Können deutsche Journalistinnen und Journalisten dem Staat Israel genauso gegenübertreten wie zum Beispiel den Niederlanden? Oder haben sie eine besondere Verantwortung aufgrund des Nationalsozialismus, die dazu führt, dass israelischen Anliegen und israelischer Politik mit mehr Empathie begegnet wird? Bild-Chefredakteur Julian Reichelt sagt: Ja.
"Ich beobachte tatsächlich bei vielen Kollegen eine für mich nicht nachvollziehbare Sehnsucht nach einem Befreiungsschlag von dieser besonderen Verantwortung."
"Fehlende Sensibilität" bei deutschen Journalisten
Nicht nur fehlende Empathie, sondern einseitige Berichterstattung bis hin zu Manipulation wirft der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn den öffentlich-rechtlichen Medien vor. Er kritisiert besonders die in Israel arbeitenden deutschen Korrespondenten:
"Was Sie da an einzelnen Korrespondenten seit Jahrzehnten haben - minus Martin Wagner - das ist nicht nur in Bezug auf Ahnung defizitär, das ist in Bezug auf negative Meinung, auf Meinungsmache - da könnten wir Textanalyse machen - das ist geradezu empörend oft, das ist ausgesprochen seltsam."
Daniel Killy, Journalist und Mitglied im Präsidium der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, stößt in dieselbe Kerbe. Es fehlten Sensibilität und Sachkenntnis. Außerdem kritisiert Killy die Wortwahl vieler Journalisten - wenn Israel auf einen Terroranschlag der Hamas reagiere, sei von Eskalation die Rede, wenn die Hamas angreife, würden deutsche Korrespondenten lediglich von "Ereignissen" sprechen. Auch die Bildsprache in Fernsehberichten wecke negative Assoziationen gegenüber Israel.
"In ungezählten, wirklich ungezählten Berichten über Jerusalem, gibt es diesen anklagenden Kameraschwenk über die Mauer."
Sprachliche Vorgaben für Berichterstattung?
Rainald Becker: "Der anklagende Schwenk. Ein Schwenk ist erst einmal nicht anklagend, sondern eine Kameraeinstellung, die benutzt wird. Als anklagend wird sie nur empfunden," kontert ARD-Chefredakteur Rainald Becker. Genau wie Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien wehrt er sich gegen Pauschalkritik gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen, wirbt um mehr Differenzierung.
"Man muss auch immer das Gesamtangebot betrachten. Eine einzelne Sendung, eine einzelne Dokumentation, eine einzelne Reportage kann nie den gesamten Konflikt, einen kompletten Sachverhalt abbilden. Deshalb haben wir ein Gesamtangebot, und wenn man das betrachtet, dann werden im Regelfall alle Facetten eines Themas ausreichend gewürdigt und aus allen Richtungen gewürdigt."
Für nicht ausreichend hält dies Daniel Killy von der deutsch-israelischen Gesellschaft. Er fordert bei der Israelberichterstattung sprachliche Vorgaben seitens der Chefredaktionen.
"Eine Liste mit Begriffen, die Redaktionen in diesem Kontext künftig meiden oder zumindest wohldosiert einsetzen sollten. Es wäre ein kleiner Schritt mit großer Wirkung."
"Ich hoffe, dass wir nicht zu einer Liste kommen von Begriffen, die man vielleicht besser verwendet oder nicht verwendet. Nicht für die Israel-Berichterstattung, nicht für die Amerika-Berichterstattung, sondern für gar keine Berichterstattung," widerspricht Bild-Chefredakteur Julian Reichelt.
Aufforderung an Chefredakteure, Israel nicht mehr als Opfer und Problem zu sehen
Wie erwartet beschränkt sich die Debatte auf dem Podium auf die Berichterstattung über den Nahost-Konflikt. Genau dies kritisieren einige Zuhörer. Immer nur Gewalt, Terror, Täter, Opfer – Israel habe mehr zu bieten, sagt die Philosophin Gesine Palmer, davon erfahre kaum jemand in Deutschland:
"Wir haben in Israel auch einen Staat, von dem aus viele Hilfe für andere angeboten wird, was überhaupt nicht gesehen wird. Weil wir unendlich in Deutschland immer noch darauf fixiert sind, in Israel immer nur das Problem oder das Opfer zu sehen. Aber ganz selten den aktiven Staat, der versucht, innerhalb der Völkergemeinschaft eine aktive, produktive und konstruktive Rolle zu spielen."
Eine Aufforderung ist das an die Chefredakteure auf dem Podium. Genau wie der Hinweis aus dem Publikum, nicht immer dieselben, teils selbsternannten Nahost-Experten zu Wort kommen zu lassen.