Hannelies Koloska: "Und es sind ja immer neue Blicke, weil Jerusalem ja auf Bergen steht. Wenn du nur ein Stück weiter läufst, dann ändert sich die Perspektive, es ist auch verrückt, ist auch verwirrend, weil man auf einmal wieder was Neues sieht, was man vorher nicht gesehen hat."
Im Oktober 1969, wenige Monate vor seinem Tod, besuchte der deutschsprachige jüdische Dichter Paul Celan zum ersten und einzigen Mal Israel. Besonders der Aufenthalt in Jerusalem hinterließ eine tiefe Spur, die er "eine Wende, eine Zäsur" in seinem Leben nannte. Nach seiner Rückkehr entstanden zahlreiche Gedichte, die auf Orte und Begegnungen in Jerusalem Bezug nehmen. Wie klingen diese Gedichte an diesen Orten nun, 50 Jahre später? Ein nachgeholter Spaziergang durch Jerusalem auf Celans Fußstapfen, in Begleitung von vier an Jerusalem gebundenen Menschen:
"Woher ich komme? Tja, ich komme aus Berlin", sagt die Koran-Forscherin Hannelies Koloska:
"Einen Stiefel voll Hirn in den Regen gestellt: Es wird ein Gehen sein, ein großes, weit über die Grenzen, die sie uns ziehen. Man muss im Gehen sein, bleiben, man muss irgendwann auch verweilen, man muss auch verweilen, damit man was wahrnimmt. Wenn man weitergeht, sieht man eben noch mehr. Ich glaube auch, das ist das, was Jerusalem ausmacht. Es wird ein Gehen sein, ein großes",
"weit über die Grenzen, die sie uns ziehen. Da muss ich denken. Ich denke immer noch auch an das, an das Gehen und in welchem Sinne das Gedicht geht. Und ermöglicht ein Gehen und deshalb die Landschaft ist nicht allein, was wir sehen."
Galili Shahar unterrichtet deutsche und hebräische Literatur an der Universität von Tel Aviv:
"Also Landschaft ist nicht allein ein Bild. Sogar nicht allein die Mauer oder die Straßen, die neuen oder die alten, sondern die Landschaft ist eine Breite, ein Raum, die erst mal geschrieben wurde oder beschrieben, wenn man in die geht. Auch die Wörter sind Bewegungen, sind nicht allein mit Licht, sondern auch mit Atmen, mit dieser Luft getragen und diese Bewegung ist wichtig, weil wir sehen ein anderes, eine andere Landschaft jetzt, aber es ist jetzt nicht allein dieser Stillstand, sondern es hat mit der, mit dem Gehen, mit den Schritten zu tun."
Am Übergang zwischen Skopusberg und Ölberg
Celans Jugendfreundin Ilana Shmueli, die ihn damals durch Jerusalem begleitete, schreibt in ihren Erinnerungen an den Besuch:
"Er bat mich dann, alle Wege, die wir gegangen waren, für ihn aufzuschreiben, sie ‚aufzuzählen‘, damit er später, für sich, den Spuren wieder folgen konnte."
Einige dieser Wege waren zwei Jahre vor Celans Besuch überhaupt erst zugänglich gemacht worden, in Folge des Sechstagekriegs, in dem Israel den östlichen Teil Jerusalems eroberte. Nun steht Galili Shahar, wie Celan einst, am Übergang zwischen Skopusberg und Ölberg, zwischen West- und Ostjerusalem:
"Also nämlich Hebräisch oder Ivrit heißt schon in Übersetzung, im Übergang oder auf die andere, auf das andere Ufer zu übersetzen. Was heißt das Wort Ivrit? Man sagt, es kommt von ‚Ever‘ und ‚Ever‘ heißt, also ‚dort über‘ und zwar über den Fluss.
Die Pole sind in uns, unübersteigbar, im Wachen, wir schlafen hinüber, vors Tor des Erbarmens, ich verliere dich an dich, das ist mein Schneetrost."
Koloska: "Aber Schneetrost gefällt mir noch viel besser, ich hätte sofort Seelentrost gelesen, aber da steht Schneetrost.
Ich verliere dich an dich, das ist mein Schneetrost."
Ich verliere dich an dich, das ist mein Schneetrost."
Galili Shahar: "Ich verliere dich an dich, das ist mein Schneetrost, sag, das Jerusalem ist",
Koloska: "sag, das Jerusalem i-s-t, sag‘s, als wäre ich dieses, dein Weiß, als wärst du meins, als könnten wir ohne uns wir sein, ich blättere dich auf, für immer, du betest, du bettest uns frei."
Übersetzungen ins Hebräische
Shahar: "Deshalb, wenn du fragst über Hebräisch, wir lesen schon im Übergang, in Übersetzung jetzt nicht allein andere Wörter die ‚proper names‘ zu finden, sondern einen langen Weg ins Hebräisch. Also gerade auch diese Unmöglichkeit auch, Celans Gedicht hier zu lesen, sagt etwas über diese Übersetzung. Sondern er ist inmitten eines Weges, da diese historische Erfahrung oder die Zukunft behält ja, oder in sich hält."
Koloska: "Sag‘s, als wäre ich dieses, dein Weiß, als wärst du meins."
Shmueli, die Celans Jerusalem-Gedichte ins Hebräisch übersetzt hat, schreibt weiter in ihren Erinnerungen:
"Die Anhöhe entlang zum Ölberg hin, an der Himmelfahrtskirche vorbei, dann der Blick auf die Stadt, die Kuppeln der Moscheen beherrschen das Bild."
Wer auf dem Ölberg steht, umfasst mit dem Auge die gesamte Jerusalemer Altstadt. Tempelberg, Al-Aqsa Moschee, Felsendom, Grabeskirche, und dahinter die Silhouette der modernen Weststadt:
Shahar: "Also noch mal, wir sehen zu viel. Wir sehen die Moschee, was man im Hebräischen ‚Har haBayit‘ nennt. Und die ganze Stadt herum und die Mauer. Und die Friedhöfe herum, das ist auch nicht zu vergessen, also, erst mal das. Und gut, dass wir im Abstand sind. Nicht, also, nicht sozusagen, vielleicht doch am Ort, nah am Ort, aber nicht da. Erst mal lass es, ich fühle mich irgendwo ruhiger, wenn du fragst, was sehe ich jetzt, es kann ein paar Worte doch, es gibt diese Entfernung, es macht es möglich es, also die, aber schöner Blick, also erst mal das, also das zu sagen: Ein schöner möglicher Blick. Und das zu viel auch, also. Aber zurück zur Frage, was Celan sah oder nicht sah. Also in welchem Sinn Celan sei. Er begleitet uns auch für diese Blindheit. Und ich muss gestehen, also dieser Ort ist, hat dieses Zuviel vom Sehen und deshalb hat es schon eine Blendung für uns, ja, von diesem Zuviel und deshalb sehe ich, aber sehe ich auch nicht. Und vielleicht nur über diese Erfahrung verstehen wir, sind wir vielleicht an Anfängen des Verstehens Jerusalems. Was macht Jerusalem möglich und auch unmöglich für unsere Lesart in Celan vor allem heute, aber auch für, wie gesagt, von Formen des Lebens.
Die Glut zählt uns zusammen im Eselsschrei vor, Absaloms Grab, auch hier",
Die Glut zählt uns zusammen im Eselsschrei vor, Absaloms Grab, auch hier",
Yakir Paz: "Absaloms Grab, auch hier, Gethsemane, drüben, das umgangene, wen überhäuft‘s? Am nächsten der Tore tut sich nichts auf, über dich, Offene, trag ich dich zu mir."
Tor des Erbarmens
Shahar: "Am nächsten der Tore tut sich nichts auf, über dich, Offene, trag ich dich zu mir.
Wir sind gerade ganz nah zum Erbarmens-Tor. Das ist richtig ein seltsamer Ort. Aber es ist, wir sind eigentlich in einem muslimischen Friedhof, der auch ein bisschen seltsam ist. Aber dann, wenn wir auf die andere Seite gucken, dann sehen wir die ganzen Berge, Oliven, jetzt gerade auch mit dem Sonnenuntergang ist auch das Licht superschön."
Yakir Paz, in Jerusalem aufgewachsen, lehrt rabbinische und altgriechische Literatur an der Hebräischen Universität. Er steht vor Sha’ar HaRachamim, dem geschlossenen Tor des Erbarmens, das einzige Altstadttor, das direkt auf den Tempelberg führt:
"Trotzdem haben wir sehr viele Mythen über diese Sha’ar HaRachamim, wenn dieses Tor, das zu ist und ja nach der Tradition jüdisch und auch muslimische Tradition, das ist der Eingang in die Eskaton, die letzten Tage und deshalb wollten alle daneben begraben sein, sie sollten die erste, wenn die, wie sagt man, Wiederauferstehung kommt. Sie werden die neue, die ersten, die da kommen und deshalb ist es auch ziemlich teuer, dort begraben zu sein. Aber dann hast du, ja, es ist dies komische, nicht komisch, aber dieses Jerusalem, es hat diese, immer drum herum es gibt Tote, auch metaphorisch, aber auch ganz konkret. Also wir sehen diese, es ist eigentlich wie ein Doppeltor. Es wurde gebaut mit so zwei kleinen Toren, die wahrscheinlich waren nie eigentlich Tore und dann gibt es eine Linie oder ein Guckloch, das gerade auch zu ist, wir haben fast drei Schichten von zu, von Geschlossenheit. Dieses Tor ist richtig zu.
Der Königsweg hinter der Scheintür, das vom Gegenzeichen umtodete Löwenzeichen davor, das Gestirn, kieloben, umsumpft, du, mit der die Wunde auslotenden Wimper."
Neben dem geschlossenen Tor des Erbarmens steht das Löwentor, das in das muslimische Viertel der Altstadt führt. Durch dieses Tor verlief einst der Kreuzweg Jesus Christi. Hier sind, zwei Jahre vor Celans Besuch die israelischen Soldaten in die Altstadt eingedrungen.
Paz: "Du, mit der die Wunde auslotenden Wimper.
Aber ich weiß nicht, wenn man denkt von der Wimper als das Tor der Augen. Es ist zu, aber nicht zu. Wie ein bisschen ein Scheintor von Augen. Man sieht durch vielleicht auch wie hier, man könnte auch durchsehen, aber es ist nicht auf, aber es ist nicht zu. Jerusalem ist ganz voll von Scheintüren. Ja und er redet über diese Löwen, wahrscheinlich über diese Löwenzeichen, über dieses Tor, das man nennt ‚Löwentor‘ wegen dieser Löwenzeichen. Aber natürlich hat das auch viel mit diesem Erbarmen so zu tun. Und wenn er redet über, wenn er schreibt ‚umtodete‘, redet er wahrscheinlich über diese Friedhöfe, die genau neben dem Löwentor sind."
Koloska: "Wir schlafen hinüber, vors Tor des Erbarmens."
Shahar: "Am nächsten der Tore tut sich nichts auf, über dich, Offene, trag ich dich zu mir.
Und das Tor ist zu, sondern doch als eine Möglichkeit des Offenseins. Es ist noch zu. Und deshalb offen zu sein, ja und diese ganze Spannung gehört vielleicht zum Wesen der Sprache des Gebetes. Es geht immer um einen Versuch, diese Tore zu öffnen, aber sie sind immer noch zu."
Paz: "Zufällig kann das Tor auf sein und zufällig kann Gott ein Gebet hören, aber normalerweise ist es zu. Wir beten trotzdem, ja."
Shahar: "Und in welchem Sinne Celans Gedicht, das für Jerusalem nach Jerusalem geschrieben wurde, sagt etwas über unsere Blendung auch von heute. Und ich verstehe das auch als eine große Vorbereitung, nicht allein als Mauer, sondern als Tor. Nicht allein als eine Unmöglichkeit, die die Grenze des Lesens im Gedicht bedeutet, sondern auch eine Einladung in den Raum des Gedichtes, deshalb diese, diese Blindheit oder Schatten im Gedicht zu finden. Warum heißt es, wir treffen uns selbst da, wir treffen unsere eigene Figur im Gedicht."
Paz: Komm, leg die Welt aus mit dir, komm, lass mich euch zuschütten mit allem Meinen, eins mit dir bin ich, uns zu erbeuten, auch jetzt.
Aber hier für mich ist es immer, wenn ein Tor auf ist, das ist für mich, als ob jemand mich eingeladen hat. Auch wenn die Leute selbst nicht, aber für mich ist es eine Einladung und ich trete ein und ja, das ist der einzige Weg, dass man die Stadt erkennt. Aber auch, das ist richtig zufällig. Man weiß nicht, wann dieses Tor wieder auf sein wird und ja, muss man, es ist ein Grund, warum muss man immer in Jerusalem kommen und beten, dass ein neues Tor auf sein wird."
Zwischen Tempelberg und Zionsberg
Die Jerusalemer Altstadt erstreckt sich zwischen zwei Bergen: dem Tempelberg und dem Zionsberg, wo sich, nach der jüdischen Tradition, das Grab König Davids befindet. Auch dahin sind Celan und Shmueli gegangen:
"Der Weg zu Davids Grab, dann doch den Aussichtsturm bestiegen: die Dächer Jerusalems. Die Mauern entlang zum Zionstor, zum Jaffa-Tor, die Mauern entlang zu allen Toren Jerusalems – den offenen und den versiegelten."
Paz: "Wir sind so am Dach vom David-Grab und wir gucken in Richtung West. Wir sehen den ganzen Olivenberg mit dem Friedhof und auch einen großen Teil von Silwan, den arabischen Teil oder Dorf, der wahrscheinlich ziemlich ähnlich war vor 50 Jahren. Aber dann sehen wir, wenn wir ein bisschen rechts gucken, sehen wir schon ein paar von der Judäa-Wüste und die Mauer, die theoretisch zwischen Israel und Palästina teilt, aber nicht. Aber man sieht so ganz klar diese Betonmauer und hinter die großen Gebäude, die ganz nah zu der Mauer gebaut sind. Ich mag nicht diesen Ort, ich verstehe nie, was passiert hier."
Koloska: "Es kommt auch ein Sinn, die engere Schneise daher, den erbricht das tödlichste unsrer stehenden Male.
Die engere Schneise, da kommen mir immer die kleinen engen Gassen in der Altstadt in den Sinn. Der Sinn, der abbricht, das Tödlichste. Die Male, tja, ganz viele, die sind immer alle da, es ist auch Unsinn da oder Sinnloses, aber Sinn ist da, nur kommt er leider in Kombination. Was heißt leider, das muss ja auch sein, hat vielleicht auch jede Stadt, die viel Sinnhaftigkeit und Sinnfreiheit hat. Man kommt so schlecht mehr raus. Wenn man nämlich weiter vorwärts will, im Gehen sein möchte, muss man das überwinden, versuchen zumindest, Mythen bleiben, aber wie geht man damit um.
Einen Stiefel voll Hirn in den Regen gestellt",
Ofer Waldman: "Es wird ein Gehen sein, ein großes, weit über die Grenzen, die sie uns ziehen.
Ja, irgendwie wirkt das Wort Grenze in einem Gedicht irgendwie so weich. Also irgendwie, das ist ein schönes deutsches Gedicht. Ach, also schön ist vielleicht die falsche Kategorie, aber ja, es klingt irgendwie noch ‚weit über die Grenzen die sie uns ziehen ein großes Gehen sein‘, also es ist noch irgendwie in dieser Welt der Poesie. Und andererseits sitzen wir hier an der Grenze, die so übermenschlich groß ist, als ob irgendwie diese zwei Worte nichts miteinander zu tun haben: Diese Grenze und die Grenze hier im Gedicht. Also noch mal zur Altstadt. In der Altstadt gehst du durch offene Tore, wenn du hier an der Grenze zufällig ein offenes Tor hast, dann gehst du nicht durch ohne Erlaubnis."
Mauer zwischen Jerusalem und Bethlehem
Ofer Waldman, gebürtiger Jerusalemer und Co-Autor dieser Sendung, steht vor der Mauer, die Jerusalem von dem südlicher liegenden Bethlehem trennt. Sie wurde Mitte der Nuller-Jahre gebaut, war also noch nicht da, als Celan und Shmueli im Oktober 1969 nach Betlehem fuhren. Shmueli erinnert:
"Nachmittags in Betlehem, am Mar-Elias-Kloster vorbei, Rachels Grab, die Geburtskirche. Der Weg zurück nach Jerusalem: das Licht – Abu Tor, der Blick aufs Hinnomtal, Molochs Altäre, – das Licht."
Waldman: "Wir sind an der Trennmauer, nee man nennt das Obstacle, Hindernis. Wir sind an einem Hindernis zwischen dem südlichen Teil von Jerusalem und dem nördlichen Teil von Bethlehem, genauer gesagt, kurz vor dem Grab von Rahel, das wir nicht erreichen können, weil heute der zweite Tag des jüdischen Neujahres ist. Ja und wie gesagt, hinter uns kann ich mich aus früheren Jahren, bevor die Mauer hier stand, daran erinnern, hättest du jetzt die ersten Häuser Bethlehems und die Hauptstraße Bethlehems gesehen, aber die ist jetzt nicht mehr zu sehen und hier stehen jetzt einfach lauter Touristenbusse. Hinter uns eine zwölf Meter hohe Zement-Beton-Mauer mit einer alten Israel-Fahne mit sehr starken Licht-Projektoren und direkt hinter uns ein Wachturm mit einem gepanzerten Eingang. Sie schauen uns auch sicherlich jetzt an und jetzt kommt die Polizei.
Komm, leg die Welt aus mit dir. Komm, lass mich euch zuschütten mit allem Meinen, eins mit dir bin ich, uns zu erbeuten, auch jetzt.
Unsere Realität schüttet uns mit ‚Meinen‘ zu. Wir haben keine andere Wahl. Unsere Worte prallen an solchen Mauern ab, was soll ich machen? Also ich merke gerade eine Wut in mir wegen der Machtlosigkeit der Worte, die hier wirklich sehr offensichtlich wird für mich gerade. Also für mich gerade ist die Diskrepanz zwischen der Literatur oder der Poesie und der Realität hier von allen Orten, die wir in Jerusalem besucht haben, so krass, dass sie einen schmerzt. Also ich hab fast das Gefühl, das ist verboten, was wir hier machen. Wir sitzen hier, schau, wo wir hier sitzen, schau hinter dir, schau hoch."
Koloska: "Es wird ein Gehen sein, ein großes, weit über die Grenzen, die sie uns ziehen."
Jerusalem als Zäsur in Celans Leben
Und immer wieder Celan, der nach seiner Rückkehr aus Jerusalem an Shmueli schrieb:
"Aber wie wird aussehen, was ich jetzt nach Jerusalem aufschreibe? Dass Jerusalem eine Wende, eine Zäsur sein würde in meinem Leben, das wusste ich."
Waldman: "Ja, Jerusalem ist eine Zäsur, ist eine offene Wunde. Jerusalem ist eine offene Wunde, wann geht das Tor des Erbarmens auf? Wann wird der dritte Tempel gebaut? Wann wird der Messias zurückkommen? Wann wird diese Mauer endlich verschwinden? Wann wird es Frieden geben? Wann wird Jerusalem wieder nur jüdisch sein, wann wird Jerusalem wieder nur muslimisch sein? Wann, wann, wann, wann, wann, wann? Es ist immer so mit einer, es ist immer eine Wunde. Alles, das einzige, das mich tröstet ist tatsächlich, wenn ich so hier das Arabische höre nebenan."
Shahar: "Es gibt wahrscheinlich mehrere und verschiedene Arten von Blindheit. Erst mal, sogar es gibt eine Hierarchie von Blindheiten, blind zu sein. Und eine davon ist die Blindheit auch des Hebräischen dem Arabischen gegenüber, das ist klar, das über Celans Gedicht irgendwie sichtbar wird. Also ich war, ich bin ein bisschen komisch zu sagen, dass über Celans Gedicht sehen wir oder reflektiert sich unsere Blindheit. Aber es geht wahrscheinlich um die Erfahrung der fremden Sprache oder die Erfahrung der Fremde in der Sprache."
Paz: "Ich fühle mich immer, ich finde es ziemlich offen, aber es ist, weil ich mich auch immer fremd hier fühle, auch wenn ich hierher fast jede Woche komme. Es ist nicht meine Stadt, ich meine, ich bin daneben. Ich bin in einer Parallelexistenz. Aber trotzdem, ich weiß nicht, wie ich fühle, dass ich existiere weniger, als ich hier bin. Ich kann alles gucken, ich gehe fast an jeden Ort, fast. Aber ich existiere nicht so stark wie die Leute hier."
Shahar: "Wir gehen den Weg, den Celan und Ilana Shmueli gegangen waren, aber das ist nicht derselbe Weg. Der Weg hat sich verändert, nicht allein die Zeit. Und wenn wir über das Wort denken, dann denken wir auch über diese Veränderung am Ort, nämlich nicht allein über das Wort sind wir am Ort verhaftet oder verbunden. Natürlich schon. Aber Wörter sind nicht allein Signifikante von Orten. Sie ermöglichen diesen, einen bestimmten Wandel am Ort selbst, nämlich, was ist ein Ort, was heißt ein Ort."
Koloska: "Das Leuchten, ja jenes, das Abu Tor auf uns zureiten sah, als wir ineinander verwaisten, vor Leben, nicht nur von den Handwurzeln her: eine Goldboje, aus Tempeltiefen, maß die Gefahr aus, die uns still unterlag."