Benedikt Schulz: In der Stadt Birmingham in England hat vor einigen Monaten ein anonymer Brief einen handfesten Schulskandal ausgelöst. Der Brief beschrieb, wie muslimische Fundamentalisten planen, die Schulen der Stadt zu unterwandern, die Schulgremien zu besetzen, also Stück für Stück die Bildungseinrichtungen zu islamisieren. Das Schreiben war eine Fälschung, aber Journalisten haben dennoch angefangen zu recherchieren. Und sie haben Beweise gefunden dafür, dass an mehr als einem Dutzend Schulen der Stadt tatsächlich Fundamentalisten inzwischen den Ton angegeben haben. An einigen Einrichtungen, so heißt es, habe es eine Kultur der Angst und Einschüchterung gegeben. Die britische Regierung hat einen Terrorismusexperten beauftragt, die Vorgänge zu untersuchen. Und das Ergebnis liegt seit gestern vor. Es ist ein Skandal, der Fragen aufwirft. Auch danach, ob so etwas auch bei uns möglich sein kann. Fragen, die ich Jörg Ballnus stelle, er arbeitet am Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück, ist selbst Lehrer für islamischen Religionsunterricht und hat auch an Lehrplänen für dieses Fach in Niedersachsen mit gearbeitet. Herr Ballnus, ich grüße Sie!
Jörg Ballnus: Guten Tag, Herr Schulz!
Schulz: Ist denn so eine Entwicklung wie in Birmingham, ist so etwas in Deutschland überhaupt grundsätzlich denkbar?
Ballnus: Grundsätzlich ist so etwas auch in Deutschland möglich. Es gab beispielsweise Anfang des Jahres in Hamburg ja Berichte auch in der Presse über religiös gefärbte Konfliktlagen an Hamburger Schulen. Grundsätzlich könnte so was auch passieren, wenn nicht alle Beteiligten gemeinsam nach Lösungen suchen. Und das scheint eben gerade im Fall Birmingham nicht geschehen zu sein.
Schulz: Es ist nun auch in deutschen Schulen der Fall, dass dort Normen und Traditionen aufeinander prallen. Ich nenne jetzt mal das Beispiel, der gemeinsame Sport, der gemeinsame Schwimmunterricht. Wie kann man solchem gegenseitigen Unverständnis begegnen?
Ballnus: Wir finden natürlich immer wieder Berichte über sozusagen Extremlagen beispielsweise bei Anträgen auf Befreiung vom Sportunterricht oder vom Schwimmunterricht. In der Praxis sind das allerdings immer nur Einzelfälle, und eben auch nicht nur sozusagen bei Muslimen zu finden, sondern eben auch Angehörige anderer Religionen haben sozusagen damit durchaus auch ihre Probleme. In der Regel sind aber sozusagen Anträge auf Befreiung vom Schwimmunterricht oder wie auch immer sehr, sehr gering.
"Kein katechetisches Angebot"
Schulz: Nun ist es aber so, dass Sie Experte für islamischen Religionsunterricht sind. Ist es denn so, dass dieser Unterricht für islamische Religionslehre, dass der in der Lage ist oder dass der helfen kann, diesem Unverständnis zu begegnen?
Ballnus: Auf jeden Fall, das ist eine Aufgabe. Der islamische Religionsunterricht ist ja kein katechetisches Angebot an die Schülerinnen und Schüler, sondern er macht Angebote. Er macht Angebote an die Schülerinnen und Schüler, die muslimischen Schülerinnen und Schüler, sich dann selbst zu entscheiden, wie sozusagen religiöse Normen befolgt werden, wie religiöses Leben ausgestaltet wird. Und er macht darüber hinaus Angebote wie religiöse Vorgaben und das Leben in unserer Gesellschaft gemeinsam miteinander in Verbindung gebracht werden können. Und das passiert bereits in Niedersachsen erfolgreich. Wir haben seit einigen Jahren den islamischen Religionsunterricht in der Grundschule und bilden eben auch bei uns am Institut für Islamische Theologie die künftigen Akteure dieses Faches eben aus.
Schulz: Dann noch die Nachfrage: Besteht dennoch nicht die Gefahr, dass fundamentalistische Muslime versuchen könnten, auf eben diese Inhalte des islamischen Religionsunterrichts Einfluss zu nehmen?
Ballnus: Die Gefahr besteht eigentlich nicht, weil gemäß den Vorgaben des Grundgesetzes ist der islamische Religionsunterricht eine res mixtae, also eine gemeinsame Sache zwischen Staat und muslimischer Religionsgemeinschaft. Und hier stehen sozusagen beide Seiten in einem intensiven Austausch, sodass eben jetzt fundamentalistische oder islamistische, um dieses Wort zu verwenden, Perspektiven hier überhaupt keinen Eingang haben könnten sozusagen in diesen Prozess. Bei einem sich in Deutschland entwickelnden organisierten Islam, das heißt, dem Islam der Verbände, finden wir eben, dass hier beide Seiten einen sehr intensiven Dialog pflegen, und um vielleicht auch noch mal auf die Fälle in Birmingham zurückzukommen: Hier scheint es eben auch so zu sein, dass beide Seiten nicht genug miteinander gesprochen haben. Es scheinen zumindest auch die Untersuchungsberichte zum Schluss zu kommen, dass eben hier auch aufseiten der Schulverwaltung in Birmingham eben auch Versäumnisse dazu geführt haben können, dass eben sozusagen diese Situation entstanden ist.
"Bekenntnisorientierter Religionsunterricht beugt Radikalisierung vor"
Schulz: Jetzt ist es so, dass auch der islamische Religionsunterricht in Deutschland trotzdem nicht überall befürwortet wird - Sie kennen das sicherlich. Kritiker fordern, ein bekenntnisorientierter Unterricht habe in der Schule gar nichts zu suchen. Warum plädieren Sie dennoch dafür?
Ballnus: Ja, ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht, welcher Konfession auch immer - um aber hier am Beispiel des islamischen Religionsunterrichts zu bleiben - hat wesentliche Elemente, um eben Radikalisierung und diesen Dingen vorzubeugen.
Schulz: Sagt Jörg Ballnus. Er arbeitet am Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Ballnus: Ich danke Ihnen auch!
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