Davon wiederum profitierten rechtsradikale Kräfte. Gegen diese "bösen Zwillinge", wie die Autorin Islamisten und Rechtsextremisten nennt, müsse Deutschland seine Werte verteidigen.
Monika Dittrich: Frau Tekkal, wer oder was bedroht Deutschland?
Düzen Tekkal: Im Grunde genommen sind es dieselben Kräfte, die ich im Mittleren und Nahen Osten, genauer gesagt im Irak, vorgefunden habe, als ich am 10. August dorthin gereist bin in die jesidischen Siedlungsgebiete und mit ansehen musste, was es heißt, aufgrund einer anderen Religion entmenschlicht zu werden. Das ist immer die Vorstufe zum Völkermord. Und ich bin mit diesem Gefühl – nach dem Motto "Krieg macht ehrlich" – und fokussiert auch noch einmal ganz anders nach Deutschland gekommen und gucke diesbezüglich auch ganz anders auf meine Heimat.
Das Buch "Deutschland ist bedroht" ist die Fortsetzung von meinem Dokumentarfilm "Meine Reise in den Genozid", nur dass es sich dabei um meine Heimat Deutschland handelt. Und "Deutschland ist bedroht" – ich nenne das die bösen Zwillinge, von dem religiösen Extremismus auf der einen Seite und dem Rechtsradikalismus auf der anderen Seite – wenn wir uns beispielsweise die Landtagswahlen angucken, aber eben auch den Ehrenmord, der sich vor wenigen Tagen ereignet hat. Ich komme gerade von der Trauerfeier, bin bis gestern dort gewesen.
Dittrich: Sie sprechen über den Todesfall auf der kurdischen Hochzeit.
Tekkal: Genau. Das sind genau die Tendenzen, die ich meine und vor denen ich warne. Wenn ich sage Bedrohung, dann meine ich damit was Eigenes, was sich erstreckt bis in die Gesellschaft. Ich bin viel unterwegs auch im Rahmen meiner Vorträge und auch mit dem Film und komme mit den Menschen ins Gespräch. Die diffuse Angst spiegelt sich wider – auch im Alltag, und zwar dahingehend, dass Menschen aus Angst vor falschen Tabus bestimmte Dinge nicht mehr ansprechen. Und das finde ich einfach falsch.
"Dieser IS-Krieg ist nicht mehr losgelöst von unserer Lebenswirklichkeit zu verstehen"
Dittrich: Lassen Sie uns das noch mal auseinander klamüsern. In Ihrem Buch beschreiben Sie einmal diese Reise in den Irak und das Schicksal der religiösen Minderheit der Jesiden. Zugleich geht es eben über weite Strecken um Migranten in Deutschland und um diese verheerenden Integrationsversäumnisse, die Sie ansprechen. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Tekkal: Dieser IS-Krieg ist nicht mehr losgelöst von unserer Lebenswirklichkeit zu verstehen, weil wir die IS-Terroristen auch exportiert haben – also quasi den Dschihadismus mit immerhin tausend Jugendlichen, die hier geboren und sozialisiert worden sind. Das heißt, das sind Menschen, die wir gar nicht geholt haben, beziehungsweise, die irgendwann ausgestiegen sind.
Da haben wir quasi dann diese Auswüchse von der gescheiterten Integration auf der einen Seite und die Flüchtlingsströme, die gerade zu uns kommen. Und mein Problem sind nicht die Flüchtlinge, ich bin selber ein Kind von Flüchtlingen, sondern die Hardliner, die sich diese Wege und Route zu Nutze machen. Als Minderheit in der Minderheit haben wir diesbezüglich vielleicht auch einen anderen Fokus und sind sehr aufmerksam, wenn wir feststellen, dass Religionen politisch genutzt werden. Und ich möchte es ganz konkret machen. Beispielsweise, wenn ich mit Vorträgen auch in Schulen bin und mit den Jugendlichen ins Gespräch komme, habe ich mittlerweile den Eindruck, dass Salafisten diesbezüglich die bessere Sozialarbeit machen.
Die martialischen Videos vom IS stellen zweifelsohne – ob wir das wahrhaben wollen oder nicht – ein gewisse Faszination dar für viele Jugendliche, und wir hinterlassen da ein Vakuum, wo wir uns oder ich nicht genug kümmern um Jugendliche. Das macht es natürlich für Hassprediger ziemlich einfach.
Dittrich: Sie selbst sich als eines von elf Kindern in Hannover zur Welt gekommen. Ihre Eltern sind Jesiden und Kurden. Sie beschreiben in Ihrem Buch auch eine geradezu vorbildliche Integration. Was hat bei Ihnen funktioniert, was bei anderen nicht funktioniert?
Tekkal: Interessant ist in dem Zusammenhang, was alles nicht geklappt hat. Deswegen habe ich dieses Buch eben auch geschrieben, um der Frage nachzugehen, worauf es wirklich ankommt bei gelungener Integration. Das ist so, dass bei mir zu Hause kein Deutsch gesprochen worden ist, meine Mutter nicht lesen und schreiben kann und dass wir – wie gesagt – elf Geschwister waren. Aber, was in jedem Fall geklappt hat, war zum einen die Dankbarkeit meines Vaters, dass wir in dieser hiesigen Gesellschaft leben dürfen in Sicherheit und die Wertevermittlung.
Das heißt, ich bin als Vierjährige schon mitgenommen worden in den niedersächsischen Landtag und mein Vater hat mir gezeigt, dass dort Gesetze gemacht werden, dass dort Recht gesprochen wird. Das war ein Bewusstsein, mit dem ich aufgewachsen bin, das ich heute und auch damals bei vielen Menschen vermisst habe, was natürlich auch Konflikte hervorgerufen hat. Also, wenn ich so an meine Kindheit denke, dann kann ich mich daran erinnern, dass ich auch immer das Gefühl hatte, dass ich meine deutschen Freundinnen oft "verteidigen" musste gegen Aussagen wie "auf welcher Seite stehst du?".
Ich wollte nicht auf irgendeiner Seite stehen. Sie haben mich beschrieben als Jesidin, als Deutsche, als Migrantin, von allem etwas, wo ich mich eigentlich nie entscheiden wollte. Deswegen ist diese Buch eine Streitschrift zum einem, weil ich Tendenzen auch gesellschaftlich wahrnehme, wovor ich warne. Ich möchte es ganz konkret machen. Beispielsweise ist es so, dass ich jedes Mal, wenn ich öffentlich auftrete auch Drohungen erhalte. Nach Talkshows ist es eben besonders schlimm. Und früher was das, was ich tue mutig, mittlerweile ist es gefährlich. Ich glaube, wir dürfen uns nicht leben lassen, sondern wir müssen leben. Deswegen ist diese Streitschrift eben zustande gekommen. Und dieses Buch ist auch eine Auseinandersetzung damit – also auch mit mir selber.
Ein gefährlicher Fakt
Dittrich: Welche Rolle spielt dabei die Religion – auch Ihre jesidische Religion?
Tekkal: Ja, ich glaube, das ist eigentlich die wichtigste Frage. Und die gilt nicht nur in meiner jesidischen Religion, sondern für alle Religionen. Es ist so, dass ich schon der Ansicht bin, dass Religion ein Teil, ein wichtiger Teil der Identität ist, den wir nicht klein reden können sollten. Das merken wir immer wieder. Was mir trotzdem gegenwärtig Angst macht, ist, welche große Rolle Religion mittlerweile im öffentlichen Raum steht, so nach dem Motto "Nicht so stehst du, sondern welche Religion hast du".
Dieser Fakt ist deswegen gefährlich, weil in dem Moment, wo man Menschen reduziert auf die Religion, es auch immer Platz lässt für Spekulationen und für Anfeindungen, wie beispielsweise auch als Jesiden, wie wir das auch leidvoll erfahren. Deswegen ist mein Ansatz eher, dass ich sage, wir Migranten müssen deutsche Staatsbürger werden und demokratie- und kritikfähiger, dass es nicht darum geht, die Religion so zu etablieren, wie ich das gegenwärtig wahrnehme, als Identifikation, sondern ich mir eher wünsche, dass wir das demokratische Bewusstsein schärfen, weil ich glaube, dass das eigentlich auch Teil des Problems ist, wenn ich mit Lehren rede, die mir erzählen, dass auf den Schulhöfen – ja – Religionskriege stattfinden und wo viele gar nicht mit bekommen, was dort konkret passiert, aber wo viel von zu Hause mitgebracht wird. Das heißt auch die Vorurteile, die damit einhergehen, sind etwas, was wir nicht mehr so im luftleeren Raum stehenlassen können oder auch nicht mehr den bösen Zwillingen überlassen können.
Ich denke, wir Bürger auf der Mitte der Gesellschaft müssen raus aus unserer Komfortzone – und das gilt für Migranten wie Deutsche gleichermaßen. Also auch da ist wichtig, es geht nicht darum, ob wr Zuwanderungsgeschichte haben oder nicht, sondern ob wir Demokraten sind oder Anti-Demokraten – auch in dieser Gesellschaft.
"Es geht auch um die Wahrhaftigkeit einer Gesellschaft"
Dittrich: Worin besteht denn der Konflikt zwischen Muslimen und Jesiden, den Sie ja auch beschreiben bei den Jesiden als einer Religion ohne Buch?
Tekkal: Glücklicherweise gilt der ja nicht zwischen allen Jesiden und Muslimen – das ist mir wichtig. Und trotzdem ist es auch wichtig, dass wir das thematisieren. Die Friedenversöhnungen, die müssen natürlich vorangetrieben werden und stattfinden. Ich glaube, jedem ist mittlerweile klar, dass die im Zuge der Völkerwanderung, der Globalisierung und Flüchtlingsströme die Problem im Mittleren, Nahen Osten nicht mehr so weit weg sind, wie wir denken.
Das heißt, wenn es dort im Irak und Syrien beispielsweise zu Konflikten kommt zwischen Religionen, tragen wir das leider mittlerweile auch hier in Deutschland aus. Da hat es mehrere Glaubenskriege gegeben in verschiedenen deutschen Städten, wo es zu Schwerverletzten kam, zu Schlägereien.
Das dürfen wir nicht zulassen. Da geht es auch um die Wehrhaftigkeit einer Gesellschaft, einer Demokratie, in der wir uns befinden, wo ich glaube, dass wir da auf jeden Fall noch Spielraum haben, den wir einsetzen müssen, weil sich die Lebenswirklichkeit auch verändert hat. Ich komme beispielsweise aus einer Kindheit, wo ich noch partizipieren durfte an Chancengleichheit und Multikulti. Aber das ist vorbei. Ich glaube, wir müssen uns wirklich davon verabschieden. In diesem Zusammenhang rede ich von daher auch immer Ankommenskultur und nicht nur Willkommenskultur.
Dittrich: Vielen Dank, Düzen Tekkal nach Berlin. Heute erscheint im Berlin Verlag ihr Buch mit dem Titel "Deutschland ist bedroht. Warum wir unsere Werte jetzt verteidigen müssen", 224 Seiten kosten 16 Euro und 99 Cent.
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