Dutzende Frauen und Männer mit Kopftüchern, Baseballkappen, riesigen Sonnenbrillen, Jeans, langen Gewändern, Alte, Junge, tanzen und singen, folgen einer spontanen Choreographie, zwischendurch hält jemand eine Rede von einem Lautsprecherwagen, die Menschen stimmen Sprechchöre an - von einer Demonstration hat das wenig, eher etwas von Karneval.
Doch nur spaßig scheint es nicht zu sein, der Tanz wird begrenzt von Stacheldrahtrollen, dahinter stehen Polizisten, die zwar nicht grimmig schauen. Aber sie haben jederzeit Zugriff auf Schutzschilde und schwere Ausrüstung, die am Rand in Reih und Glied aufgestellt sind. Und auf der anderen Seite der Polizisten, nach dem nächsten Stacheldraht, ist eine Gegendemonstration. Von dort schallen immer wieder Kaffir-Rufe herüber: "Kaffir, Ungläubiger!" Das schreien die Redner dort so wütend, wie die Protestler hier fröhlich singen. Es geht um einen Prozess, und so viele Menschen demonstrieren auf beiden Seiten vor einem Gericht, nehmen sich frei, schwänzen die Arbeit, engagieren sich emotional - warum? Was war passiert?
Auch die religiöse Toleranz steht vor Gericht
Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok, ist der Gouverneur von Jakarta. Bei den Wahlen Mitte Februar bewirbt er sich gerade um eine zweite Amtszeit. Außerdem aber steht er vor Gericht, angeklagt wegen Blasphemie. Im September hatte er bei einem Wahlkampfauftritt angeblich den Koran der Lüge bezichtigt.
Das Heikle an der Sache: Ahok gehört in der mehrheitlich islamischen Gesellschaft Indonesiens gleich zu zwei Minderheiten: Er ist chinesisch-stämmig, und er ist Christ. Bisher stellte das kein Problem dar, erklärt Professor Ikrar Nusa Bhakti:
"Bei uns zählt nicht die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit, sondern die Gründer Indonesiens, allen voran Sukarno, haben festgelegt, dass die Nationalität zählt, das Indonesische, das ist in den fünf Prinzipien, der Pancasila, festgeschrieben."
Diese fünf Prinzipien mit ihrer "Einheit in Verschiedenheit" hatten im riesigen Staat Indonesien bisher einen Religionsfrieden garantiert. Das Land mit der größten islamischen Bevölkerung der Welt beherbergt auch andere Religionen - am bekanntesten das Beispiel des hinduistischen Bali. Aber mit Ahok steht auch die religiöse Toleranz vor Gericht.
13 Sekunden Film
Und die Menschen Jakartas und ganz Indonesiens scheinen sich entscheiden zu müssen
"Wir versuchen es zu vermeiden, aber es kann radikal werden, und dann sind die Freundeskreise geteilt", erzählt die Geschäftsfrau Muti.
Und die Positionen sind sehr weit voneinander entfernt.
Irena Handono ist autodidaktische Islamgelehrte, nachdem sie vom Katholizismus konvertiert ist. Sie ist eine Zeugin der Anklage:
"Sein Vergehen ist wie das von Salman Rushdie! Ich habe es gesehen! In einem Film," erklärt sie ganz entschieden, dabei gütig lächelnd, während ihre Schülerinnen Tee und Gebäck servieren.
Andi Analta Amier lächelt auch, aber etwas bedrückt; er sitzt in einem Coffeeshop und spricht mit Sorge, doch auch viel Stolz von Ahok, seinem Ziehbruder. Ihrer beider Familien, die eine muslimisch, die andere christlich, sind gemeinsam aufgewachsen.
"Der Film, der Film, von dem alle reden, das ist ein Zusammenschnitt von 13 Sekunden! Niemand kann aus 13 Sekunden die Wahrheit erkennen! Der Auftritt war doch viel länger! Und die Menschen, vor denen er gesprochen hat, haben sich überhaupt nicht beleidigt gefühlt. Blasphemie, das ist Blödsinn, Ahok ist mein Bruder, er ist mit einer streng islamischen Familie aufgewachsen."
Amier ist Zeuge der Verteidigung; während Gegner und Unterstützer vor dem Gericht stehen und Ahok sich darin verantworten muss, darf Amier nicht am Prozess teilnehmen bis zu seiner Zeugenaussage. Sein Motto ist:
"Eine Erde, ein Himmel, wir alle gehören zusammen."
FPI – die "Islamische Verteidigungsfront"
Von Zusammengehörigkeit und der Vision einer friedlichen Erde ist aber andernorts in Jakarta nicht viel zu spüren.
Unterstützer der FPI, der Islamischen Verteidigungsfront haben sich vor dem Polizeipräsidium versammelt; die islamistische Organisation schürt Hass und begeht Gewaltverbrechen; heute demonstrieren sie für ihren Gründer und Anführer Rizieq Shihab, der selbst wegen verschiedener Vergehen von der Polizei befragt wird. Die FPI ist Haupt-Gegner Ahoks und fordert vehement seine harte Bestrafung.
Rahma, 35 Jahre alt aus Jakarta, sieht den Islam als einzig gültigen Glauben. Toleranz ist zwar in Ordnung, aber ein christlicher Gouverneur in einem islamisch geprägten Staat sei generell falsch. Rahma und ihre Freundin sind fast die einzigen Frauen in der riesigen Menge. Es sind fast nur Männer hier versammelt, manche mit kriegerisch vermummtem Gesicht, viele mit Takke, der muslimischen Gebetskappe, und fast alle in Weiß, ihrer Farbe.
Die Polizei hat Unruhen vorgebeugt. Mit einer langen Reihe Stacheldraht, aber vor allem muslimischen Polizistinnen will sie die FPI-Anhänger in Zaum halten. Im Hof des Präsidiums stehen Schilde, Schutzkleidung, Wasserwerfer bereit – So ist es, seit es am 4. November vergangenen Jahres zu heftigen Ausschreitungen von Ahok-Gegnern kam. Und vor allem, seit sie einen Monat später drohten, die Regierung zu stürzen. Der indonesische Präsident Joko Widodo war vorher selbst Gouverneur Jakartas, er hat viel in Ahok investiert und ihn bis zu dem Blasphemie-Prozess unterstützt.
Unterstützer Ahoks: blau-weiß-rot kariert
Bei den Unterstützern Ahoks tragen alle blau-weiß-rot karierte Hemden, das Markenzeichen des Gouverneurs, auch die 60-jährige Sompeeta:
"Er hat so viel für die Stadt getan! Die Krankenhäuser stehen jetzt jedem offen zum Beispiel!"
Tatsächlich scheint Ahok einiges richtig zu machen, die Infrastruktur im stauverstopften Moloch Jakarta nimmt Formen an, die jährlichen Überschwemmungen werden kanalisiert, Geld landet da, wo es hinsoll. Doch damit scheint er einigen auf die Füße zu treten.
Ist der religiöse Unfriede in Wahrheit politisch motiviert? Viele Menschen fürchten um die Zukunft Indonesiens. Im Sommer endet der Prozess gegen Ahok. Bis dahin wird demonstriert.