Die 26-jährige Philosophie-Studentin lacht immer wieder, während sie davon erzählt, was Islamfeindlichkeit für sie und Zehntausende muslimische Frauen in Deutschland bedeutet. Denn was sie wirklich nicht sein will ist – das traurige Opfer sein.
    "Manchmal muss man auch abwägen, wenn ich wütend bin, wenn ich meiner Wut Ausdruck verleihe, wie kommt das dann bei den anderen rüber, die eh schon bestimmte Stereotype haben? Aha, die wütende Kopftuchträgerin – und das muss man mit berücksichtigen. Auch wenn man über eine rote Ampel gehen möchte - wenn ich es eilig habe, nein ich bleibe stehen, weil es heißt dann, ah ja der Pöbel läuft über ne rote Ampel. War ja klar!"
    Gegen Vorurteile und Rassismus per Youtube
    Boaumar hat mit anderen Aktivisten das Youtube-Portal Datteltäter gegründet – wo sie mit witzigen Videos auf antimuslimische Stereotype aufmerksam macht, von Diskriminierungen, Anfeindungen erzählt und einfach aufklärt.
    "Ich bin ein großer Freund von Brückenbau, von Sensibilisierung in unterschiedliche Richtung, sowohl in der muslimischen Community als auch in der nichtmuslimischen Community alle an die Hand zu nehmen und zu sagen, okay, das Thema ist wichtig und gehört zu unser aller Alltag und wir müssen was dagegen tun für ein gesundes Miteinander."
    "Es braucht eine Empörung aller"
    1.075 Übergriffe auf Muslime und islamische Einrichtungen wurden 2017 erfasst – erstmals als eigener Straftatbestand. Die Dunkelziffer schätzen Experten auf das Acht- bis Zwölffache. Anders als bei antisemitischen Straftaten und Übergriffen, hält sich die Empörung allerdings in Grenzen, wenn Moscheen brennen oder Musliminnen der Hidschab vom Kopf gerissen wird, erzählt Eva Andrades. Sie arbeitet beim Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin, das Teil der neuen Allianz gegen Islamfeindlichkeit Claim ist.
    "Das muss sich ändern – einmal als Solidarisierung. Denn antimuslimische Ressentiments bedrohen unsere Gesellschaft und es braucht eine Empörung aller!"
    Die Juristin Andrades berät in ihrer täglichen Arbeit beim Berliner Antidiskriminierungsnetzwerk Musliminnen, die immer wieder ausgegrenzt und benachteiligt werden – vor allem im Job und bei der Wohnungssuche. Empowerment nennt sie ihre Arbeit.
    "Wir arbeiten parteilich, wir unterstützen Betroffene in der Wahrnehmung ihrer Rechte. Betroffene machen noch allzu oft die Erfahrung, dass Diskriminierung nicht ernst genommen, bagatellisiert wird. Und es braucht Räume, in denen sie darüber sprechen können, ernst genommen werden, in dem sie über ihre Rechte informiert werden und wir unterstützen sie dabei, handlungsfähig auch gegenüber Diskriminierung zu sein."
    Islamfeindlichkeit wird von der Gesllschaft toleriert
    Offene Islamfeindlichkeit ist in Deutschland seit ein paar Jahren in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie ist die am stärksten tolerierte Form von Rassismus in Deutschland, quasi Mainstream, sagt Andrades. Das neue Netzwerk Claim will vor allem auf dieses gesellschaftliche Problem aufmerksam machen. Unter anderem mit dem Tag gegen antimuslimischen Rassismus am 1. Juli.
    "Alltagsrassismus ist nichts Neues in Deutschland, was wir erleben ist, dass es offener geschieht und legitimer erscheint, sich rassistisch zu äußern. Und das sind klar die Folgen von antimuslimischen hetzerischen Debatten, die dazu führen, dass Muslime auch entmenschlicht werden, sich davon distanziert und Menschen den Eindruck haben, man darf das machen - und das ist so die Veränderung, die man in den letzten Jahren deutlich spüren kann."