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Islamisten
Irak, Isis und der schiitisch-sunnitische Gegensatz

Die gewaltbereite sunnitische Terrorgruppe Isis droht Bagdad einzunehmen. Die irakische Armee scheint unfähig zum entschlossenen Widerstand. Die internationale Staatengemeinschaft ist angesichts dieser Entwicklung völlig ratlos. Noch ist nicht klar, ob der Irak auseinanderbricht. Das könnte gewaltige Folgen für den Nahen Osten haben.

Von Reinhard Baumgarten, Björn Blaschke, Carsten Kühntopp und Thilo Kößler |
    Der Irak in diesen Tagen:
    Auf der einen Seite eine gewaltbereite sunnitische Terrorgruppe, die sich Isis nennt – Islamischer Staat im Irak und in Syrien; eine straff geführte Armee von Milizionären, die vergangene Woche die Millionenstadt Mossul einnahmen und Tikrit, die Geburtsstadt Saddam Husseins. Und die sich nun anschickt, Bagdad einzunehmen.
    Auf der anderen Seite eine irakische Armee, die in den Jahren der amerikanischen Besatzung mit 25 Milliarden Dollar hochgepäppelt wurde, und sich jetzt – wie der irakische Regierungschef Nuri al Maliki auch – als unfähig erweist, den kampferprobten sunnitischen Extremisten entschlossenen Widerstand entgegen zu setzen.
    Und da ist – zum dritten – eine internationale Staatengemeinschaft, die angesichts dieser Entwicklung völlig ratlos ist: Noch ist nicht ausgemacht, ob die Einheit des Irak gewahrt werden kann oder ob das Land an Euphrat und Tigris auseinanderbricht. Mehr noch: Niemand weiß, wie die Landkarte des Nahen Ostens morgen oder übermorgen aussehen wird. Die Leidtragenden sind, wie stets, die Menschen, die in panischer Angst ihre Häuser und Städte verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen.
    Ein älterer Herr fährt mit einem kleinen Lkw zwischen den Zelten umher und verteilt Wassermelonen. Die Menschen nehmen die Spende dankbar an; die Früchte versprechen Erfrischung in der glühenden Hitze des Tages. Mehr als vierzig Grad herrschen im Schatten der Zelte. Es sind Notunterkünfte, in denen Flüchtlinge aus der Provinz Nineve und deren Hauptstadt Mossul Zuflucht gesucht haben. Die Schilderungen dessen, was in den vergangenen Tagen in Mossul geschehen ist, gleichen einander. Die 27jährige Hussein Abed gehört zu einer neunköpfigen Familie und ist selbst Mutter eines herzkranken vierjährigen Mädchens.
    "Wir sind ganz schnell geflohen, weil alle plötzlich wegliefen. Ich weiß nicht, ob die Angreifer Islamisten waren. Ich weiß es nicht. Sie waren plötzlich da – und alle sind geflohen. Genau wie die irakische Armee. Sie haben sich alle zurückgezogen."
    Von mehr als einer halben Million Flüchtlingen sind höchsten 800 in Irakisch-Kurdistan angekommen
    Von mehr als einer halben Million Flüchtlingen aus Mossul ist immer wieder die Rede, aber hier, in den Zelten an der Grenze zur autonomen Region Irakisch-Kurdistan, sind höchstens 800 Menschen angekommen. In den zwei Lagern in der Provinz Dohuk, die ebenfalls zu Irakisch-Kurdistan gehören, sollen es noch einmal rund tausend sein. Viele andere Flüchtlinge haben sich in Hotels gerettet oder zu Verwandten oder Bekannten. Insgesamt wirkt die Zahl von einer halben Million Flüchtlingen jedoch zu hoch gegriffen. Auch Clement Rouquette sagt das, der Leiter einer französischen Hilfsorganisation, die sich in Irakisch-Kurdistan um Flüchtlinge kümmert:
    "Die Hilfsorganisationen sehen die Zahl von einer halben Million Flüchtlingen sehr skeptisch. Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Sie ist übertrieben."
    Was nichts daran ändert, dass es viele Flüchtlinge gibt, die nach Irakisch-Kurdistan gekommen sind. 100.000 seien es immerhin, so der Gouverneur von Erbil, einer der drei Kurden-Provinzen. Wobei er, wie auch Vertreter von Hilfsorganisationen meinen, dass die meisten Menschen weniger aus Angst vor den sunnitischen Extremisten geflohen sind als vielmehr, weil sie fürchteten, dass es eine Offensive der irakischen Armee geben könnte. In Wirklichkeit stehen viele Menschen hinter dem Vorrücken der Untergrundkämpfer, davon ist Gouverneur Nawzad Hadi Mawlood überzeugt.
    "Alle laufen unter dem Namen Isis – Islamischer Staat im Irak und in Syrien. Sie stehen an vorderster Front. Aber in Wirklichkeit sind da verschiedene Gruppen. Es sind Anhänger von Saddam Hussein - Soldaten seiner Armee, die die Amerikaner 2003 aufgelöst hatten. Wir haben auch gehört, dass Ezzet Ibrahim al-Duri dabei sein soll, der früher Stellvertreter von Saddam Hussein war."
    Es ist ein Sammelsurium von sunnitisch-arabischen Gruppen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Bagdad einzunehmen und den schiitischen Regierungschef Nouri al-Maliki zu stürzen. Die sunnitische Bevölkerung steht zumindest teilweise dahinter, weil sich die Sunniten im Irak von Maliki zu Recht diskriminiert fühlen, da er, der Schiit, nur "seine" Schiiten gefördert hat. Die Frage ist, ob die sunnitischen Araber im Irak – Isis und die anderen militanten Gruppen - Unterstützung erhalten aus den anderen sunnitischen Staaten der Region. Aus Saudi-Arabien, beispielsweise, aus Kuwait oder Qatar?
    Irakische sunnitische Muslime mit Gebetsketten vor dem Freitagsgebet in der Umm Al-Qura Moschee in Bagdad,
    Irakische sunnitische Muslime mit Gebetsketten vor dem Freitagsgebet in der Umm Al-Qura Moschee in Bagdad, (picture-alliance/ dpa / dpaweb / epa Ali Haider)
    Gouverneur Nawzad Hadi Mawlood, kann nur Mutmaßungen über die Hintermänner der sunnitischen Milizen anstellen, die auf Iraks Hauptstadt Bagdad vorrücken wollen:
    "Es ist nicht klar, wo ihre Finanzquellen sind. Was die Leute über sie sagen, ist, dass sie mit neuen Autos unterwegs sind, guten Waffen... Das bedeutet, dass sie jemand bezahlt."
    Und wie sieht es auf der anderen Seite mit der Unterstützung für die Gegner der sunnitischen Isis-Milizen aus: Für den schiitischen Regierungschef Nuri al Maliki im Irak und seine Armee aus eineinhalb Millionen Mann, die sich in den letzten Tagen so oft geschlagen geben musste - oder gar nicht erst dem Kampf stellte?
    Iranische Elitetruppen im Irak?
    Angeblich hat Teheran bereits Elitetruppen in den Irak geschickt. US-Medien berichten unter Hinweis auf iranische oder amerikanische Sicherheitskreise, dass gut 2000 Mann der zu den Revolutionswächtern gehörenden al-Quds-Brigaden entsandt worden seien. Präsident Rohani weist das zurück. Er formuliert die offizielle Haltung Irans so.
    "Wir müssen alle beim Kampf gegen den Terrorismus mitmachen. Die Entsendung von iranischen Truppen stand bis jetzt nicht zur Debatte. Seit der Entstehung der Islamischen Republik ist so etwas auch nicht vorgekommen, es gab keine Verwicklung von iranischen Truppen in kriegerische Handlungen in einem anderen Land."
    Das war und ist auch Teherans offizielle Haltung gegenüber dem Bürgerkrieg in Syrien. Zahlreiche internationale Beobachter sind aber davon überzeugt, Belege und sogar Beweise dafür zu haben, dass sich der Iran aktiv mit Beratern und Kämpfern aufseiten Bashar al-Assads engagiert.
    Mit Blick auf den Irak versichert Präsident Rohani, dass er Bagdad im Kampf gegen die Terroristen beistehen will.
    "Wenn der Irak uns um Hilfe bitten sollte, werden wir sie erwägen. Bis heute haben wir kein Hilfegesuch erhalten. Wir sind bereit zu helfen - im Rahmen internationaler Regelungen und nach einem offiziellen Gesuch der irakischen Regierung."
    Der Iran begreift sich als Schutzmacht aller Schiiten. Rohanis Äußerungen bieten viel Raum für Interpretationen. Wird der Iran militärisch im Irak eingreifen? Werden Truppen nach Kerbala oder Najaf geschickt, zu den heiligen Stätten der Schiiten? Der Iran behält sich offenkundig alle Optionen vor. Unmittelbar nach der Besetzung der Millionenstadt Mossul in der vergangenen Woche durch die Terrormiliz Isis hatte Hassan Rohani im iranischen Fernsehen erklärt:
    "Wir werden die Aggression und den Terror nicht nur nicht dulden, sondern wir werden Radikalismus und Aggression in unsrer Region und weltweit bekämpfen."
    Iran steht seit Jahren in der Kritik, extremistische Tendenzen zu unterstützen
    Hehre Worte, zweifellos. Doch der Iran steht seit Jahren selbst in der Kritik, extremistische Tendenzen in der gesamten Region und insbesondere im Irak zu unterstützen. Die iranische Führung weist das strikt zurück. Teheran hat sich nach dem Abzug der Amerikaner aus dem Irak Ende 2011 zum wichtigsten Verbündeten der Regierung Nuri al-Malikis aufgeschwungen. Teheran setzt voll und ganz auf den schiitischen Ministerpräsidenten, der auch noch gleichzeitig Innen- und Verteidigungsminister, Chef der Geheim¬dienste und des Nationalen Sicherheitsrats sowie Oberkommandierender der Armee ist. Al-Maliki, so sagen seine Kritiker, habe durch seine Politik die Sunniten Iraks an den Rand gedrängt, damit viel Unzufriedenheit in der sunnitischen Bevölkerung hervorgerufen und radikalen Gruppen Vorschub geleistet. Sie bekämen jetzt massive Unterstützung aus dem Ausland.
    Die Ansicht, dass die Isis-Terroristen von außerhalb Iraks unterstützt und gesteuert werden, ist weit verbreitet im Iran. Auch Präsident Rohani vertritt sie.
    Die Vorwürfe Teherans gehen vor allem an die Adresse von Saudi-Arabien und Katar. Aus beiden Ländern, davon ist die iranische Führung überzeugt, fließt Geld an sunnitisch-extremistische Gruppen in Syrien, im Irak und in den von Sunniten bewohnten Gebieten Irans. Immer wieder kommt es in den iranischen Provinzen Khuzistan, Kurdistan und vor allem in Belutschistan an der Grenze zu Pakistan zu Terroranschlägen und blutigen Auseinandersetzungen. Teheran hat viele Gründe ein Erstarken sunnitischer Extremistengruppen zu fürchten. Der Iran könnte sogar gegebenenfalls darüber nachdenken, im Kampf gegen die Terrormiliz Isis mit den USA zu kooperieren. Gegenüber Journalisten sagte Präsident Hassan Rohani, bislang sei nicht ersichtlich, was die USA konkret gegen die Terrormiliz unternehmen wollten.
    "Erst wenn die Amerikaner einen Schritt getan haben im Kampf gegen diese Terroristen und wir das auch mitbekommen haben, könnte man über eine mögliche Kooperation nachdenken. Jetzt ist zu früh, weil wir noch nichts von den Amerikanern dort wahrgenommen haben."
    Konkrete Zusammenarbeit zwischen USA und Iran bleibt fraglich
    Tatsache aber ist, dass die USA und der Iran in Gestalt ihrer Vizeaußenminister, Bill Burns und Abbas Araqtschi, am Rande der Atomverhandlungen in Wien einen intensiven Austausch über die Terrormiliz Isis pflegen. Ob dabei eine konkrete Zusammenarbeit zustande kommt, ist allerdings mehr als fraglich.
    Auf der anderen Seite des Persischen Golfs, im wahhabitischen Königreich Saudi-Arabien, im Emirat Katar und in allen anderen Golfmonarchien wird die Entwicklung im Irak mit allergrößter Besorgnis verfolgt – besonders Saudi-Arabien fürchtet, dass der Bündnispartner USA sich genötigt sehen könnte, sich gegenüber dem Iran zu öffnen – um damit, gewollt oder ungewollt, Teherans Rolle in der Region aufzuwerten. Mit einer aggressiven Regionalpolitik versucht das saudische Königshaus, den vermeintlichen Ambitionen des Iran entgegen zu treten, zur regionalen Führungsmacht am Persischen Golf aufzusteigen. Riyad befürchtet seit Langem, dass der Iran die Schiiten im eigenen Land und in der gesamten arabischen Welt aufwiegeln und mobilisieren könnte.
    Doch jetzt ist es auf einmal die sunnitische Terrororganisation Isis, die mehr und mehr als Bedrohung für die bestehenden Herrschaftsverhältnisse wahrgenommen wird.
    Bewaffnete Isis-Dschihadisten 
    Die Isis-Dschihadisten haben einen der wichtigsten Industriestandorte im Irak unter Beschuss genommen: die Ölraffinerie in Baidschi. (Hanein.info / AFP)
    Das saudische Königshaus ist gegen jede Art von Wandel allergisch, und damit auch gegen jene Gruppierung, die das bestehende Staatengefüge auseinanderbrechen will. Bereits die vergangenen Jahre des Arabischen Frühlings haben Riyadh zutiefst verunsichert. Der amerikanisch-ägyptische Politologe Shadi Hamid nennt Saudi-Arabien eine "Macht des Status Quo". Er verweist darauf, dass die Saudis bereits im Arabischen Frühling alles daran setzten, diesen Status Quo zu wahren:
    "Saudi-Arabien ist der inoffizielle - oder ich sollte vielleicht besser sagen: der offizielle - Anführer der arabischen Konterrevolution. Das ist die neue Rolle der Saudis. Sie wollen die Revolution im Keim ersticken. Und sie sind bereit, kreativ darüber nachzudenken, wie man das erreichen kann."
    In Saudi-Arabien wird eine äußerst puritanische und manchmal auch radikal erscheinende Form des Islam praktiziert, der Westen spricht von Wahhabismus. Das Gedankengut von Al-Qaida oder Isis lehnt man dennoch kategorisch ab. So hat König Abdullah erst im Frühjahr die Gesetze deutlich verschärft, die es Saudis verbieten, an der Seite dieser Jihadisten im Ausland in den Krieg zu ziehen; die Strafen dafür erhöhte er drastisch. Im Gegenzug halten die Jihadisten den saudischen König und die anderen Golf-Monarchen schlicht für Häretiker – für Herrscher, an deren luxuriösem Lebensstil sich ablesen lasse, wie sehr sie sich vom rechten Glauben entfernt haben.
    Theoretisch könnte es nun gerade der Vorstoß der Isis-Kämpfer im Irak sein, der den Saudis die Tür für einen Dialog mit dem alten Erzrivalen, dem Iran, öffnet. Denn die Interessen beider Regionalmächte sind hier mehr oder minder deckungsgleich: Die Jihadisten müssen eingedämmt und zurückgeschlagen, der Zerfall des Irak muss verhindert werden.
    Doch dazu müssten die Saudis viele, vielleicht allzu viele Hemmschwellen überwinden, wie viele meinen: Denn die Beziehungen zwischen Riyadh und Teheran sind von tiefen Rivalitäten geprägt: Hier eine pro-westliche, aber reformresistente und fundamentalistisch-sunnitische Monarchie, dort eine anti-amerikanische, revolutionäre und mehrheitlich schiitische Republik. Shadi Hamid bringt es auf diesen Punkt:
    "Die Saudis mögen keine Schiiten. Sie sehen den Iran als destruktive, bedrohliche schiitische Macht, die ihre Rolle unterminieren will. Da geht es um Macht, Ideologie, Religion, Angst - all das zusammengenommen erklärt die saudische Politik."
    Schutzmacht der Sunniten
    Saudi-Arabien versteht sich als Schutzmacht der Sunniten überall in der Region. Die alteingesessenen Eliten in der Region sind meist sunnitisch. So war auf der arabischen Halbinsel der Schrecken groß, als der Sunnit Saddam Hussein im Irak gestürzt und durch eine schiitisch-geführte Regierung ersetzt wurde.
    Die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran - in Syrien wird sie sogar mit Waffengewalt ausgetragen. Dieser Konflikt ist weniger ein Bürgerkrieg – längst ist er zu einem Stellvertreterkrieg regionaler Mächte geworden. Hier sehen die Saudis die Chance, den Iran durch einen Sturz von Präsident Baschar al-Assad entscheidend zu schwächen. Syrien und Teheran sind seit Langem Waffenbrüder. Doch die Unterstützung der syrischen Rebellen mit Geld und Waffen vom Golf hat bisher nicht die gewünschte Wirkung gezeigt, im Gegenteil: Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der gelieferten Waffen in die falschen Hände geriet: in die Hände jener jihadistischen Kämpfer, die Syrien mittlerweile als Basis und Rückzugsort nutzen, um von dort aus immer mehr Landstriche im benachbarten Irak unter ihre Kontrolle zu bringen.
    Was die Kämpfer mit den schwarzen Fahnen, was die Terroreinheiten der Isis-Milizen wirklich wollen, das beschreibt Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Terror-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, so:
    Isis-Kämpfer mit Maschinengewehren posieren mit der schwarzen Flagge der Gruppe für ein Foto
    Isis-Kämpfer mit der schwarzen Flagge der Gruppe (AFP Photo / Ho / Welayat Salahuddin)
    "Isis zielt ganz deutlich auf eine Auflösung der Grenzen ab – sie will eine Situation entstehen lassen, wie wir sie in der Frühzeit des Islam hatten, als diese Grenzen zwischen dem Irak, Syrien, Saudi-Arabien, Israel, Palästina nicht bestanden haben. Isis zeichnet sich aber durch eine ganz starke Orientierung Richtung Israel/Palästina aus. Man muss wohl davon ausgehen, dass es zumindest das Nahziel ist, neben dem Irak und Syrien auch weiterhin Territorien im Süden des historischen Großsyrien zu erobern, und deswegen müssen wir damit rechnen, dass zunächst Jordanien und anschließend dann Israel und die palästinensischen Gebiete Zielgebiet ihrer Aktivitäten werden."
    Dabei ist die Terrorgruppe "Islamischer Staat im Irak und Syrien" nicht die einzige Gruppierung, die auf die Teilung des Irak abzielt. Im Norden des Irak machen sich die Kurden, die auch in Teilen Syriens, der Türkei und des Iran zuhause sind, Hoffnungen auf einen eigenen Staat: Er wurde ihnen stets verwehrt. Jetzt sehen die Kurden ihre Chance gekommen, sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
    "Die Kurden bauen seit 2005 ganz gezielt ihren eigenen Staat auf, im Mai haben sie zum ersten Mal über eine eigens in die Türkei gebaute Pipeline unabhängig vom Zentralirak Öl exportiert. Insofern haben sie – besonders dann, wenn nun auch die zweite Pipeline gebaut wird – auch die ökonomischen Möglichkeiten, sich abzuspalten. Das Problem ist, dass ihre große Schutzmacht eine solche Abspaltung gar nicht will. Die Türken würden es bevorzugen, wenn die Kurden stark von ihnen abhängig sind, theoretisch aber im irakischen Staatsverband bleiben."
    Ohne Zweifel haben der Bürgerkrieg in Syrien und die jüngsten Auseinandersetzungen im Irak die alten Grenzen infrage gestellt: Grenzen, die 1916 von den ehemaligen Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich im sogenannten Sykes-Picot-Abkommen willkürlich gezogen wurden – ungeachtet aller Fragen der ethnischen Zugehörigkeit oder historischer Besitzverhältnisse. Diese Grenzen stehen jetzt zur Disposition – die Landkarte des Nahen Ostens muss möglicherweise bald neu gezeichnet werden.
    "Wir haben es wohl mit einer Zäsur zu tun – selten wurden in einer Weltregion durch so viele Einzelakteure bestehende Grenzen infrage gestellt. Es wird sich jetzt zeigen, inwieweit sich die Staaten in den 90 Jahren ihrer Existenz insoweit konsolidiert haben, dass sie dem geballten Angriff ihrer Widersacher sich entgegenstellen können. Wir sollten allerdings auch die Beharrungskraft des Staates in der Region nicht vollkommen unterschätzen."
    Diskriminierende Politik der Ausgrenzung
    Allerdings werden sich die Beharrungskräfte im Irak nur dann durchsetzen können, wenn der schiitische Ministerpräsident des Landes, wenn Nuri Al Maliki seine diskriminierende Politik der Ausgrenzung einstellt und alle Kräfte des Landes – Sunniten wie Säkulare - in den politischen Prozess einbindet. Andernfalls steht das Schicksal des Irak auf dem Spiel, und die Vereinigten Staaten von Amerika werden sich über kurz oder lang genötigt sehen, einmal mehr an Euphrat und Tigris zu intervenieren.
    "Die Regierung ist sich dort bewusst, dass Isis in die Fußstapfen von Al Kaida und Osama bin Laden treten will. Wenn die Organisation das will, dann muss sie Anschläge gegen amerikanische Ziele verüben oder zumindest versuchen, und deswegen wird sich sehr schnell die Einsicht breitmachen in Washington, dass Isis eine direkte Gefahr ist. Dann werden die Amerikaner auch handeln. Das werden sie sicherlich in einiger Kooperation mit Bagdad machen, aber sie werden das, meine ich, eher aus der Entfernung tun – d.h. mit Luftschlägen, und zwar mit bemannten und unbemannten Flugzeugen. Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir am Himmel über Nordirak und Syrien amerikanische Drohnen sehen werden."