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Islamfeindlichkeit in Russland

Der Alltag der Muslime in Russland gestaltet sich zunehmend schwieriger, seit sich vor einem Jahr zwei Selbstmordattentäterinnen in der Moskauer Metro in die Luft sprengten. In St. Petersburg bemüht sich ein Islamisches Kulturzentrum um den Dialog mit der Gesellschaft.

Von Gesine Dornblüth |
    Eine Wohnung in St. Petersburg. Neonlicht, Teppichboden, ein Bild von Mekka. Es ist Samstagabend. Ein Dutzend Frauen beten. In der Wohnung befindet sich das Islamzentrum "Istochnik", "Quelle". Die Frauen lernen hier jeden Sonnabend Arabisch und tauschen sich aus. Muslime stoßen in Russland oft auf Vorurteile, sagt die Studentin Lia Agschigitova. Besonders trifft es Frauen, die auch in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen.
    "Besonders schlimm war das nach den Attentaten in der Moskauer Metro. Da spürte ich schiefe Blicke von allen Seiten."
    Auch Kamalia Koraljova wird oft komisch angesehen. Sie besitzt ein Handtaschengeschäft und ist erst vor wenigen Jahren zum Islam konvertiert:

    "Ich kann den Leuten gar nicht übel nehmen, dass sie aggressiv auf mein Kopftuch reagieren. Sie wissen es einfach nicht besser. Ich erinnere mich, wie ich vor neun Jahren in der Metro fuhr und mir eine Muslimin mit schwarzem Kopftuch gegenübersaß. Ich habe ihr in die Augen geguckt und angestrengt überlegt, ob sie wohl unter Drogen steht und sich jetzt gleich in die Luft sprengt. Ich hatte einfach keine Ahnung."
    So geht es offenbar vielen Russen. Sie setzten Islam mit Extremismus gleich, beklagen muslimische Organisationen. Dabei zählten Fremdenfeindlichkeit und Chauvinismus zu den größten Bedrohungen im heutigen Russland, sagte der Vorsitzende des Mufti-Rates in Russland anlässlich eines Treffens muslimischer Organisationen in Moskau in der vergangenen Woche. Und das renommierte Moskauer Levada-Institut fand in einer Umfrage im Februar heraus, dass sich die Angst der Russen vor Islamisten und Anhängern des fundamentalen Islam in den vergangenen anderthalb Jahren fast verdoppelt hat. Aische Bulgakova ist Geschäftsführerin in einem Cafe. Auch sie glaubt, dass die meisten Russen einfach zu wenig über den Islam wissen:
    "Ich versuche, möglichst viel bei den Gästen zu sein. Natürlich mit Kopftuch. Ich lächele, begrüße die Leute, rede mit ihnen. Einige Muslime verstecken sich jetzt, bleiben zu Hause. Ich finde das falsch. Wir müssen offen sein. Dann werden die Leute ihre Einstellung ändern."
    In St. Petersburg hat die Regierung ein Programm ins Leben gerufen, mit dem sie für Verständigung zwischen den Ethnien und Religionen wirbt. Aber das Programm der Regierung habe fast nichts gebracht, kritisiert Zejnab Nesterova, eine der Leiterinnen des Islamzentrums in St. Petersburg:

    "Das Toleranzprogramm ist nichts als heiße Luft. Vielleicht hat es etwas in den Schulen bewirkt. Aber bei den Erwachsenen, bei der Masse der Bevölkerung hat sich nichts getan."
    Zejnab Nesterova organisiert Kulturveranstaltungen wie zum Beispiel Vorträge über türkische Architektur. Sie will die Öffentlichkeit über den Islam aufklären. Aber genauso wichtig findet sie es, nach innen zu wirken und die muslimischen Jugendlichen einzubinden, damit die nicht unter den Einfluss von Extremisten geraten:

    "Zu uns kommen viele Jugendliche, Kinder von Migranten, die sich nach Religion sehnen. Wir versuchen, ihnen den richtigen Islam beizubringen. Wir helfen den zugereisten Muslimen, sich zu integrieren. Zum Beispiel mit Russischkursen. Eigentlich müsste die Stadtverwaltung uns deshalb auf Händen tragen. Aber sie ignoriert uns. Ich glaube, die haben gar kein Interesse an einem Dialog mit dem Islam."