"Alles gut?" – "Alles gut. Wie geht’s dir denn, mein Lieber?"
Der Sozialarbeiter Cem Pancar bei seinem täglichen Rundgang in Berlin-Schöneberg. Vor einem Kiosk begrüßt er einen jungen Mann, den er früher von der Straße kannte: Umut. Diesen Kiosk suchen Pancar und seine Kollegen immer auf; denn die Streetworker treffen hier ihre Klientel: Jugendliche, die viel Zeit auf der Straße verbringen. Die Betreiber kennen sie gut, sagt Cem Pancar.
"Genau! Jetzt ist es so, dass sie auch Freunde beschäftigen, also auch einen von unseren Jugendlichen, der jetzt auch hier ist. Wenn wir sie natürlich antreffen, sagen wir hallo, fragen, wie es geht, was grad ansteht, ob es irgendwas Neues gibt, einfach den ganz normalen sozialen Austausch, den man halt macht."
Das tägliche Geschäft eines Streetworkers. Der 40-jährige Cem Pancar arbeitet seit elf Jahren bei Gangway, einem sozialen Träger. Er trägt unter der schwarzen Jacke einen Kapuzenpulli. Trotz seines graumelierten langen Vollbarts sieht er jugendlich aus. Der viel jüngere Kioskverkäufer Umut gehörte noch vor einigen Monaten zu den Jugendlichen, die Pancar auf der Straße antraf. Heute erzählt er selbst von jungen Männern, die den Kiosk als Treffpunkt nutzen.
"Wir haben hier in Schöneberg auch Jugendliche, die leider zu sehr ein bisschen salafistisch wirken. Es hat mit Salafisten angefangen, heute sind es die ISIS. Und wir wissen nicht, was morgen kommt. Wir haben nichts gegen die Moschee, die Kirche oder die Synagoge. Bis heute hat auch alles gut funktioniert. Warum ab jetzt alles so falsch wirkt, muss man die Politiker fragen, was die da falsch machen eigentlich."
Die salafistischen Jugendlichen treffen die Streetworker bei ihren Rundgängen kaum an, erzählt Cem Pancar an einem Bolzplatz, der auf seiner täglichen Route liegt.
"Das Problem ist in der Szene, was wir auch durch die Mundpropaganda hören, oder in den Unterhaltungen mit unseren Jugendlichen hören: Die hängen gar nicht auf der Straße rum. Sie haben Treffpunkte, wo sie sich treffen, ob es nun Moscheen sind, irgendwelche Wohnungen sind, wo sie halt Ideologie austauschen. Wenn dann nur über Insider, die uns das melden, also sprich besorgte Eltern oder besorgte Geschwister, die uns das melden. Dann sind es meistens Einzelfälle. Aber in der Gruppe ganz, ganz wenig."
Eltern in Sorge
Solch einen Einzelfall erlebte ein Teamkollege von Cem Pancar. Bei Hüseyin Yoldaş meldete sich eine verzweifelte Mutter und erzählte, ihr 15-jährige Sohn habe sich plötzlich so sehr verändert, dass sie nicht wisse, was sie tun solle. Der Junge besuchte nur noch islamistische Internetseiten und schimpfte mit seiner Mutter, weil sie nicht religiös lebe. Da die Streetworker Jugendliche nur auf der Straße aufsuchen und sich mit ihnen nicht zu Hause oder in der Schule beschäftigen, halfen sie der Mutter bei der Suche nach einem Praktikumsplatz für ihren Sohn. So kamen sie in Kontakt mit ihm und tasteten sich langsam an das Thema Religion heran, sagt Hüseyin Yoldaş.
"Es ging eigentlich um Identitätsfragen: Wer bin ich, und woher komme ich? Und das Problem bei den Jugendlichen ist es, glaube ich, dass sie auf ihre Fragen in der Pubertätszeit oder in ihrer Erziehung oder in ihrer Sozialisation, die Fragen, die sie gerne beantwortet kriegen wollen, sie eigentlich von ihrer Familie oder Umgebung nicht kriegen."
Im Internet hingegen bekämen sie von Salafisten oder anderen Islamisten sehr einfache und sehr klare Antworten. Dort habe auch der betroffene Jugendliche das Gefühl gehabt, die richtigen Antworten auf seine Fragen gefunden zu haben. Und so sei er an extremistische Gruppen geraten. Dank des rechtzeitigen Hilferufs der Mutter konnten die Streetworker Mitarbeiter eines Präventionsprojektes einschalten, die den Jugendlichen nun betreuen.