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Islamismus
"Nicht jeder Salafist ist Dschihadist"

In Nordrhein-Westfalen laufen derzeit rund 40 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßlich gewaltbereite Salafisten, die nach Syrien oder den Irak in den Krieg ziehen wollen - beziehungsweise von dort zurückkehrten. Das sagte der Präsident des NRW-Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, im Deutschlandfunk.

Burkhard Freier im Gespräch mit Dirk Müller |
    Burkhard Freier, der Leiter des Landesverfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen beantwortet am 10.06.2013 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) die Fragen von Journalisten bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes NRW.
    Burkhard Freier, Leiter des NRW-Verfassungschutzes (dpa / Frederico Gambarini)
    Zugleich betonte Freier, dass nicht jeder Salafist als möglicher Dschihadist zu betrachten sei. Der Verfassungsschutz werde erst dann aktiv, wenn aus dem rein religiös praktizierten Salafismus eine politische Ideologie werde. Diese sei ein Nährboden für Gewalt.
    Im Besonderen der Krieg in Syrien sei dabei ein Anziehungspunkt für junge Männer, die dort ihr "Heil" suchten. Deshalb würde gerade diese Gruppe bei der Ausreise und insbesondere bei der Rückkehr beobachtet. Allerdings sei es nicht immer gelungen, Ausreisen zu verhindern. Es gebe keine 24-Stunden-Überwachung, so Freier.

    Das Interview in voller Länge
    Dirk Müller: Die Isis-Kämpfer haben ein neues Kalifat ausgerufen, einen eigenen Staat. Radikale Islamisten aus vielen Teilen der Welt sind daran beteiligt: an den Kämpfen, am Krieg gegen syrische Truppen, gegen irakische Truppen, alles im Dienste des Dschihad. Auch deutsche Gotteskrieger. Vielleicht sind es sogar bis zu 500 junge deutsche Muslime, die in den syrischen und irakischen Bürgerkrieg gezogen sind, junge Muslime, die offenbar auch nicht davor zurückschrecken, auch in Europa Terroranschläge und Attentate zu verüben, siehe das Attentat auf drei israelische Staatsbürger in Brüssel vor rund fünf Wochen, die Kofferbomber beispielsweise von Bonn 2012 und die permanente aggressive Anwerbung von Salafisten. Wie gefährlich sind die Islamisten in Deutschland?
    Der Heilige Krieg aus Deutschland – unser Thema jetzt mit Burkhard Freier, Leiter des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen nach Düsseldorf.
    Burkhard Freier: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Freier, sind alle deutschen Dschihadisten Terroristen?
    Freier: Dschihadisten heißt eigentlich, dass sie in den Kampf ziehen wollen, und deswegen sagen wir, die Salafisten, die gewaltbereit sind und die in diesen Krieg ziehen wollen, sind Dschihadisten. Man muss dazu aber sagen, dass nicht jeder Salafist verfassungsfeindlich ist und nicht jeder Salafist deswegen ein Dschihadist wird. Wissenschaftler unterscheiden in diesem Bereich, das muss man so sehen, in den Salafismus, der rein religiös ist. Das ist dieser rückwärts gewandte, fundamentale Glaube, der denkt, der Islam aus der Frühzeit, der verspricht das Heil und der verspricht Frieden auf der Erde. Das ist aber rein religiös und fundamentalistisch.
    Politische Ideologie so etwas wie ein Nährboden für Gewalt
    Der Verfassungsschutz beobachtet Salafisten erst dann, wenn aus diesem religiösen Teil ein politischer, eine politische Ideologie wird, und diese politische Ideologie des Salafismus, die führt im weiteren Verlauf der Radikalisierung dazu, dass Gewalt angewandt wird. Es ist also so etwas wie ein Nährboden für Gewalt und deswegen beobachten wir die Salafisten in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland, aber auch in Europa und haben im Moment insbesondere in der Beobachtung diejenigen Salafisten, die in den Dschihad, in den Krieg ziehen wollen und in den Krieg nach Syrien. Das ist ein besonderer Anziehungspunkt gerade für junge Männer, die hier glauben, sie hätten den Boden verloren, sie finden keine Anerkennung, und die dann in dem Krieg ihr Heil suchen. Deswegen beobachten wir sie so genau bei der Ausreise und dann natürlich insbesondere bei der Rückkehr.
    Müller: Noch mal die Frage, Herr Freier. Setzen Sie Dschihadisten, die aus Deutschland kommen, mit Terror, mit Terroristen gleich?
    Freier: Noch nicht. Dschihadisten sind Salafisten, die aus unserer Sicht in den Krieg ziehen wollen. Es besteht aber die Gefahr, dass sie dort in dem Krieg nicht nur zugucken, sondern selber mitkämpfen, dass sie an Waffen ausgebildet werden könnten, dass sie mit Sprengstoff umgehen können, dass sie vor allen Dingen, wenn sie den Krieg erlebt haben mit all seiner Brutalität, verroht sind, dass die Hemmschwelle sinkt und dass sie dann, wenn sie zurückkehren, Gefahr laufen, diesen Krieg auch hier fortzusetzen. Dann sind sie Terroristen, und zwar dann, wenn die Gefahr besteht, dass sie hier Anschläge begehen.
    Müller: Aber Krieg zu führen in einem fremden Land, unter dem Deckmantel oder wie auch immer, unter der Motivation, Dschihadist zu sein, das ist zunächst einmal in dieser Stufe für Sie vergleichbar mit einem Söldner?
    Was in Syrien und im Irak im Moment passiert, ist so etwas wie Terrorismus
    Freier: Das ist in der Tat wie ein Söldner. Allerdings ist aus unserer Sicht das, was in Syrien und im Irak im Moment passiert, so etwas wie Terrorismus, weil es werden Anschläge begangen, es wird die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen und es wird vor allen Dingen sehr brutal vorgegangen, und das Ziel von Isis in Syrien, aber auch im Irak ist ja Terror, denn mit diesem Terror wollen sie die Bevölkerung einschüchtern, die Regierungen stürzen und in diesem Chaos dann einen neuen Staat aufbauen, den sie selbst Kalifat nennen und den sie weit verbreiten wollen. Dieses Kalifat ist im Prinzip auch ein Staat, ein Nährboden für Terrorismus.
    Müller: Herr Freier, Sie sagen, der Verfassungsschutz wie auch andere Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden beobachten diese jungen Deutschen, bis sie ausreisen, bis sie auch dann wieder zurückkommen. Wir haben gestern die Zahl gefunden: 120 sind alleine aus NRW ausgereist, 500 insgesamt aus Deutschland, nach Syrien und Irak, die dort kämpfen, die dort beteiligt sind. 20 bis 40 sollen umgekommen sein. 100 deutsche Dschihadisten sind zurückgekehrt. Machen wir dort weiter: Wenn sie zurückkehren, beobachten Sie. Das heißt, diejenigen, die zurückkehren, haben noch kein Verbrechen begangen?
    Freier: Das kann man so nicht sagen. Es ist so: Wenn wir beobachten, dass jemand zurückkehrt, dann müssen wir schon an den Grenzkontrollen nachweisen können, oder berechtigte oder hinreichende Anhaltspunkte dafür haben, dass er eine Straftat begangen hat. Es gibt nach dem deutschen Strafrecht verschiedene Straftaten, die man begangen haben könnte, beispielsweise die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach 129 Strafgesetzbuch. Wenn es solche Anhaltspunkte gibt, das heißt, wir haben nachweisen können, zumindest für ein Ermittlungsverfahren, dass er sich an den Kämpfen zum Beispiel der Isis oder der Al-Nusra in Syrien beteiligt hat, aktiv beteiligt hat, dann kann er schon an der Grenze festgenommen werden und dann kann ein Ermittlungsverfahren gegen ihn laufen und je nach Strafverdacht kann er auch für die erste Zeit erst mal in U-Haft.
    Müller: Woher wissen Sie das denn, was vor Ort passiert ist?
    Freier: Wir wissen das deshalb, weil es ja auch Nachrichtendienste in anderen Staaten gibt, die den Polizeibehörden und dem Verfassungsschutz Hinweise geben. Wir selber als Verfassungsschutz haben keine strafrechtlichen Befugnisse. Wir beobachten nur und sammeln die Informationen und geben sie dann weiter. Die Strafverfolgungsbehörden haben, wenn sie hinreichende Hinweise haben, die Möglichkeit, hier an der Grenze festzunehmen. Es ist aber so, wenn diese Hinweise nicht vorliegen oder nicht ausreichen, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, dann muss der Verfassungsschutz diese Personen an der Grenze aufnehmen. Das heißt, von dem Eintritt in die Bundesrepublik an beobachten, und zwar so beobachten, dass wir feststellen können, wie hat er sich radikalisiert, hat er sich in Syrien radikalisiert und besteht die Möglichkeit oder die Gefahr, dass er hier mehr tun will als nur zurückkehren. Es gibt verschiedene Gruppen, so haben wir das bisher festgestellt, von Rückkehrern. Es gibt Rückkehrer, die sind traumatisiert oder die haben einfach schlicht die Nase voll vom Kämpfen. Die kommen zurück und versuchen, irgendwie hier Boden zu fassen.
    Müller: Die wenden sich ab?
    Freier: Bitte?
    Müller: Die wenden sich ab.
    Freier: Die wenden sich ab. Auch die müssen aufgenommen werden, dazu können wir vielleicht gleich noch mal kommen. Der zweite Teil der Rückkehrer, das sind diejenigen, die man auch Pendler nennen könnte. Das sind die, die nicht kämpfen in Syrien, sondern die hin und her reisen und zum Beispiel Militärgüter, vielleicht auch humanitäre Hilfe, vielleicht auch einen PKW, vielleicht auch Geld rüberbringen, um so den Kampf in irgendeiner Form zu unterstützen, aber ohne selber zu kämpfen.
    Müller: Humanitäre Mitarbeiter der Isis?
    Hinweise, dass von Spendengeldern für humanitäre Hilfe Waffen gekauft werden
    Freier: Nein, das gibt es nicht. Aber es gibt Salafisten hier, die zum Beispiel mit Geld ausreisen, mit diesem Geld möglicherweise den Kampf unterstützen, möglicherweise aber auch Hilfe leisten. Wir haben festgestellt – früher waren es Konvois, die in Gruppen gefahren sind; heute sind es einzelne Personen, weil sie dann an der Grenze nicht festgestellt oder schwerer festgestellt werden können -, dass hier Geld gesammelt wird in der Bundesrepublik bei Benefiz-Veranstaltungen mit dem angeblichen Ziel einer humanitären Hilfe. Tatsächlich haben wir aber Hinweise in Einzelfällen, dass es keine humanitäre Hilfe ist, sondern dass das Geld für den Kauf von Waffen oder militärischen Gütern genutzt worden ist.
    Müller: Herr Freier, ich muss Sie hier noch mal konkret fragen. Wenn wir über die Rückkehrer sprechen, dort bleiben. Ich habe eben gesagt, 100 deutsche Dschihadisten sind zurückgekehrt. Sie haben gesagt, wenn genügend Hinweise vorliegen, dann können wir ermitteln, dann können wir festnehmen. Wie oft ist das in Nordrhein-Westfalen schon passiert?
    Freier: Es laufen im Moment in Nordrhein-Westfalen ungefähr 36 bis 40 Ermittlungsverfahren, nur in Nordrhein-Westfalen, im Zusammenhang mit dem Salafismus, im Zusammenhang mit Rückkehrern, im Zusammenhang mit Personen, die ausreisen wollten, wo aber dann schon genügend Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie in den Krieg wollen, dass sie kämpfen wollen, dass sie Verbrechen begehen wollen, oder Ermittlungsverfahren gegen Personen, die andere Personen anstiften oder sogar schleusen, um hier in Syrien zu kämpfen.
    Müller: Hinweise sind nicht immer eindeutig. Sie geben oft ja nur Tendenzen wieder oder Vermutungen wieder. Haben Sie oft ein schlechtes Gefühl, jemanden ausreisen lassen zu müssen, weil Sie nicht genügend in der Hand haben?
    Freier: Ja. Wir haben es auch schon gesehen, dass Leute ausgereist sind und wir hatten nicht genügend Anhaltspunkte, die ausreichen, um zum Beispiel das Reisepapier, den Reisepass einzuziehen. Dann versuchen wir andere Möglichkeiten. Beispielsweise wir schreiben ihn für die Grenze aus, sodass wir mitkriegen, wann reist er aus. Dann gibt es die Möglichkeit, dass andere Nachrichtendienste in Syrien uns mitteilen, nicht dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz direkt, sondern über das Bundesamt für Verfassungsschutz, wo er ist, was er macht, sodass wir ihn wenigstens aufnehmen können, wenn er wieder zurückreist. Wir haben aber in Nordrhein-Westfalen in über 30 Fällen, zusammen mit den Passbehörden, eine Ausreiseverhinderung aussprechen können. Nicht alle Ausreiseverhinderungen, die wir aussprechen, werden von den Personen eingehalten. Es gibt immer wieder Einzelfälle, die dann trotzdem ausreisen, die versuchen, in den nächsten Tagen unerkannt auszureisen. Wir haben keine 24 Stunden Rundumüberwachung, das ist rechtlich nicht zulässig. Aber wir versuchen – und das ist das Ziel aller Sicherheitsbehörden -, jede Ausreise, die wir erkennen, zu verhindern, um sie damit für den Einzelnen zu erschweren.
    Müller: 7:29 Uhr im Deutschlandfunk, die Nachrichten warten auf uns. Vielen Dank, Burkhard Freier, Leiter des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen. Ihnen einen guten Tag.
    Freier: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.