Mantes-la-Jolie, 60 Kilometer westlich von Paris: Neben einer romanischen Kirche aus dem 13. Jahrhundert liegt der städtische Friedhof. Er wirkt kahl und steinig. Wie in Frankreich üblich, wachsen hier kaum Büsche und Bäume. Deshalb ist schon von weitem sichtbar, dass die Gräber akkurat in Reih und Glied angeordnet sind.
Abdelaziz El Jaouhari geht einen schnurgeraden Kiesweg entlang. Der 43-jährige hat vor vier Jahren den Muslimrat des Departements Yvelines gegründet, um die Interessen der Muslime auf örtlicher Ebene zu vertreten. Kurz vor der Friedhofsmauer stößt er auf eine Reihe mit Grabfeldern, die scheinbar schräg angelegt sind. Die meisten Grabsteine dort sind mit dem muslimischen Halbmond verziert, manche tragen arabische Schriftzeichen. Zwischendrin sind aber auch Kreuze zu sehen. Hier sind Muslime und Christen nebeneinander bestattet.
"Die muslimischen Gräber müssen gen Osten ausgerichtet sein, Richtung Mekka, das ist der einzige Unterschied. Mehr verlangen wir nicht. Wir wollen auch keine Abgrenzung von anderen Gräbern". Aber schon die Orientierung gen Mekka werde den Muslimen in Frankreich nur selten ermöglicht, sagt El Jahouari.
"Unsere muslimischen Einrichtungen sind Woche für Woche mit diesem Problem konfrontiert: Ein Muslim stirbt und seine Familie findet keinen Ort, wo sie ihn den islamischen Vorschriften entsprechend bestatten kann. Für die Familien ist das ein wahrer Leidensweg. Wenn der Tote nicht von einer fremden Kommune akzeptiert wird, die muslimische Grabfelder eingerichtet hat, bleibt nur ein Ausweg: Er muss in sein Ursprungsland überführt werden. Das zerreißt vielen Angehörigen das Herz, außerdem ist es sehr teuer."
Und für Franzosen, die zum Islam konvertiert sind, unmöglich, fügt El Jaouhari hinzu. Er selbst werde oft von Familien angesprochen, die ratlos und verzweifelt seien. Um die Bedürfnisse exakt zu ermitteln, hat der örtliche Muslimrat alle Friedhöfe im Departement Yvelines westlich von Paris untersucht. Das Ergebnis: 262 Kommunen - aber nur 23 Friedhöfe mit muslimischen Grabfeldern. Viel zu wenig bei rund 140.000 Muslimen, die in dieser Gegend leben. Im übrigen Frankreich, wo es noch keine Erhebungen gab, dürfte es kaum besser aussehen.
Interkonfessionell, laizistisch, neutral
Abdelaziz El Jaouhari macht den Verantwortlichen keinen Vorwurf. Schließlich sei der Wunsch nach muslimischen Grabfeldern erst in den letzten Jahren so stark gewachsen, als Folge der Einwanderergeschichte: Gerade im Seine-Tal bei Mantes-La-Jolie florierte nach dem Krieg die Auto- und Stahlindustrie. In den Wirtschaftswunderjahren holten die großen Firmen zigtausende Arbeitskräfte aus Nord- und Westafrika, El Jaouharis Vater gehörte dazu. 1976 wurde der Familiennachzug erlaubt. Viele Muslime siedelten sich daraufhin fest in Frankreich an.
"Nach und nach haben wir unsere Bedürfnisse angemeldet: Zuerst brauchten wir Gebetsräume. Hier in Mantes-La-Jolie hat die Generation unserer Väter 1980 die erste richtige Moschee des Landes eingeweiht, ein würdiges Gebäude mit Minarett. Und heute wollen die meisten Muslime zuhause bestattet werden – das ist wohl der beste Beweis für ihre Integration."
Laut Gesetz sind Friedhöfe in Frankreich interkonfessionelle, laizistische und neutrale Orte. Kreuz, Davidstern, der Halbmond und andere religiöse Symbole sind nur auf den Grabsteinen erlaubt. Die einzelnen Abteilungen des Friedhofs dürfen auf gar keinen Fall religiös gekennzeichnet werden. So steht es in einem Gesetz, das schon 1881, also gut zwei Jahrzehnte vor dem Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat, erlassen wurde. Es sagt aber nichts über die Ausrichtung der Grabfelder.
Der gesetzlich vorgeschriebene Laizismus ist selbst für die Verantwortlichen in der Praxis oft reichlich kompliziert. Zudem wird das Konzept auch regelmäßig politisch vereinnahmt. Um Klarheit zu schaffen, hat der Staat eine "Beobachtungsstelle für Laizismus" geschaffen. Diese Behörde gibt einen praktischen Leitfaden heraus. Im Kapitel "Friedhöfe" erinnert sie die Bürgermeister an ihre Pflicht zur Neutralität. Weiter heißt es darin: "Trotzdem ist es möglich, die Gräber einer Glaubensgemeinschaft zusammen zu legen und eine konfessionelle Abteilung einzurichten, sofern diese nicht als solche gekennzeichnet wird." Das Innenministerium hat diese Option später ausdrücklich bestätigt. Die Bürgermeister können den Muslimen also entgegen kommen – oder auch nicht.
"Die Bedürfnisse sind da und sollten ernst genommen werden"
El Jaouhari leitet eine Moschee in der Nachbarstadt Mantes-La-Ville. Zufällig grenzt das Gebäude unmittelbar an den Friedhof. Aber dort ist kein einziges Grab gen Mekka ausgerichtet. Der Grund: Die 20.000 Einwohner-Stadt wird seit 2014 von Cyril Nauth regiert, Mitglied des rechtsextremen Rassemblement National. Der Bürgermeister und Regionalrat hat zahlreiche Prozesse geführt, um den Bau der Moschee zu verhindern. Er hat sie alle verloren. Dem Deutschlandfunk wollte er kein Interview geben, um seine Haltung zu erklären. Für seinen Gegenspieler steht fest:
"Dieser Bürgermeister lehnt muslimische Grabfelder grundsätzlich ab, im Namen des Laizismus. Für mich handelt er aus purer Ideologie. Zum Glück reagieren die meisten Bürgermeister anders. Wir müssen ihnen unser Anliegen nur erklären, sie dafür sensibilisieren. Die Bedürfnisse sind da – sie sollten ernst genommen und begleitet werden."
Abdelaziz El Jaouhari will handeln, bevor der Mangel an muslimischen Grabfeldern so große Ausmaße annimmt, dass er ernsthafte Spannungen hervorruft und zum Politikum wird. Michel Vialey, ehemaliger Bürgermeister von Mantes-La-Jolie und jetzt Parlamentsabgeordneter der konservativen Partei Les Républicains, sieht es genauso. Der Politiker findet es selbstverständlich, die Erwartungen der großen muslimischen Bevölkerung in seiner Stadt zu berücksichtigen.
"Noch vor etwa zehn Jahren hatten wir kein einziges Gräberfeld, das aus der Reihe fiel. Als die Anfragen der Muslime zunahmen und wir den Friedhof ohnehin vergrößern mussten, haben wir beschlossen, einen noch unbenutzten Teil des Friedhofs so einzurichten, dass er ihren Wünschen entsprach. Wir halten uns natürlich voll und ganz an die französischen Gesetze. Daher bestatten wir auch keinen Toten direkt in der Erde, was in Frankreich verboten ist."
Aber diese herkömmliche Art der islamischen Bestattung ohne Sarg verlangt der Muslimrat auch nicht. Für El Jaouhari ist nur eins wichtig: Die Lebenden sollen wissen, dass ihre Toten willkommen sind – selbst, wenn sie in nach Mekka ausgerichteten Gräbern beerdigt werden sollen.
Provokationen verhindern
Frankreichs Städte und Gemeinden sind verpflichtet, allen Verstorbenen, die bei ihnen wohnhaft waren, ein Grab zu überlassen. Um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hat El Jaouhari einen Brief an alle Bürgermeister des Departements aufgesetzt. Sie sollen ihn zu Allerheiligen, also am 1. November, erhalten.