Genau um 14:38 Uhr haben zu Beginn der Woche nahezu alle Frauen in Island ihre Arbeit niedergelegt. Viele von ihnen versammelten sich auf dem Austurvöllur, dem zentralen Platz vor dem Parlament und fordern lautstark: "Gleichberechtigung sofort!".
14:38 Uhr deswegen, weil Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weniger Lohn für die gleiche Arbeit erhalten. In Arbeitszeit umgerechnet werden sie am Tag trotz voller Leistung nur bis kurz nach halb drei bezahlt.
Sozialministerin Eygló Harðardóttir von der rechtsliberalen Fortschrittspartei hat den Protest unterstützt. Interims-Ministerpräsident Sigurður Ingi Johannsson und sie versuchen in diesen Tagen für ihre Partei zu retten, was noch zu retten ist angesichts drohender erdrutschartiger Verluste und einem innerparteilichem Krieg, der sich gegenwärtig zwischen alter und neuer Parteiführung abspielt.
Unentschlossenheit vor den Wahlen
Umfragen weisen nur noch um die neun Prozent für die Partei des Ministerpräsidenten aus, die Wut über die Affäre um die Panama Papers, über Lügen und verdeckte Offshore-Konten ist immer noch groß.
"Ja! Selbstverständlich. Ich habe überhaupt kein Vertrauen in diese Regierung, der jetzige Ministerpräsident ist nicht so schlimm wie der vorherige, Sigmundur Davíð Gunnlaugsson, und der konservative Finanzminister hat zwar seine Vorzüge, ist aber korrupt, er findet so vieles in Ordnung, was ich unmöglich finde."
Sagt Agla Magnúsdóttir. Sie ist Verlegerin und hofft, dass die Linksgrünen die Wahl gewinnen werden, in den Umfragen momentan drittstärkste Partei hinter den Piraten und der konservativen Unabhängigkeitspartei. Allerdings: Noch nie waren Umfragen so schwankend, noch nie so viele Wähler kurz vor der Wahl unentschlossen, und noch nie war die Parteienlandschaft so zersplittert wie jetzt. Statt vier haben sieben Parteien gute Aussichten ins Parlament einzuziehen, die meisten von ihnen Mitte-links, was vor allem auf Kosten der Sozialdemokraten geht.
"Es gibt derzeit keine klaren Blöcke in der Politik, es sieht nicht danach aus, dass zwei Parteien zusammen eine Koalition bilden können, so wie man das bisher immer hatte."
Erklärt Politik- und Geschichtsprofessor Guðmundur Hálfdánarson von der Universität Island. Keine Partei habe es geschafft, die Menschen wirklich von sich zu überzeugen. Wahlkampfthemen gebe es durchaus genug, das marode Gesundheitssystem, die Bildungspolitik oder auch die Verfassungsreform, die mit viel Eifer ausgearbeitet und vor der aktuellen Regierung auf Eis gelegt wurde. Doch eine große Debatte über die Zukunft der Nation finde nicht statt, kritisiert Guðmundur Hálfdanarson.
"Die Wirtschaft ist auch dank des Tourismus besser als lange zuvor, aber wie es weitergehen soll, das ist die große Frage. Es gibt kaum Streit, weil alle sich mit ihren Versprechen übertrumpfen. Nur die Wähler glauben diesen Worten nicht, und sie bekommen von niemandem echte Antworten."
Das Wahrscheinlichste ist eine Mitte-Links-Regierung aus drei oder sogar vier Parteien. Erstmals in der Geschichte des Landes gab es diese Woche Vorwahl-Sondierungsgespräche für eine Koalition. Die Piraten hatten dazu eingeladen. Links-Grüne, Sozialdemokraten und die Nachfolger der einstigen Spaßpartei, Bjart Framtið, waren gekommen.
Farbloser Wahlkampf
Für den Unternehmer Jónas Sigurgeirsson wäre das die schlechteste Lösung:
"Ich hoffe, dass die Unabhängigkeitspartei in die Regierung kommt und für wirtschaftliche Stabilität sorgt. Es ist Island noch nie so gut gegangen, zum ersten Mal haben wir einen Handelsüberschuss, und wir diskutieren Luxusthemen wie bedingungsloses Grundeinkommen oder kostenlose Gesundheitsversorgung. Wir haben ein Füllhorn, das wir nutzen könnten z.B. für Steuersenkungen."
Publizist Sigurður Svavarsson widerspricht vehement:
"Der Wirtschaftsaufschwung, den wir gerade wegen des Tourismus erleben, ist fragil und nicht nachhaltig. Ich hoffe, dass wir es mit guter Politik schaffen, Island wieder zu einem nordischen Wohlfahrtsstaat zu machen. Und dabei darf nicht geduldet werden, dass die Reichen ihr Geld ins Ausland bringen und keine Steuern in Island zahlen."
Obwohl die Zeiten turbulent sind, ist der Wahlkampf farblos geblieben. Die Menschen gehen momentan lieber für Handfestes auf die Straße – zum Beispiel Lohnanpassung für Frauen.