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Islamismus und Terror in Algerien

Heuer: Algerien. Es ist Jahre her, dass eine breite deutsche Öffentlichkeit mehr als einen flüchtigen Blick auf dieses nordafrikanische Land geworfen hat. Damals haben wir uns über Monate immer wieder mit den terroristischen Überfällen von Islamisten und Militärs auf die algerische Bevölkerung beschäftigt. Ganze Dorfgemeinschaften wurden massakriert. In diesen Tagen schauen wir wieder nach Algerien wegen der Geiselnahme europäischer, darunter vieler deutscher Sahara-Touristen, von denen einige in dieser Woche befreit worden sind. Wir nehmen das zum Anlass, heute früh etwas ausführlicher über Algerien zu sprechen und zwar mit der algerischen Autorin und Journalistin Naséra Rech, die in Deutschland lebt, aber immer wieder ihre Heimat besucht. Guten Morgen, Frau Rech.

    Rech: Schönen guten Morgen.

    Heuer: Lassen Sie uns mit der Geiselnahme beginnen. Da gibt es ja viele Spekulationen. Wer, glauben Sie, steckt hinter dieser Geiselnahme und mit welchem Ziel?

    Rech: Ich kann natürlich auch nur spekulieren. Die Entführer sind mit Sicherheit Islamisten, Salafisten, die nach der Re-Islamisierung des Landes streben. Erst habe ich vermutet, dass sie Deutschland erpressen wollen, zum Beispiel mit der Befreiung der Verhafteten in Deutschland. In Deutschland wurden ja in Frankfurt vor kurzem Algerier verurteilt, und da wurden die Leute befreit. Da kann man in der Richtung nicht mehr spekulieren. Jetzt sind da noch die anderen. Vielleicht gibt es Geldforderungen. Wenn Deutschland bezahlen sollte, werden wieder Waffen gekauft, und Algerien kommt aus dem Teufelskreis nicht mehr hinaus.

    Heuer: Sie selbst waren zuletzt im Februar in Algerien. Wir schauen jetzt auf das Land wegen der Geiselnahme. Die Europäer sind betroffen. Wie sicher ist denn eigentlich die algerische Bevölkerung vor Angriffen von Islamisten?

    Rech: Wenn ich in Algerien bin, bin ich in meiner Heimatstadt Algier. Da ist die Sicherheit - man kann fast sagen zu hundert Prozent - gewährleistet. Algier ist sehr, sehr sicher. Es leben dort viele Europäer, darunter auch Deutsche. Die anderen Großstädte sind auch sicher, aber etwas weniger. Nur: Irgendwo hinfahren- davor hat man immer noch Angst. Man traut sich nicht, das Land zu bereisen.

    Heuer: Sie selbst sind aktiv in einem Verein, der auf Deutsch "Mädchen" heißt, und es geht um die Unterstützung weiblicher Terroropfer. Wieso sind gerade Frauen als Opfer von Terrorismus besonders hilfsbedürftig, Frau Rech?

    Rech: Wissen Sie, ich bin Algerierin, und ich kenne meine Tradition am besten: Die Gesellschaft ist eben ein Patriarchat. Die Männer dürfen einiges, können einiges. Wenn es jemandem in einem Land dreckig geht - vor allem in einem islamischen Land -, sind das immer die Frauen. Meistens können sie nicht lesen und schreiben. Da versuchen wir, sie zu unterstützen, damit sie ihre Kinder ernähren können.

    Heuer: 1991 haben ja die Islamisten die Parlamentswahlen in Algerien gewonnen. Sie sind daraufhin sofort verboten worden. Wie stark neigen die Algerier heute zum Islamismus?

    Rech: Das ist eine ganz prekäre Sache in Algerien. Man sieht nur den Terror, der tötet. Man übersieht dabei die andere Bewegung der Salafisten, und zwar die Prediger, die auf den Märkten ihre Sachen verkaufen. Das sind genau die, die gefährlich sind. Sie nutzen die Verdrossenheit der Menschen aus, besonders die der Jugendlichen, und wollen von innen aus die Gesellschaft unterwandern. Da werden Kassetten und Literatur über islamische Erziehung verkauft, und zwar sehr gut. Sie machen damit sehr gutes Geld. Davor habe ich eigentlich mehr Angst als vor dem Terror, der ja bekämpft wird. Ich meine damit den bewaffneten Terror.

    Heuer: Die Salafisten kommen gut an bei der algerischen Bevölkerung. Es gibt schon eine Tendenz zum Islamismus in Ihrem Land.

    Rech: Die Tendenz ist so, dass das soziale Feld einfach brach liegt. Die Arbeitslosigkeit, die ganzen Krisen - es wurde bisher so gut wie nichts bewegt. Alles liegt brach, und auf solchen Böden kann er ja nur gedeihen. Die Leute haben kaum Alternativen. Der Terror und das sich Klammern an die eigene Identität gedeihen nun mal auf solchen Böden.