40 Jahre lang hat Eva-Maria El-Shabassy mit Kopftuch unterrichtet. Die zum Islam konvertierte Deutsche war Grundschullehrerin. Inzwischen ist sie im Ruhestand und engagiert sich im Zentralrat der Muslime als Beauftragte für Islamunterricht. Was manche ihrer noch aktiven Kolleginnen erleben, ist für El-Shabassy völlig unverständlich:
"Im Religionsunterricht dürfen die ein Kopftuch tragen. Aber stellen Sie sich vor, jemand unterrichtet nicht nur Religion, sondern Mathematik oder Deutsch: Dann geht sie in die Klasse, zieht's Kopftuch auf, und dann zieht sie es wieder ab, und dann zieht sie es wieder auf, dann wieder ab. Das ist ja ein Zustand, das geht ja überhaupt gar nicht."
2003 fällte das Bundesverfassungsgericht das sogenannte Kopftuch-Urteil: Die Bundesländer sollten gesetzlich regeln, ob muslimische Lehrerinnen in der Schule ein Kopftuch tragen dürfen oder nicht. Seither ist dies in acht Bundesländern verboten, darunter in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Die Begründung: Lehrkräfte im Dienste des Staates müssten religiöse Neutralität wahren. Sie dürften Schüler nicht beeinflussen oder gar indoktrinieren. Zwar gelten für den islamischen Religionsunterricht Ausnahmen. Aus Sicht von Eva-Maria El-Shabassy ist das aber keine tragfähige Lösung.
"Einer meiner Schüler ist mal interviewt worden und wurde gefragt: Findest du es nicht komisch, dass deine Lehrerin Kopftuch trägt? Sagt der: Nö, Hauptsache, sie ist nett und kann uns was beibringen. So sehen das auch die Eltern: Wenn das eine engagierte Lehrerin ist, ist denen das egal, wie die aussieht."
Ist das Kopftuch ein Symbol für die Unterdrückung von Frauen im Islam? Oder tragen es Musliminnen freiwillig – aus religiöser Überzeugung? Die seit Jahren schwelende Debatte kommt nun erneut an einen Wendepunkt: Zwei Lehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen haben Verfassungsbeschwerden gegen das Kopftuch-Verbot erhoben. Das Bundesverfassungsgericht will noch in diesem Jahr entscheiden. Dann hätte die Politik womöglich einen Anlass, die bisherigen Gesetze zu kassieren. Denn für den Islamunterricht fehlen bundesweit mehrere hundert Lehrkräfte. Auch deshalb, weil sich viele Frauen nicht vorstellen könnten, in der Schule aufs Kopftuch zu verzichten, sagt Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor.
"Ich halte wenig davon, das aus dem Unterricht zu verbannen. Weil man einfach qualifiziertem Lehrpersonal die Zukunftsperspektiven nimmt. Ich halte das für einen Fehler. Man kann diesen Frauen nur auf den Kopf und vor den Kopf schauen, aber nicht in den Kopf. Und ich finde es schlimm, nur weil eine Person Kopftuch trägt, ihr erst mal zu unterstellen, sie hätte ein Problem mit unserer Werteordnung oder mit ihrem Religionsverständnis."
Kaddor ist Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes und trägt selbst kein Kopftuch. Sie plädiert dafür, die Lehrerinnen selbst entscheiden zu lassen, wie sie sich kleiden.
"Ich finde auch diesen Pluralismus innerhalb der Musliminnen – da tragen ja Frauen auch ganz unterschiedliche Kopftücher – warum soll das nicht auch in der Schullandschaft abgebildet sein? Die Qualität des Unterrichts ist weder zu- noch abnehmend, nur weil eine Frau ein Kopftuch trägt."
Im Koran lassen sich nach Auffassung islamischer Theologen sowohl gute Gründe für wie gegen die Kopftuch-Pflicht finden. Entsprechend kontrovers sind die Meinungen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft.
Gute Gründe für und wider das Kopftuch
Prinzipiell könne das Kopftuch ein religiöses, politisches, soziales oder kulturelles Statement sein, meint Harry Harun Behr, Professor für Islamische Religionslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg. Musliminnen müssten deshalb das Vorrecht haben, das Kopftuchtragen für sich selbst religiös zu begründen.
"Ich vertrete die Auffassung, dass die sichtbare, signalhafte religiöse Bekleidung in das subjektive religiöse Recht der Person fällt. Dass sie die Wahlfreiheit hat, das zu tragen oder nicht, und dass der Islam diese Wahlfreiheit schützt. Also gleichermaßen die Frau, die sich entscheidet, das Kopftuch zu tragen in Schutz nimmt, wie auch die Frau, die sich entscheidet, es nicht zu tragen. Diese Pluralität, die im Islam gut begründbar ist, müsste sich dann auch durchsetzen auf die Frage, welche Lehrkraft mit welchem Tuch auf dem Kopf oder ohne Kopftuch unterrichtet."
Rund drei Viertel der Studierenden im Fach Islamische Religionslehre an deutschen Universitäten sind Frauen. Etliche von ihnen bedecken ihre Haare aus Überzeugung. Islamunterricht als flächendeckendes Regelfach dürfte deshalb nur eingeführt werden können, wenn Lehrerinnen das Kopftuchtragen erlaubt wird.
"Das Lernziel in den Schulen müsste dann lauten: Nicht die Frau mit dem Kopftuch ist die Vertreterin des wahren Islam, sondern der Islam schützt das Recht der Frau zu entscheiden, wie sie mit der Frage religiöser Kleidung eigentlich umgehen will. Und zwar ohne sozialen Druck der aufgebaut wird. Aber mit diesem Argument dringt man schwer durch, weil es da sehr starke kulturelle Aufladungen gibt, die in den Bereich der Ideologie hinüber schwappen."
Eine theologische Auseinandersetzung mit der Kopftuch-Frage fehlt
Hochschullehrer Behr fordert eine theologische Auseinandersetzung mit der Kopftuch-Frage. Diese fachlich-wissenschaftliche Stimme fehle bislang. Anschließend könne die islamische Theologie der Politik Empfehlungen geben, wie neue Gesetze aussehen könnten. Denn auch unter den Studierenden wird das Thema intensiv diskutiert, sagt die angehende Lehrerin Emel Löffelholz aus Nürnberg:
"Ich bin der Meinung, dass an erster Stelle das Herz involviert sein muss. Es geht nicht nur darum, komplett den Körper zu verdecken, sondern es geht auch darum, dass etwas von Herzen kommen muss. Im Islam gibt es keinen Zwang. Wenn es nicht von Herzen kommt und ich mich trotzdem verschleiern soll, hat niemand etwas davon."
Emel Löffelholz will ohne Kopftuch unterrichten und hat deswegen auch kein Problem mit der derzeitigen Gesetzeslage.
"Ich lauf jetzt zwar nicht mit Minirock durch die Gegend, aber ich ziehe das an, worin ich mich wohlfühle. Ich versuche, die Mitte zu finden zwischen Tanktop und Minirock einerseits und andererseits schwarz verschleiert. Ich bin nicht der Meinung, dass Religion auf Kopftuch reduziert werden darf. Wenn die Schüler eine Lehrkraft vor sich haben, die nicht verschleiert ist, aber genauso sich im Islam auskennt und auf Fragen antworten kann, dann geht es nicht einfach nur um das Kopftuch."
Wie umstritten die Frage nicht nur unter Studierenden ist, zeigt das Ergebnis des aktuellen Integrations-Barometers im Auftrag mehrerer Stiftungen: Knapp zwei Drittel der Befragten ohne Migrationshintergrund wollen es muslimischen Lehrerinnen nicht erlauben, an staatlichen Schulen Kopftuch zu tragen.