Abschaffen – fordern die einen. Ausbauen – sagen die anderen. Der schulische Religionsunterricht sorgt immer wieder für Kontroversen. Dass es ihn gibt, ist verfassungsrechtlich verankert – in Artikel sieben des Grundgesetzes. Matthias Otte, Schulreferent beim Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland – kurz EKD:
"Der bekenntnisorientierte Religionsunterricht hilft den Schülern, sich frei und selbständig religiös zu orientieren. Dass er dialog- und sprachfähig macht über Religion und Weltanschauung. Dass er dazu hilft, die eigene Position, Identität zu klären und auf diese Art und Weise zu einem demokratischen Gemeinwesen in positiver Weise beizutragen."
Diesen Gedanken hatten die Autoren des Grundgesetzes, als sie dem Religionsunterricht nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches Verfassungsrang einräumten. Obwohl die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland zurückgeht, sei Religion in der Schule nicht verzichtbar, meint Otte. Im Gegenteil:
"Man braucht sich nur mal Schulen anzuschauen, wo viele Schüler mit Migrationshintergrund kommen. Die kommen mit ihrer Religion, die ja auch in den Ländern sehr unterschiedlich ausgeformt ist. Der türkische Islam ist ein anderer als der arabische Islam. Wir müssen über Religion in der Schule mehr reden. Wir können es nicht rausdrängen. Wenn wir es raus drängen, dann nehmen andere das Feld ein, und das ist für die Gesellschaft und für die Schule möglicherweise nicht gut."
Denn wenn religiöse Bildung hinter verschlossenen Türen stattfindet, etwa in privaten Glaubensschulen, gibt es auch weniger gesellschaftliche Kontrolle. Die christlichen Kirchen, evangelisch wie katholisch, wollen wie die Muslime: bekenntnisgebundenen Unterricht in den Schulen. Deshalb unterstützen sie den Islamunterricht in deutscher Sprache.
"Wir haben als evangelische Kirche schon seit 20 Jahren gesagt: Es ist ganz wichtig, dass es auch für diese Schüler ein Angebot des konfessionellen Religionsunterrichts gibt. Es ist auch eine Anerkennung für sie, dass sie mit ihrem Glauben in Deutschland ankommen können. Vor allen Dingen, um auch den Islam als Stimme in der Schule präsent zu haben, und diese unterschiedlichen Weltanschauungen und religiösen Orientierungen in einen Dialog zu bringen."
Als Hemmnis für die Einführung des Islamunterrichts galt lange der geringe Organisationsgrad der Muslime. Der Staat vermisste einen klaren Ansprechpartner, wie er es von den Kirchen gewohnt ist. Das aber lässt EKD-Referent Matthias Otte nicht gelten: Auch die Einführung des christlichen Religionsunterrichts sei nicht reibungslos verlaufen.
"Dieser Religionsunterricht hat sich über die Jahre hinweg sukzessive verändert. So ein Ähnliches Ringen sehe ich heute auch zwischen den muslimischen Verbänden: Welches sind die Inhalte, wie wird es unterrichtet? Da gibt es durchaus eine Spannbreite. Aber wenn man auf die eigene geschichtliche Entwicklung schaut, das muss man den islamischen Religionsgemeinschaften zugestehen, da darf es Wege, Umwege, vielleicht sogar manchmal auch Irrwege geben. Das sollte unsere Demokratie aushalten, wenn so ein Schulfach sich etabliert."
Die Kirchen wollen den Islamunterricht
Manche mag das eindeutige Votum der Kirchen für den Islamunterricht überraschen. Gibt es doch nach wie vor Befürchtungen, die wachsende Zahl der Muslime in Deutschland könnte auf Kosten des Christentums gehen. Solchen Überlegungen erteilt der Würzburger Weihbischof Ulrich Boom eine Absage. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Schul-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz.
"Es ist eine Frucht des Zweiten Vatikanums, dass wir in allen Religionen etwas von Gott aufscheinen sehen und dass wir uns mit Respekt begegnen. Es geht im Letzten nicht um Seelenhandel, sondern um Seelenwandel, und es ist ja im Islam genauso wie im Christentum, dass sich die Menschen mit einer Hochschätzung begegnen."
Die Kirchen also wollen den Islamunterricht – und sie wollen mit den Muslimen in der Schule zusammen arbeiten, sagt Weihbischof Boom:
"Man muss das weiter entwickeln. Ich denk, das ist ja auch zunehmend mehr gefordert, dass wir untereinander kooperieren. Und diese Weiterentwicklung ist unter den Kirchen und dann auch im Blick auf die Religionen ganz bestimmt notwendig."
Warum dann nicht gleich das Modell einer Religionskunde? Ein Unterricht, in dem die Schüler die Grundlagen der verschiedenen Religionen kennenlernen, außerdem allgemeine ethische Grundprinzipien. Vorbild könnte das Fach "Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde" in Brandenburg sein. Das aber bringe gerade jüngere Kinder eher durcheinander, sagen die Religionsgemeinschaften – die natürlich auch ihren Einfluss auf die Lehrinhalte wahren wollen. Unterstützt werden sie aus der Rechtswissenschaft. Stefan Korioth, Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, meint: Religiöse Toleranz setzt einen eigenen Standpunkt voraus, will sie nicht indifferent sein.
"Bekenntnisorientierten Religionsunterricht gibt es, weil der Staat es auch heute noch als seine Aufgabe ansieht, religiöse Bildung in die Schule zu integrieren. Religion sollte kein verbrämter Ethikunterricht sein oder Lebenskundeunterricht. Religionsunterricht sollte sich nicht scheuen, die Konfessionalität – das eigene Bekenntnis – in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen."
Korioth sieht das Verfassungsrecht des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach bedroht – durch eine zunehmende Konkurrenz des Ethikunterrichts. In Berlin, Brandenburg, Bremen und Hamburg gibt es vom Grundgesetz abweichende Unterrichtsmodelle – zum Teil aufgrund der sogenannten Bremer Klausel, die ebenfalls durch die Verfassung gedeckt Ausnahmen erlaubt. Manche Kritiker des Religionsunterrichts würden den erstarkenden Islam als Vorwand nutzen, um die derzeitige Rechtslage indirekt in Frage zu stellen, sagt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland.
"Da gibt es eine ganze Reihe von Gruppen in unserem Land, die das gerne abgeschafft sehen wollen und dem andere Modelle entgegensetzen. Ethikunterricht, oder ganz den Religionsunterricht aus der Schule verbannen. Da wünsche ich mir, dass wir offener miteinander sprechen und nicht das auf dem Rücken der Muslime austragen. Sondern ganz offen sagen, ich bin für die Abschaffung dieses Modells. Das finde ich ehrlicher, als es auf unserem Rücken auszutragen."
An dieser Stelle könnten Muslime und Christen noch mehr an einem Strang ziehen, so Aiman Mazyek. Die Kirchen sollten sich verstärkt für den Islamunterricht einsetzen.
"Die Unterstützung ist ausbaufähig, auf jeden Fall. Ich denke aber auch, dass in der Vergangenheit die Kirchen sich gerade was den Religionsunterricht angeht auch deutlich zu Wort gemeldet haben, um sicherzustellen, dass dieses Konstrukt – was sicherlich auch einmalig ist in seiner Ausgestaltung in Deutschland, sowas gibt es kaum in anderen Ländern – dass das beibehalten wird."
Schulreferent Matthias Otte von der EKD sieht durchaus, dass christliche Theologen die Muslime dabei unterstützen, ihren Religionsunterricht zu entwickeln.
"Das ist ja vielfach der Fall. Da gibt es auf der Arbeitsebene vielfältige Kontakte, wo auch die Muslime zur Kenntnis nehmen, wie ist denn ein evangelisches Religionslehrbuch aufgebaut. Und da Unterstützung zu bekommen, auch aus den religionspädagogischen Instituten, die die evangelischen Landeskirchen haben. Da gibt es verschiedentlich Kontakte und auch Unterstützung."
Ein Beispiel ist Erlangen: Dort schrieben evangelische Theologen zusammen mit Muslimen die Lehrpläne für den islamischen Unterricht an bayerischen Schulen. Ihr gemeinsames Ziel: dass der bekenntnisgebundene Religionsunterrichts Zukunft hat.