Doris Schäfer-Noske: Ein Märchen ist gestern Abend zu Ende gegangen - das von den tapferen Wikingern, die von den "Huh!"-Rufen ihrer Anhänger von einem Sieg zum nächsten getragen wurden. So konnten sie auch gegen Gegner bestehen, die eigentlich viel stärker waren als sie. Gestern Abend mussten sie dann allerdings doch die Segel streichen, aber sie kehren erhobenen Hauptes auf ihre Insel zurück. Ein Inselvolk sind die Isländer wie die Briten. Doch während die Briten sich ja gerade aus geografischen Gründen nicht zu Europa gehörig fühlen, hatte man bei den Isländern den Eindruck: Die wollen dabei sein. Frage an den isländisch-deutschen Schriftsteller Kristof Magnusson: Herr Magnusson, wie groß ist denn das Europa-Gefühl der Isländer?
Kristof Magnusson: Was auf jeden Fall sehr groß ist bei den Isländern ist der Wunsch, international wahrgenommen zu werden. Man muss sich vorstellen: Island war ja vor 70 Jahren noch gerade mal erst unabhängig geworden und vorher jahrhundertelang einfach arm, isoliert. Und jeder Isländer hat das erlebt: Man kommt ins Ausland und niemand weiß irgendwas über das eigene Land. Das heißt, früher wurde mein Vater wirklich gefragt: Wohnt ihr da in Iglus? Das heißt, wenn man das einmal bedenkt, dann ist dieser Wunsch, international überhaupt irgendwo dazuzugehören, ganz, ganz stark, und dieses Dazugehören, das ist schon hauptsächlich gerichtet nach Europa.
"Modell von Optimismus und Begeisterungsfähigkeit"
Schäfer-Noske: Aber zur EU wollen die Isländer ja trotzdem nicht gehören. Sie haben ja die Verhandlungen abgebrochen.
Magnusson: Das ist richtig. Das ist für die Isländer auch nicht dasselbe. Zu Europa gehören sie ganz eindeutig, aber was die EU betrifft, da gibt es einige politische Verwerfungen, was zum Beispiel am Fischfang liegt. Die Isländer haben ja ein sehr, sehr großes Hoheitsgebiet um ihr Land drum herum. Die große Angst der Isländer ist, dass in diesem Gebiet dann irgendwann auch deutsche oder spanische Fischer kommen und ihnen wirklich den Fisch wegfischen.
Schäfer-Noske: Viele in Deutschland haben sich im Zuge des Erfolges der Isländer bei der EM über die Namen der isländischen Fußballer informiert, über isländische Wörter. Sind wir Europäer da auf der Suche nach einem Ersatz für die Briten?
Magnusson: Es ist natürlich schon auffällig, dass diese Begeisterung für Island genau damit einhergeht mit dem Brexit und dann ausgerechnet noch mit dem Spiel Island-England. Das hat, glaube ich, Island auf jeden Fall sehr, sehr viele Sympathien gebracht. Ansonsten ist die Vergleichbarkeit ja gar nicht da. Großbritannien ist zweitgrößte Volkswirtschaft in der EU gewesen und Island hat nun mal gerade 330.000 Einwohner. Ich glaube, was wir an Island eher suchen, ist so ein Modell von Optimismus und Begeisterungsfähigkeit, was uns gerade in der EU ja so ein bisschen abhandengekommen ist, und die Isländer haben eben diese Pioniermentalität. Das ist wiederum auch eine der wenigen Sachen, die sie dann auch wiederum von Europa unterscheiden und vielleicht eher dann in die Nähe von Amerika rücken - dieses 'wir fangen die Sachen erst an und überlegen dann, welche Probleme kommen, und lösen die und sind nicht zögerlich'.
"Naturbegeisterung der Deutschen findet sich stark in Island wieder"
Schäfer-Noske: Island ist in den Köpfen vieler ja auch ein Land der Elfen und Trolle, der heißen Quellen und Vulkane. Ist Island denn auch durch seine Sagen und seine Natur ein Sehnsuchtsland für Deutsche?
Magnusson: Das glaube ich auf jeden Fall, denn was ja interessant ist an dieser Island-Begeisterung, dass es sie zwar schon in vielen Ländern gab, aber in Deutschland war sie besonders stark gewesen. Das hat sicherlich einige Gründe. Ich würde immer denken, dass zum Beispiel die Deutschen eine grundsätzliche Eigenschaft der Isländer sehr stark nachvollziehen können, nämlich diesen Wunsch, im Ausland gut dazustehen. Und dann sind die Isländer eben dieses kleine sympathische Land, die allein schon aus ihrer Größe noch nie etwas international relevant Böses getan haben. Der zweite Punkt ist, glaube ich, auch, dass diese Naturbegeisterung der Deutschen sich stark in Island wiederfindet. Dann ist auch der Wunsch, diese Exotik zu haben wie in Island - was ja auf der einen Seite ein Land ist, was so funktioniert wie unseres, aber auf der anderen Seite ist es ein Land, was diese Vulkane hat, der Sand in den Sandkisten ist schwarz, die Autos sind ganz groß, die Pferde sind ganz klein. Das heißt, es hat so diese Mischung aus schon irgendwie so wie wir, aber doch exotisch.
"Eher ein Alterssitz für ermüdete Wikinger"
Schäfer-Noske: Welche Rolle spielen denn da die Wikinger?
Magnusson: Das ist natürlich eine Rolle, die die Isländer sich selber so ein bisschen ausgesucht haben. Historisch stimmt da gar nicht so wahnsinnig viel dran, weil Island ist natürlich geografisch einfach schon so isoliert, dass es für Wikinger eine denkbar schlechte Ausgangsbasis ist. Das heißt, wenn Island eine Wikinger-Insel ist, dann ist es eigentlich eher so eine Art Altersruhesitz für ermüdete Wikinger.
Schäfer-Noske: Und welche Rolle spielt das bei der Begeisterung der Deutschen? Bei denen spielen ja die Wikinger schon eine große Rolle, auch so als Helden.
Magnusson: Ja, ja. Und da kommt man natürlich auch zu der einzigen dunklen Seite von dieser deutschen Begeisterung eigentlich schon fast hin, weil es gibt natürlich auch Menschen, die Island aufgrund ihres vermeintlich so unmittelbaren Verhältnisses zum germanischen Erbe toll finden. Das gab es ja schon zu Zeiten der Nazis, eben diese Schimäre des reinen germanischen Erbes. Aber für viele ist natürlich dieses Wikinger-Ding einfach auch so eine Spaßgeschichte, und genauso präsentieren die Isländer es ja auch.
Schäfer-Noske: Die Begeisterung für die Isländer wird bleiben - das war der deutsch-isländische Schriftsteller Kristof Magnusson, der auch eine "Gebrauchsanweisung für Island" geschrieben hat.
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