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Isolierende Kunststoffbahn

Umwelt. - Die Gletscher in Italien leiden immer stärker unter der Klimaerwärmung. Um sie vor dem Wegschmelzen zu retten, haben italienische Forscher nun zu einem ungewöhnlichen Mittel gegriffen: Sie hüllten den Dosdè-Gletscher im Valtellina-Tal unter eine weiße Kunststoffdecke und schützten ihn so vor großen Temperaturschwankungen und den Folgen der Sonneneinstrahlung.

Von Thomas Migge |
    In Italien kommt es nicht nur immer öfter zu Lawinenabgängen. Auch die Gletscher leiden unter der Klimaerwärmung. Seit einigen Jahren schmelzen die Festeismassen der Gletscher in den Sommermonaten so stark, dass Neueisbildungen im Winter diese Verluste nicht mehr wettmachen können, erklärt der Gletscherexperte Claudio Smiraglia von der Universität Mailand. Zusammen mit Kollegen unternahm er im norditalienischen Valtellina-Tal einen Rettungsversuch für den in rund 2800 Metern Höhe liegenden Dosdè-Gletscher:

    "Das Projekt entstand, weil unsere Gletscher immer unsicherer werden. Sie schmelzen zusehends, und so dachten wir uns, dass eine Methode, die in der Schweiz entwickelt wurde und bisher nur für den Skisport Anwendung fand, vielleicht auch zur Gletscherrettung eingesetzt werden kann. Wir wollten herausfinden, ob sich die Situation für die Gletscher verbessern lässt."

    Ein Schweizer Unternehmen entwickelte eine Kunststoffdecke, die in den nördlichen Alpen immer dann zum Einsatz kommt, wenn durch das Schmelzen von Schnee auf einem Gletscherrücken das Skifahren gefährlich werden könnte. In weitaus wärmeren Italien hat man ganz andere Sorgen: dort fürchtet man um die Integrität der Gletscher und um die sich daraus ergebenden Folgen für die Umwelt und die Menschen. Claudio Smiraglia:

    "Das war unser Ausgangspunkt. Wir nutzten für unsere Tests eine weiße Kunststoffdecke mit dem Namen ICE Protector 500. Dieses synthetische Material besteht aus einem Polyester- und Polypropylenmix und ist gerade einmal vier Millimeter dick. Die Decke lässt sich bequem ein- und ausrollen und ist somit leicht zu transportieren. Für unseren Test nutzten wir eine Decke von rund 150 Quadratmetern Größe. Um das Verhalten der oberen Schnee- und der unteren Eisschicht zu ermitteln, installierten wir auch eine Kontrollstation."

    Um Daten zu den geothermischen Entwicklungen auf und unterhalb der Schneedecke des Gletschers zu erhalten, installierten die Gletscherexperten eine transportable "Automatic Weather Station". Über verschiedene Sensoren im Bereich der Kunststoffdecke und einige Meter davon entfernt sammelte die Wetterstation Informationen zur Schnee- und Eisschmelze in den wärmeren Monaten und auch im Winter. Das Experiment der Forscher aus Mailand fiel in die Zeit zwischen Winter und Sommer des vergangenen Jahres. In den letzten Monaten wurden die zusammengetragenen Daten ausgewertet. Claudio Smiraglia:

    "Unser Test hat ergeben, dass Schnee und Eis unter der Kunststoffdecke weitgehend erhalten bleiben. Die im Winter erreichten 75 cm Schnee- und 115 cm Eisdicke schmolzen während der Sommermonate nur minimal. Der bei allen italienischen Gletschern beobachtete Trend, dass im Sommer mehr Schnee und Eis schmelzen als im Winter wieder hinzukommen, wurde in diesem Fall aufgehalten."

    Die Kunststoffdecke reduziert die in der Regel im Gebiet des Gletschers Dosdè ermittelten Temperaturschwankungen zwischen Winter und Sommer von durchschnittlich 17 Grad. Die Decke schützt aber nicht nur vor zu großen Temperaturschwankungen, sondern auch vor den Folgen der Sonneneinstrahlung. Mit der Folge, dass unterhalb der Abdeckung - im Unterschied zum übrigen Gletscher - zirka 43 Prozent des in Schnee und Eis gebundenen Wassers nicht mehr wegschmelzen. Der Gletscher wird also nicht mehr kleiner. Um einen Gletscher wie den Dosdè komplett zu retten, müsste seine gesamte Oberfläche abgedeckt werden. Ein finanzielles Unding, das wissen die Mailänder Forscher. Doch sie plädieren für eine teilweise und finanzierbare Abdeckung besonders bedrohter italienischer Gletscher. Sie sehen darin eine Chance, die Gefahr durch die immer schneller abschmelzenden Eismassen für kleine Ortschaften abzuwehren. Dafür würde es ausreichen, so die Gletscherexperten, einige hundert Quadratmeter im mittleren und im Endteil eines vom Schmelzen bedrohten Gletschers mit den Kunststoffplanen abzudecken. Auf diese Weise, das ergaben Computersimulationen an der Mailänder Universität, könnte das mögliche Abbrechen von Eismassen verhindert werden. Eine Teilabdeckung hätte den Vorteil, dass das durch den Klimawandel verursachte Abschmelzen eines Gletschers langsamer vor sich gehen und weniger dramatisch für die Umwelt ausfallen würde.