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Islamismus-Debatte
Diffuse Ängste

Auch in Deutschland wird ein Tag nach dem Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" über Islamismus debattiert. Dabei steht die Angst im Vordergrund: Bei den meisten richtet sie sich zwar nicht gegen Ausländer oder den Islam im Allgemeinen, sondern gegen Terroristen. Aber die Gefahr, beides zu vermischen, ist gestiegen.

Von Anja Nehls |
    Blumen und Kerzen und Zettel mit der Aufschrift "Je suis Charlie" liegen auf dem Boden.
    Vor der Französischen Botschaft in Berlin drückten Menschen ihr Mitgefühl aus. (picture alliance / dpa)
    Die Flagge vor der Französischen Botschaft am Pariser Platz weht auf Halbmast. Auf dem Boden im Nieselregen vor der Tür liegen Blumen, unzählige, Rosen, Nelken, Hyazinthen, eine Lilie, gelbe Tulpen. Dazwischen brennen rote Grablichter, und Kerzen stehen auf handgeschriebenen Botschaften: "Ich bin Charlie", oder "Expression is a human right". Ein Mann kommt extra mit dem Fahrrad aus dem Berliner Süden, zwölf rote Rosen wickelt er aus einem Papier:
    "Ja, das war ein persönliches Bedürfnis, man denkt an die ermordeten Journalisten, ich habe hier noch so einen kleinen Spruch: Satire darf alles nur nicht sterben."
    Ungefähr ein Dutzend Menschen stehen vor der Botschaft, einige sind tief betroffen und fürchten, dass so etwas nun auch hier in Berlin passieren könnte:
    "Ich habe zehn Jahre in Frankreich gelebt, und es hat mich ja - so maßlos erschüttert. - Mein Lebenspartner ist Franzose und es ist ganz schrecklich - wissen Sie, und man weiß ja nicht wie das hier mal so alles weitergeht. Es gibt immer solche Verrückte. Ich finde man sollte das nicht unter den Teppich kehren, also, ich habe nichts gegen Ausländer aber ich finde wir haben schon viel zu viel hier drin."
    Die Angst ist diffus. Bei den meisten richtet sie sich nicht gegen DIE Ausländer oder DEN Islam, sondern gegen Terroristen. Aber die Gefahr, beides zu vermischen, ist seit gestern gestiegen, warnt die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan. Sie hat auf dem Weg ins Büro einen Abstecher zur französischen Botschaft gemacht:
    "Ich habe mein Leben lang viel mit Frankreich zu tun gehabt und fühle mich von daher schon sehr betroffen, ich war hier in Berlin auf dem französischen Gymnasium. Ich hoffe sehr, dass sich jetzt nicht eine gegenseitige Steigerung von Anti-Islamismus und Islamisten daraus entwickelt. Das wäre. Das wäre eine weitere fatale Drehung und eine gefährliche."
    Für extrem groß hält der Politikwissenschaftler Hajo Funke diese Gefahr nicht. Auch die große Mehrzahl der sogenannten Pegida-Demonstranten könne sehr wohl differenzieren:
    "Es war für jeden in Deutschland klar, dass man den terroristischen Faschismus verurteilt. Das war überhaupt nicht die Frage, das war auch nicht Gegenstand von Pegida. Der Gegenstand von Pegida war die Gefahr, die man meint zu sehen für den Untergang des christlichen Abendlandes durch eine Islamisierung, das heißt durch alles, was mit dem Namen Islam verbunden ist, das ist etwas völlig anderes."
    "Islamschwärmern zur Warnung"
    Dennoch versucht der brandenburgische AfD-Vorsitzende Alexander Gauland den Anschlag in Paris für seine Zwecke zu missbrauchen und sagt:
    "All diejenigen, die bisher die Sorgen der Menschen vor einer drohenden Gefahr durch Islamismus ignoriert oder verlacht haben, werden durch diese Bluttat Lügen gestraft."
    In die gleiche Richtung gehen einige Kommentierungen der Hörer auf der Facebook-Seite des Deutschlandfunks:
    "Allen Politikern und Islamschwärmern zur Warnung,"
    schreibt Hans Fröhleke, oder:
    "Unsere Politiker schimpfen auf Pegida. Ohne Worte."
    Oder von Klaus Heinzer:
    "Die Täter sind vorerst in einem schönen 4-Sterne-Hotel in Deutschland untergekommen. Ganz ehrlich. Wen würde das wundern, bei unserer Auslegung der Asylgesetze?"
    Es gibt aber auch andere Meinungen, zum Beispiel die von Christoph Proft, der schreibt:
    "Wir sollten uns davor hüten, den Islam an sich für diese feige Tat verantwortlich zu machen. Man sollte nicht von einzelnen, verblendeten Spinnern auf alle Muslime schließen."
    Viele Muslime in Deutschland fühlen sich jetzt dennoch stigmatisiert. Sayed steht mit seinem Taxi gegenüber der französischen Botschaft und wartet auf Kundschaft. Er stammt aus Marokko, lebte dann lange in Frankreich, seit über 20 Jahren fährt er in Berlin Taxi. Zusammen mit seinem türkischen Kollegen hat er sich seit gestern viele Gedanken gemacht:
    "Ich kann verstehen, dass viele Deutsche viel Angst vor Muslim sind, weil sich im Nahen Osten was entwickelt, ist kein Wunder, dass die Menschen Angst haben. Die Bevölkerung vom Nahen Osten hat nicht Schuld, Schuld, das sind die die da oben sitzen. Ich bin auch Moslem. Islam ist eine schöne Religion, und man muss nicht alles in einen Topf werfen, und Islam wird jetzt, ich glaube, missbraucht."
    Trauernde Bürger: "Ein richtiges Zeichen"
    Sayed hat viele Freunde und Bekannte in Frankreich, den Anschlag findet er ganz furchtbar. Für ein paar Minuten war er auch zu Fuß vor der Botschaft, um innezuhalten. An den Gesprächen dort hat er sich nicht beteiligt. Es geht um seine Religion und den Anschlag auf die Meinungsfreiheit:
    "Also, die Meinungsfreiheit steht über allem, das ist ein Grundrecht. Ich sage Moses und Jesus ist hundertfach, tausendfach mehr kritisiert worden als Mohammed. Das muss eine Religion aushalten."
    "Man muss natürlich auch sehen, dass wir im Umgang mit vielen Muslimen auch Fehler gemacht haben in den letzten Jahren."
    "Ich glaube, dass es ein neuer Trend ist, dass einige den anderen vorschreiben wollen, was sie zu denken haben, wie sie ihr Leben gestalten dürfen, das macht mich ganz schwer betroffen."
    Laute Hetze gegen Muslime ist vor der französischen Botschaft nicht zu hören, um islamfeindliche Ressentiments à la Pegida geht es nicht. Menschen aus vielen Ländern und mit unterschiedlichen Religionen betrauern vor allem die Toten, die durch einen Anschlag von Fanatikern umgekommen sind. Gegen Fanatismus im Namen jeder Religion wendet sich ein großer Zettel auf dem Blumenmeer - und der Politikwissenschaftler Hajo Funke hält das für das richtige Zeichen und ist sicher:
    "Dass nicht nur die Repräsentanten der Politik, sondern auch die größere Mehrheit sich an die Seite der Muslime stellt und Asylflüchtlinge darüber hinaus und insofern - wie soll ich sagen - die Demokratie in Deutschland doch eine größere Reife zeigt, als wir das vielleicht vor acht Wochen annehmen konnten."