Die Messerattacke während des Solinger Stadtfestes 2024 und die Lkw-Amokfahrt auf dem Berliner Breitscheidplatz acht Jahre zuvor sind nur zwei Beispiele für den blutigen Terror des IS in Deutschland. Tatsächlich hat der sogenannte „Islamische Staat“ hierzulande zahlreiche weitere Taten für sich beansprucht. Doch wie organisiert die Terrormiliz das aus der Ferne? Wie funktioniert der IS in Deutschland?
Von wo plant der IS Anschläge in Deutschland und Europa?
Nicht zuletzt vom Standort Afghanistan.
Ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gibt Einblicke in ein Netzwerk mutmaßlicher IS-Terroristen, das von Syrien über die Türkei bis nach Europa reichen soll. Den sieben Angeklagten – fünf Tadschiken, ein Kirgise und ein Turkmene – wird vorgeworfen, nach Deutschland gekommen zu sein, um hier eine Terrorzelle des IS zu gründen. Außerdem sollen sie Geld für andere IS-Terroristen gesammelt haben, die in kurdischen Lagern inhaftiert sind.
Dass die Männer allesamt aus Zentralasien kommen, ist kein Zufall: Dort rekrutiert der IS-Ableger ISPK neue Unterstützerinnen und Unterstützer. Das Kürzel steht für „Islamischer Staat Provinz Khorasan“. Warum aber Afghanistan? Der ISPK operiert von Afghanistan aus und beansprucht die historische Region Khorasan für sich, die sich über mehrere zentralasiatische Staaten erstreckt. Nach Angaben der internationalen gemeinnützigen Organisation Counter Extremism Project gilt der ISPK als eine Art Vorzeigeprojekt der IS-Zentrale in Syrien und im Irak.
Die meisten IS-Gruppen seien aus dem Netzwerk Al-Kaida heraus entstanden, sagt Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project. Der ISPK sei dagegen eine Gründung der IS-Zentrale in Syrien. Von dort erhalte die Gruppe auch ihr Geld – im Gegensatz zu anderen IS-Ablegern, die sich selbst finanzieren müssten, so Schindler.
Weil der IS in Afghanistan keine großen Gebiete unter Kontrolle hält, könne dieser sich darauf konzentrieren, Anschläge im Ausland zu planen, erklärt der Experte.
Seit 2023 richtet sich der ISPK mit seinen Propagandaorganen konkret gegen Europa, ruft dazu auf, beispielsweise Einkaufszentren, Konzerte, Sportstadien anzugreifen – auch in Deutschland.
Lars Rückheim, Bundeskriminalamt
Auf welchen Wegen reisen IS-Angehörige nach Deutschland ein?
Zumindest im Fall der sieben Angeklagten im Düsseldorfer Prozess fällt eine Sache auf: Alle lebten eine Zeitlang in der Ukraine. Nach dem russischen Angriff im Februar 2022 gelangten sie – als Flüchtlinge getarnt – über Polen nach Deutschland. Hier wurden die Männer sowohl vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch von lokalen Behörden befragt.
„Wir haben im Schengenraum grundsätzlich die Möglichkeit, dass Personen ohne Kontrollen reisen können. Das wird natürlich auch von Sympathisanten und Mitgliedern des ISPK entsprechend genutzt“, sagt Lars Rückheim, Leiter der Zentralstelle islamistisch motivierter Terrorismus/Extremismus beim Bundeskriminalamt (BKA)
Den Ermittlern waren die Angeklagten auch deshalb aufgefallen, weil sie gefälschte ukrainische Pässe mit sich trugen – wohl auch, um sich ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu sichern.
Nach Erkenntnissen europäischer Sicherheitsbehörden halten sich weiterhin Islamisten in der Ukraine auf. „Das ist ein Vorbereitungsplatz für die, wenn sie tatsächlich militärisch aktiv werden wollen“, sagt ein IS-Aussteiger, der hier Nidal heißen soll. In der Ukraine sei es leicht, an starke Waffen zu gelangen, ergänzt er. „Das ist ein sehr, sehr cooler Spielplatz für die.“
Wie finanziert sich der IS von Deutschland aus?
Hauptsächlich durch das Einsammeln von Spenden, aber auch durch Diebstahl.
Um an Geld zu kommen, sollen die Angeklagten unter anderem Notebooks gestohlen haben, die sie mutmaßlich an Bekannte weiterverkauften. Zudem reisten die sie mit dem Zug durch Deutschland, um Spenden bei Freunden zu sammeln. Die Bundesanwaltschaft ist sich sicher, dass auf diese Weise mehrere tausend Euro zusammengekommen sind. Die Gelder seien an Verantwortliche des IS im Ausland transferiert worden – über Finanzdienstleister wie Western Union.
Auch Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project betont, dass IS-Unterstützerinnen und -Unterstützer Spenden für Gleichgesinnte in kurdischer Lagerhaft in Nord-Syrien insbesondere im deutschsprachigen Raum sammeln. Das zeigt auch ein anderer Gerichtsprozess – ebenfalls vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Die fünf Angeklagten – drei Frauen und zwei Männer aus unterschiedlichen Ländern – sollen rund 250.000 Euro eingesammelt haben.
Mindestens einer der Angeklagten hatte offenbar Kontakt zu Elif Ö. aus München. 2015 sorgte ihr Fall für Schlagzeilen, weil sie als 16-jährige Schülerin mutmaßlich nach Syrien gereist war, um sich dem IS anzuschließen. Über den Telegram-Kanal „Unsere Schwester“ soll Elif Ö. allein 40.000 Euro eingeworben haben.
Wie nutzt der Islamische Staat Medien für seine Zwecke?
In der dieser Frage muss unterschieden werden zwischen Medien, die selbst IS-Propaganda verbreiten und andererseits Mediendiensten, die IS-Unterstützer als Propaganda-Tools benutzen.
„Voice of Khurasan“
Ein wichtiges Propagandainstrument des afghanischen IS-Ablegers ISPK ist die englischsprachige Online-Zeitschrift „Voice of Khurasan“, die monatlich erscheint. Regelmäßig werden darin IS-Anschläge verherrlicht. Der ISPK nutzt sein Magazin aber auch dazu, um seine Unterstützer zu Anschlägen aufzurufen. Unter einer blutroten Grafik forderte die „Voice of Khurasan“ z.B. dazu auf, dem Beispiel des Anschlags von Solingen zu folgen.
Messengerdienste wie Telegram
IS-Mitglieder tauschen sich nicht zuletzt über den Messengerdienst Telegram aus. Das taten auch die sieben Angeklagten, die in Düsseldorf vor Gericht stehen. So soll einer der Männer den Kopf der Gruppe Abdusammad A. über den Dienst gefragt haben, ob er einen terroristischen Anschlag im Namen des ISPK organisieren könne.
Ein aus Tadschikistan stammender Prediger namens Al-Madani veröffentlicht nahezu täglich Ansprachen und Vorträge auf Telegram. Auch einige der sieben Angeklagten sollen sich in abgehörten Gesprächen bewundernd über den mutmaßlichen ISPK-Sympathisanten geäußert haben. Aber auch auf YouTube bietet Al-Madani seine Predigten an.
Der Aussteiger Nidal findet das beunruhigend. Als Sozialarbeiter betreut er auch Jugendliche mit Wurzeln in Zentralasien. Immer wieder spürt er den starken Einfluss von Influencern wie Al-Madani, die IS-Terroristen verharmlosten und diese in ihren Vorträgen zu Freiheitskämpfern erklärten. Keine Rede sei zum Beispiel davon, dass der IS in der Vergangenheit in Syrien wütete.
Auch Spenden wirbt der IS häufig über diverse Telegramgruppen ein.
E-Mail
Religiöse Extremisten kommunizieren aber auch klassisch über E-Mails miteinander. Wenn darüber Inhalte versendet werden sollen, die die Beteiligten strafrechtlich belasten oder verraten könnten, nutzen sie häufig anonymisierte E-Mail-Dienste wie z.B. Protonmail. Der Anbieter wirbt unter anderem mit einer „Null-Zugriff-Verschlüsselung“, also damit, dass er nicht die technischen Möglichkeiten hat, Nachrichten, die seine Kunden schreiben, zu entschlüsseln.