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Islamkonferenz in der Sackgasse

Wichtige muslimische Verbände nähmen nicht mehr an der Islamkonferenz teil, weil bestimmte Themen wie Islamfeindschaft dort nicht angemessen aufgegriffen würden, sagt Jürgen Micksch vom Interkulturellen Rat Deutschland. Die Gespräche müssten dennoch weitergeführt werden.

Jürgen Micksch im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Jürgen Micksch leitet ein Forum, das so ähnlich klingt, aber doch anders aufgebaut ist als die Islamkonferenz: Er ist Vorsitzender des Interkulturellen Rates Deutschland, 1994 schon gegründet, getragen von Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, Asyl- und Menschenrechtsorganisationen und so weiter. Guten Tag, Herr Micksch!

    Jürgen Micksch: Einen guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Macht die Konferenz noch Sinn?

    Micksch: Die Konferenz ist sicherlich in einer Sackgasse, aber die Gespräche müssen weitergeführt werden. Es ist wichtig, dass man jetzt die Themen herauskristallisiert, wo sich Gespräche lohnen. Und da gibt es sehr viele Themen.

    Meurer: Eine Reihe von Organisationen, islamischen Verbänden, hat die Konferenz ja schon längst verlassen. Wie repräsentativ ist das alles überhaupt noch?

    Micksch: Da kann man sehr viele Antworten drauf geben. Auf jeden Fall für die Moscheegemeinden sind die islamischen Verbände repräsentativ. Aber da muss man eben sehen, dass Muslime nur zu einem geringen Teil sich an den Moscheegemeinden orientieren und dort auch zum Freitagsgebet gehen. Aber es sind immerhin die Moscheegemeinden und die Verbände die einzigen größeren Organisationen, die Muslime repräsentieren. Es gibt immer wieder andere, die sagen, wir tun das auch, aber die haben eigentlich keine große Rolle bisher gespielt.

    Meurer: Worin besteht die Sackgasse, von der Sie eben gesprochen haben?

    Micksch: Die besteht tatsächlich darin, dass wichtige Verbände jetzt ausgetreten sind und nicht mehr richtig mitmachen. Und dass eben Themen, die von Muslimen gewünscht werden, zwar vor Jahren mal wohl vereinbart worden sind, mitbehandelt werden, aber nicht angemessen aufgegriffen wurden. Also zum Beispiel Themen wie Islamfeindschaft, die Muslime in den Vordergrund gestellt haben, die wurden nicht wirklich so intensiv behandelt, wie das notwendig gewesen wäre. Und deswegen auch das Problem, dass eben in großen Teilen der deutschen Bevölkerung Muslime immer noch als Bedrohung angesehen werden.

    Meurer: Bestand das Problem oder besteht es auch darin, dass die Verbände nicht über das Thema innere Sicherheit reden wollen?

    Micksch: Nein, die wollen darüber reden, aber die wollen nicht vor allem über dieses Thema reden. Und in dem Moment, wo dieses Thema immer wieder in den Vordergrund gestellt wird, wird ja in der Bevölkerung der Eindruck erweckt, Muslime sind vor allem ein Sicherheitsrisiko. Und davon wollen die Verbände mit Recht wegkommen, weil sie sagen: Wir haben damit nichts zu tun. Es gibt Probleme im Bezug auf Sicherheitsfragen, da sind Polizei und andere dafür zuständig, aber nicht die Moscheegemeinden.

    Meurer: Viele Deutsche sagen, oder sagen wir mal, einige Deutsche sagen, die Muslime wollen sich ja nicht integrieren. Bekennen sich die Muslime zu Deutschland?

    Micksch: Untersuchungen haben gezeigt, dass eine große Mehrheit der hier lebenden Muslime ja zu dieser Gesellschaft sagt, vor allem auch ja zu dieser Demokratie, weil sie wissen, dass sie hier bessere Lebensverhältnisse, bessere demokratische Strukturen haben als in den meisten ihrer Herkunftsländer. Und deswegen kann ich nur sagen, mit den Muslimen, mit denen ich zu tun habe und vor allem auch mit den großen Muslimverbänden, da ist eine große Bereitschaft da, auf diese Gesellschaft zuzugehen. Unabhängig davon gibt es natürlich Probleme. Es gibt zum Beispiel Einflussnahmen eben aus Ankara und aus anderen Ländern, Iran zum Beispiel, auf Moscheegemeinden hier, die höchst problematisch sind. Die aber auch in der Deutschen Islamkonferenz, soweit ich beobachten kann, bisher nicht erörtert worden sind.

    Meurer: Ist denn die Bereitschaft, sich zu Deutschland zu bekennen, auch in den sogenannten Ghettos ausgeprägt?

    Micksch: Ich weiß nicht, was Sie meinen mit Ghettos.

    Meurer: Die Gebiete, in denen über 50 Prozent Ausländeranteil herrschen.

    Micksch: Ich würde sagen, dass dort genau so die Bereitschaft ist, hierzubleiben und zu sehen, dass man in dieser Gesellschaft mit leben kann. Dass es da natürlich Tendenzen auch der Abgrenzung gibt, ist ganz klar, vor allem wenn Menschen und auch junge Leute nicht sich wirklich anerkannt fühlen. Zum Beispiel diese ganzen NSU-Ereignisse haben natürlich dazu beigetragen, dass eine Distanz zu dieser Gesellschaft entstanden ist. Aber insgesamt wollen hier anwesende Menschen vor allem aus der Türkei und anderen muslimischen Ländern hier in Frieden und gut mit den Deutschen und einheimischen Bürgern zusammenleben.

    Meurer: Hat diese furchtbare Mordserie Muslime und Mehrheitsgesellschaft noch weiter auseinandergetrieben?

    Micksch: Auf jeden Fall hat sie erhebliche Ängste bei Muslimen ausgelöst. Manche haben immer wieder den Eindruck bekommen, auch in der Art und Weise, wie das dann behandelt worden ist, jetzt wieder diese Medienthematik, dass Muslime hier nicht gewollt sind. Und dann gab es immer wieder Stimmung, zu sagen, wir müssen zurückkehren in unser Herkunftsland. Aber insgesamt gibt sich das immer wieder, immer sieht man wieder, man hat doch in den Herkunftsländern nicht die Lebenschancen, die Perspektiven, die Demokratie, die Freiheiten, die in Deutschland bestehen.

    Meurer: Herr Micksch, wie kommen wir aus der Sackgasse wieder heraus?

    Micksch: Indem man sich zusammensetzt mit den Vertretern der Muslime und überlegt, welche Themen zu diskutieren sind. Und das sind Themen, die ja schon bisher auch erfolgreich bearbeitet worden sind, das ist ja auch gesagt worden: Imam-Fortbildung, die Situation an den Universitäten, die Wahrnehmung der Vielfalt von Muslimen, Möglichkeiten, wie Angst abgebaut werden kann, und so weiter, dass man überlegt, welche Themen sind zukünftig wichtig. Das können zum Beispiel Fragen sein: Wie kann antimuslimischer Rassismus überwunden werden? Welche Aufgaben hat der Verfassungsschutz, der ja mit dazu beiträgt, dass Ängste sich verstärken in der Gesellschaft? Was soll die Rolle der Medien in Deutschland sein, die sich ja wenig um Ausländer überhaupt kümmern, und was zum Beispiel soll die Rolle der Herkunftsländer sein, die immer noch zu dominant ist in Bezug auf die hier lebenden Muslime? Oder Themen wie Jugendarbeit, der Aufbau eines muslimischen Wohlfahrtsverbandes und anderes.

    Meurer: Also genügend Gesprächsstoff wäre vorhanden, um eine Islamkonferenz fortzusetzen. Jürgen Micksch war das, der Vorsitzende des Interkulturellen Rates in Deutschland. Danke, Herr Micksch, Wiederhören!

    Micksch: Danke, Herr Meurer!


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