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Islamische Theologie
"Islam im Singular – das kann nur schief gehen"

Der Islamwissenschaftler Rainer Brunner kritisiert die Geburtsfehler des Fachs. Dazu zählt er einerseits die Rolle der muslimischen Beiräte und der Verbände, andererseits den gesellschaftlichen Erwartungsdruck. Könnten evangelische und katholische Fakultäten als Vorbild dienen?

Rainer Brunner im Gespräch mit Susanne Fritz |
    Der Islamwissenschaftler Rainer Brunner
    Der Islamwissenschaftler Rainer Brunner (Deutschlandfunk/ Rainer Brunner, privat)
    Susanne Fritz: Zu den vier bestehenden Zentren soll jetzt noch ein fünftes hinzukommen. Auch das Land Berlin will seit Jahren an den Berliner Hochschulen das Fach "Islamische Studien" einrichten. Jetzt hat der Senat nach langen Diskussionen zugesichert, ein solches Fach zu finanzieren. Die Berliner Universitäten sind allerdings wenig begeistert. Viele Fragen seien noch ungeklärt. Im Studio in Freiburg ist jetzt der Islamwissenschaftler Rainer Brunner vom "Centre national de la recherche scientifique" zugeschaltet. Guten Morgen.
    Rainer Brunner: Guten Morgen.
    Fritz: Herr Brunner, die neue islamische Theologie in Deutschland ist als Pendant zur katholischen und evangelischen Theologie gedacht. Kann man die christliche Theologie mit dem Fach "islamische Studien" überhaupt vergleichen?
    Brunner: Wahrscheinlich ziemlich wenig. Zum einen sind die christlichen Fakultäten an den deutschen Universitäten viel umfassender ausgestattet, zum anderen liegt es an der grundsätzlich anderen inneren Verfasstheit des Islams. Sie haben, das ist mittlerweile eine Binsenwahrheit, das zu sagen – sie haben nicht eine Struktur, die der der christlichen Kirchen auch nur annähernd vergleichbar wäre.
    Fritz: Was ist mit Ansprechpartnern im Islam? Kann man das vergleichen mit den christlichen Kirchen?
    Brunner: Naja, als Ansprechpartner werden in diesen Fällen, dass man in den bestehenden Zentren vor allem in Münster schon gesehen, in Berlin ist es jetzt auch das Problem – als Ansprechpartner nimmt man dann sogenannte Beiräte. Die Beiräte setzen sich wiederum zusammen aus den Dachverbänden der muslimischen Gemeinden. Und da fängt das Problem schon an. Inwieweit kann man diese Dachverbände überhaupt als Religionsgemeinschaften bezeichnen. Der Kirchenrechtler Martin Heckel hat vor etlichen Jahren schon festgestellt, das sind keine Religionsgemeinschaften. Vereinzelt werden sie jetzt von Landesregierungen als solche anerkannt, aber die Struktur ist doch eine relativ prekäre und problematische.
    Fritz: Inwiefern ist der Beirat dann für das Fach "Islamische Studien" problematisch oder kann problematisch sein?
    Brunner: Den Beiräten für die islamischen Studien kommen letzten Endes dieselben Befugnisse zu, wie den christlichen Kirchen bei den christlichen Theologien. Das heißt, sie haben, wenn es hart auf hart geht, ein Einspruchsrecht, ob ein bestimmter Professor berufen werden darf oder nicht, wenn irgendwelche angeblich fundierten Zweifel an seiner religiösen Haltung bestehen. Man hat gerade in Münster jetzt gesehen, dass das sehr lange gehen kann. Da hat sich der Beirat über Jahr hinweg schlicht und einfach nicht konstituiert. Deswegen konnte dann auch ein bestimmter Professor nicht berufen werden und mit Zeitverträgen abgespeist werden. Jetzt hat sich der Beirat konstituiert, aber man sollte nicht davon ausgehen, dass damit die Probleme aus der Welt geschafft sind.
    Fritz: Die muslimischen Verbände sind häufig sehr konservativ ausgerichtet – beanspruchen für sich die Deutungshoheit über den rechten und einzig akzeptablen Religionsunterricht. Sind das auch Probleme, die das Fach "Islamische Studien" haben kann dann?
    Brunner: Das ist eines der Hauptprobleme, die dieses Fach haben kann, haben wird und zum Teil ja auch schon hat. Es geht um die Frage der Deutungshoheit und da natürlich auch um einen, ich würde sagen, Geburtsfehler dieses Fachs. Über viele Jahr, Jahrzehnte hinweg haben Islamwissenschaftler, Historiker, Sozialwissenschaftler – im Übrigen auch Journalisten und Feuilletonisten immer wieder geduldig darauf hingewiesen, dass es so etwas wie den Islam nicht gebe. Das, was zwischen Marokko und Indonesien stattfindet, hat zwar natürlich irgendwo eine gemeinsame Basis, sonst würde es ja keinen inneren Zusammenhalt geben, aber es ist doch von vielerlei lokalen Ausformungen gekennzeichnet. Jetzt seit einigen Jahren in Deutschland wird hier ein Fach installiert mit dem Namen "Islamische Theologie". Der Islam also, was mittlerweile jetzt zu dem beliebten Gesellschaftsspiel führt, die Frage zu beantworten, ob der Islam zu Deutschland gehöre – alles im Singular. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Und man sieht es ja auch schon, in welcher – sagen wir mal – Zerrissenheit manche Angehörige dieser islamischen Theologie sind. Sie müssen auf der einen Seite den Verbänden Recht machen, stehen andererseits unter enormen politischen Erwartungsdruck und sollen dann auch noch sozial wirken. Das kann auf die Dauer nicht funktionieren.
    Fritz: Das sind die hohen Erwartungen, von denen wir schon gesprochen haben. Sie haben gerade darauf hingewiesen – es gibt "den" Islam nicht. Im Islam gibt es unterschiedliche Konfessionen und Strömungen, regionale Ausprägungen. Würde es da nicht Sinn machen, ein Zentrum für "Islamische Studien" nach einer bestimmten islamischen Konfession auszurichten, so wie das in der christlichen Theologie auch der Fall ist?
    Brunner: Das wäre zumindest konsequent, würde aber wahrscheinlich auch den vielfältigen Erscheinungsformen des Islams mittlerweile auch in Deutschland nicht gerecht werden. Sie könnten natürlich ein Zentrum für sunnitischen Islam einrichten, hätten dann aber schon wieder das Problem, dass es ja auch da ziemlich viele Varianten gibt – angefangen von einem sufisch angehauchten bis hin zur Wahabia, von den traditionellen islamischen Rechtsschulen mal ganz abgesehen. Das heißt, man kommt von Hundertsten ins Tausendste. Und das alles mit einer Personaldecke, die alles in allem doch ziemlich dünn ist.
    Fritz: Wie wissenschaftlich ist das Fach "Islamische Studien" eigentlich? Wird da wirklich um theologische Positionen miteinander gestritten?
    Brunner: An der Wissenschaftlichkeit einzelner Fachvertreter besteht, finde ich, kein Zweifel. Wenn ich mir – um einige wenige Beispiele zu nennen – ich möchte da nicht ungerecht sein, aber wenn ich mir Leute angucke wie Reza Hajatpour in Erlangen und Nürnberg oder Omar Hamdan in Tübingen. Das sind alles Leute mit einer fundierten islamwissenschaftlichen westlichen Ausbildung, die wissen, worum es geht. Die haben das nötige Werkzeug in der Hand, sich über islamische Kulturgeschichte, Geistesgeschichte zu äußern. Also an der Wissenschaftlichkeit einzelner Fachvertreter mag ich nicht zweifeln. Ich habe meine gewissen Zweifel, aber die erstrecken sich nicht nur auf die islamische Theologie, sondern auf Theologie ganz allgemein, inwieweit ein Fach wissenschaftlich sein kann, dass sein Tun ausdrücklich unter Glaubensvorbehalt stellt.
    Fritz: Da würde ich jetzt nicht näher drauf eingehen – das führt uns, glaube ich, zu sehr weg von den "Islamischen Studien". Ich würde nun gerne wissen, was sind denn die großen Themen, über die in der islamischen Theologie in Deutschland diskutiert wird?
    Brunner: Also – soweit ich das von außen beurteilen kann, ist das große Thema, an dem viele, viele kleine Einzelthemen hängen, natürlich eine historisch-kritische Lesart des Korans zu ermöglichen. Das ist etwas, was in der islamischen Welt selber – mittlerweile muss man sagen – ziemlich hintan steht. Da war die gesellschaftliche und soziale Situation schon mal eine bessere. Viele kritische Geister können sich tatsächlich nur noch im Westen frei äußern. Und ich glaube tatsächlich, an diesem großen Thema, wie man eine für heilig erachtete Schrift, die dazu noch als unmittelbares Gottes Wort gedeutet wird, irgendwie mit der Moderne kompatibel machen kann. Das ist, glaube ich, das große Thema, an dem sich die islamische Theologie abarbeitet – und nicht nur die Theologie, muss man natürlich sagen.