Steinberg sagte weiter, Deutschland brauche einen wirklichen dschihadistischen Aussteiger. "Es wäre ungeheuer wichtig, dass man so jemanden hat, der eine gewisse Glaubwürdigkeit unter jungen Leuten hat." Das sei der erste Schritt und darauf könne man dann auch ein Aussteigerprogramm aufbauen. "Wir haben inzwischen eine so große Zahl von Ausreisen, dass solche weicheren präventiven Maßnahmen ganz, ganz dringend geboten sind." Es sei die Größe dieser Bewegung, die Sorgen machen müsse.
Etwa 400 Menschen seien aus Deutschland als Dschihadisten in Krisenregionen gereist. Bislang gebe es zumindest einige Rückkehrer, die nach eigenen Angaben desillusioniert seien. Steinberg betonte, ob das aber auch stimme, ließe sich erst nach einigen Jahren überprüfen. Meistens gehe es diesen Männern weniger um konkrete Gewalterfahrungen, sondern die Lebenssituation habe ihnen zu schaffen gemacht, zum Beispiel schlechtes Wasser, Krankheiten oder wie sie als Rekruten behandelt wurden.
Thielko Grieß: Am Flughafen in Frankfurt am Main sind drei Männer festgenommen worden. Die Bundesanwaltschaft verdächtigt sie, an Kämpfen der radikal-islamischen Shabaab-Miliz in Somalia teilgenommen zu haben.
Ähnliche Berichte gibt es in diesen Tagen auch aus Großbritannien, ebenfalls über zurückkehrende desillusionierte Radikale. Am Telefon begrüße ich jetzt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, einem von der Bundesregierung finanzierten Beratungsgremium. Herr Steinberg, guten Tag.
Guido Steinberg: Guten Tag, Herr Grieß.
Grieß: Erwarten Sie mehr Desillusionierte, die nach Deutschland zurückkehren?
Steinberg: Ja, das werden wir sicherlich erleben. Es geht ja um insgesamt 400 Leute, die in den letzten zwei bis drei Jahren in Syrien gewesen sind, zum Teil schon zurückgekehrt sind, und zumindest einige von denen geben an, dass sie desillusioniert sind, dass die Kämpfe vor allem zwischen den Dschihadisten sie dann doch erschrocken haben, dass da wahre Muslime gegen wahre Muslime kämpfen. Das wird ein Phänomen sein, das uns die nächsten Jahre begleitet.
Grieß: Ändert das denn etwas an dem Grad der Radikalität dieser Menschen?
Steinberg: Ja es ist doch häufig zu beobachten, dass ein gewisser Teil dieser Rückkehrer sich anschließend von der dschihadistischen Ideologie abwendet. Wir konnten das in Pakistan beobachten in den letzten Jahren. Allerdings ist es eben fraglich, inwieweit das die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden beeinflussen muss, weil es geht ja darum, vor allem festzustellen, wie weit denn dieser Prozess schon gediehen ist und ob die nicht doch eine Gefahr darstellen. Dass diese Aussagen tatsächlich stimmen, das kann man ja oft erst nach einigen Jahren tatsächlich dann feststellen.
Gründe für Rückkehr: "Schlechtes Essen, schlechtes Wasser, Krankheiten"
Grieß: Die Reise in das Bürgerkriegsland, in Bürgerkriegsgegenden kann tatsächlich die Wahrnehmung sehr stark verändern. Aber, Herr Steinberg, was muss man sich denn vorher ausgemalt haben als radikaler Islamist, um dann an Ort und Stelle vom Grauen des Krieges noch überrascht zu werden?
Steinberg: Es sind ganz, ganz viele Dinge, die da überraschen. Es ist natürlich Theorie, mit der man hier konfrontiert wird, vor allem sehr, sehr blumige Propaganda, sehr schöne Bilder von Abenteuern, die man dort erleben kann, und die Lebenssituation ist dann häufig doch nicht so gut. Es geht allerdings oft gar nicht so sehr um konkrete Gewalttaten, die man da erlebt, weil in vielen Fällen auch die deutschen Rekruten weit ab des Kampfgeschehens sich aufhalten. Es ist oft auch nur die Lebenssituation, das schlechte Essen, das schlechte Wasser, die Krankheiten, und dann natürlich der Umgang mit den Rekruten in den jeweiligen Organisationen. Da gibt es große Unterschiede. In Pakistan war es zum Beispiel eine usbekische Organisation, die dafür gesorgt hat, dass viele Deutsche zurückgekehrt sind, weil sie bei einer solchen Gruppe ganz einfach nicht mehr bleiben wollten, und Ähnliches müssen wir auch in Syrien erwarten. Da gibt es durchaus auch ein gewisses Potenzial für die deutsche Politik, zu reagieren.
Grieß: Apropos Potenzial für die Politik zu reagieren, Herr Steinberg. Es gibt Aussteigerprogramme für Salafisten in Deutschland. Da geht es aber nicht unbedingt um diejenigen, die in Bürgerkriegsgegenden gegangen sind und dann zurückkehren wollen. Braucht Deutschland auch ein Aussteigerprogramm für Dschihadisten?
Steinberg: Ja, ich denke doch, und zwar braucht Deutschland vor allem erst mal einen wirklichen dschihadistischen Aussteiger. Es wäre ungeheuer wertvoll, wenn man einen dieser jungen Männer, sind es ja in der Mehrzahl, dazu bewegen könnte, einmal davon zu erzählen, wie denn tatsächlich die Situation ist, einen dieser Desillusionierten zu gewinnen. Da hat es schon Versuche gegeben, beispielsweise mit einem Mitglied der Sauerland-Zelle. Die sind allerdings gescheitert. Es wäre allerdings ungeheuer wichtig, dass man jemanden hat, der so eine gewisse Glaubwürdigkeit unter den jungen Leuten hat, weil er irgendwo eine Rolle gespielt hat in einer Organisation, und der gleichzeitig sagt, nein, ich habe mich davon abgewandt. Das wäre der erste Schritt und darauf könnte man dann sicherlich auch ein Aussteigerprogramm aufbauen.
"Es ist die Größe dieser Bewegung, die Sorgen machen muss"
Grieß: Ist der soziale Druck so stark, dass es bislang keiner gewagt hat?
Steinberg: Ja. Es ist meines Erachtens einmal der Druck aus der Szene, der dafür gesorgt hat. Es ist aber wohl auch eine gewisse Unentschlossenheit der deutschen Behörden. Da wird doch sehr, sehr heftig darüber gestritten. Zumindest in dem einen Fall, den ich eben erwähnt habe, gibt es doch Hinweise darauf, dass es da größere Meinungsverschiedenheiten gab, inwieweit sich der denn abgewandt hätte von der Szene. Ich denke, dass da zunächst einmal eine politische Entscheidung notwendig ist, und zwar bundesweit, nach solchen Personen zu suchen und die dann gegebenenfalls für die Öffentlichkeitsarbeit einzusetzen. Wir haben mittlerweile eine so große Zahl von Ausreisen, dass meines Erachtens solche politischen weicheren präventiven Maßnahmen ganz, ganz dringend geboten sind, selbst wenn man der Meinung ist, dass repressive Maßnahmen eher zum Erfolg führen. Es ist ganz einfach die Größe dieser Bewegung, die Sorgen machen muss.
Grieß: Nun ist ja Resozialisierung ein Merkmal des deutschen Justizsystems. Warum wird bei diesem Aspekt, bei Salafisten, bei Dschihadisten so sehr auf Repression gesetzt?
Steinberg: Nun, ich denke, dass es da vor allem Probleme in der Diagnose gibt und Probleme in der Koordination. Es gab eine AG Deradikalisierung des Bundes und der Länder, die hat von 2009 bis 2013 getagt. Dann hat die erst Empfehlungen vorgelegt und die wurden nur sehr stückweise von einzelnen Ländern angewandt und interessanterweise vor allem von den Ländern, die im Moment die größten Ausreiseprobleme haben, nämlich an erster Stelle Nordrhein-Westfalen und Hessen. Das zeigt, dass da unsere Politik des Bundes und der Länder nicht an einem Strang zieht und dass es dann darüber hinaus auch noch Probleme bei der Definition dessen gibt, wo man denn eigentlich ansetzen muss, und ich denke, bei einem solchen Aussteigerprogramm, das mit einzelnen Personen beginnt, wären diese politischen Probleme nicht so weit gediehen. Da, denke ich, kann man doch einen Konsens voraussetzen.
Grieß: Braucht Deutschland ein Aussteigerprogramm für Dschihadisten? Das war eine grundlegende Frage dieses Gesprächs mit Guido Steinberg. Und die Antwort in einem Wort: Ja! Danke schön, Herr Steinberg, für dieses Gespräch heute Mittag.
Steinberg: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.