Ein schmales Sträßchen mit dem Wegweiser "Zur Krokodilfarm" führt von der Überlandstraße Nr. 90 südlich des Toten Meeres mitten hinein in die nur spärlich von Tamarisken getüpfelte und von gelbbraunen kahlen Bergen begrenzte Wüstenlandschaft. Bevor ich die Krokodilfarm erreiche, entdecke ich zur linken Hand ein großes offenes Tor mit dem Schild "Tamar Biblical Park", mein Ziel für heute Morgen. Ich parke meinen Leihwagen unter einer Reihe von Dattelpalmen.
Eigentlich hatte ich so etwas wie das Bibeldorf in Nazareth erwartet, eine Art Disneyland für Christen.
Nichts dergleichen. Es ist menschenleer, nur ein paar Wohnwagen, vor denen Wäsche zum Trocknen hängt zeigen, dass der Platz bewohnt ist. Ein weißer Labrador beschnüffelt mich, findet mich harmlos und führt mich zu einer Baracke, einer früheren Militärkantine, wie ich später erfahre, das Gebiet war israelisches Militärgelände. Heute bietet die Baracke Versammlungsraum, Küche und Kantine zugleich. Dort treffe ich drei Leute von Blossoming Rose, der Gruppe bibelgläubiger Christen aus den USA, die hier als Volontäre arbeiten. Blossoming Rose ist offizieller Kurator der Ausgrabungsstelle Tamar. Zwei der Ehrenamtlichen sind schon Rentner, Bill und Candy, Laura ist etwas jünger, sie arbeitet in den USA als Büroangestellte. Ich frage Candy, eine stämmige, fröhliche Frau in Jeans und mit weißer Baseballkappe, warum es hier nicht von Touristen wimmelt, wie auf anderen Ausgrabungsstätten in Israel.
"Viele finden den Bibelpark nur durch Zufall, eigentlich wollen sie zur Krokodilfarm und wenn sie dann wieder von der Farm zurückkommen, finden sie den Park."
Laura ergänzt, dass nicht nur gläubige Christen kommen, sondern auch Leute, die die Ausgrabungen sehen wollen. Meist kommen nur 10,12 Besucher am Tag, sagt sie, wenn Touristenbusse hier Halt machen, auch schon mal über 30.
Ich frage die amerikanischen Helfer, ob sie sich nicht langweilen in diesem Nirgendwo, nur mit der Krokodilfarm und dem weißen Haus am Rande des Bibelparks als unmittelbare Nachbarn.
Candy langweilt sich nicht. Sie liebt die wundervolle Stille des Ortes, die Weite der Wüstenlandschaft, hier könne sie mit Gott reden, sagt sie. Und Rentner Bill, gelernter Mechaniker, ergänzt, dass für Langeweile gar keine Zeit bliebe, es gäbe so viel zu tun:
"Wir kommen hierher, um den Ort instand zu halten und zu verschönern und den Leuten zu zeigen, was alles hier geschehen ist, von den Zeiten Abrahams bis heute. Der Ort heißt Biblical Tamar, weil wir eine christliche Gruppe aus Michigan sind, gläubige Christen. Wir kommen hierher, um Israels Geschichte zu entdecken, wir kommen hierher, weil wir Israel lieben und die Menschen hier lieben und wir wollen helfen, den Ort in Ordnung zu halten, damit die Leute herkommen und ihre Geschichte sehen können."
Die Volontäre bleiben jeweils drei Monate lang im Bibelpark, zusammen mit dem Hund Namia, zwei Katzen und vielen Vögeln, blaue, gelbe, violette. Der amerikanische Pastor DeWayne Coxon, der 1983 in Michigan Blossoming Rose gegründet hatte, sieht die Hauptaufgabe dieser christlichen Gruppe, die inzwischen rund 5000 Mitglieder in der ganzen Welt hat, im Aufbau Israels, denn, so sagt er, "die Gründungsgeschichte des Christentums kann nur in den hebräischen Wurzeln gefunden werden. Es gibt genug biblische Beweise, dass der Gott der Juden der Gott der Nichtjuden wurde."
1986 halfen Coxon und Volontäre von Blossoming Rose im inzwischen aufgelösten kleinen Kibbutz Ir Ovot bei der Aussaat und der Bewässerung. Der Kibbutz, benannt nach dem Amoriter Dorf Oboth, wo gemäß der Tora Abraham Halt gemacht hatte, war von dem religiösen Juden Simcha Perlmutter aus Miami gegründet worden, der hier in der Wüste zusammen mit seinen beiden Ehefrauen das baldige Kommen des Messias erwarten wollte. Coxon war überzeugt, in dem Hügel, dem Tel auf dem Kibbutzgebiet, Zeugnisse des frühen Judentums finden zu können, Artefakte, die auch für die Christen wichtig sind. Er hielt deshalb Ausgrabungen für dringend geboten. Coxon konnte Archäologen der Israel Antiquities Authority dafür gewinnen und 1972 begannen die Ausgrabungen.
Mit dem Wasser der Quelle Ein Hazeva westlich des Tels haben wohl schon die Menschen der Eisenzeit ihre Kamele getränkt, eine Mauer am Rande des Ausgrabungsfeldes stammt aus dieser Zeit. Sakrale Figurinen, Weihrauchgefäße und bemalte Scherben wurden hier gefunden. Sie beweisen, dass die Edomiter hier eine Kultstätte hatten.
Die arabischen Nabatäer, Handelsleute, die Weihrauch, Myrrhe und Gewürze aus dem Süden Arabiens auf dem Rücken ihrer Kamele auf der Weihrauchstraße bis ans Mittelmeer brachten, machten dort ebenfalls Halt.
"Dies hier war eine Oase, hier haben die Händler, die auf der Weihrauchstraße unterwegs waren, ihre Tiere getränkt und im Schatten gerastet."
In der ersten israelischen Periode, etwa um 900 vor Christus, soll König Salomon hier eine Festung errichtet haben und zu deren Füßen eine befestigte Stadt, als Handelsstützpunkt aber auch aus strategischen Gründen.
Es heißt, auch die Königin von Saba soll auf ihrem Weg zu König Salomon in Tamar Rast gemacht und ihre Kamele dort getränkt haben. Später wurde der Ort von den Römern übernommen, die Festung wurde zu einem wichtigen administrativen und ökonomischen Stützpunkt ausgebaut, an diesem Kreuzungspunkt wichtiger Handelsstraßen. Die Festung war mit ihren 46 Quadratmetern die größte im Arawatal zwischen dem Toten und dem Roten Meer. Wie überall, wo sich die Römer niederließen, gab es auch unten in der römischen Stadt ein Badehaus mit Fußbodendampfheizung, Warm- und Kaltwasserbecken und einem Dampfbad.
Der sehr weitläufige Ausgrabungskomplex umfasst rund 2260 Quadratmeter. Die Ausgrabungen werden unter der Leitung der Archäologen Yigal Israel und Craig Bowman durchgeführt.
Der sehr weitläufige Ausgrabungskomplex umfasst rund 2260 Quadratmeter. Die Ausgrabungen werden unter der Leitung der Archäologen Yigal Israel und Craig Bowman durchgeführt.
Wir steigen die Holzstufen hinauf zu den Überresten der antiken Ruinen, außer uns ist niemand hier. Bill zeigt mir die Mauer aus der Eisenzeit und die römische Mauer. Die Überreste der Festung sind beeindruckend, Mauerreste zeugen von einer Vielzahl verschiedener Räume, es gibt eine Zisterne, eine ehemalige Waffenkammer. Der großer Brunnen am Rande der Festung soll von Abraham angelegt worden sein. Zu Füßen des Ausgrabungshügels zeigt mir Bill ein archäologisches Kleinod:
"Vor zwei Jahren hat die Antiquitätenbehörde ein Haus mit vier Räumen entdeckt, sie haben uns erlaubt, Steine aus dieser Periode zu suchen und damit die Mauern bis auf ein Meter hochzuziehen. Normalerweise lebten die Leute damals in einem Raum, ein Vier-Zimmer-Haus war also etwas ganz Besonderes."
Ganz oben auf dem Ausgrabungshügel ein weißes Haus mit vergitterten Fenstern, es ist ein ehemaliges Gefängnis aus der britischen Verwaltungszeit des Mandatsgebietes Palästina. Später hat Rabbi Perlmutter dort seine Predigten gehalten. Jetzt sind nummerierte Mauersteine aus den Grabungen dort gelagert und später soll das Gebäude zu einem Museum und Informationszentrum werden. Dann werden auch die kostbaren Artefakte, die hier gefunden wurden und im Israelmuseum in Jerusalem zwischengelagert sind, dort ausgestellt werden.
Und dann sind wir auf einmal doch nicht mehr allein auf dem Tel, israelische Familien aus dem nahegelegenen Gemeinschaftsdorf, bepackt mit Decken und Picknickkörben lassen sich unter dem riesigen, uralten Christdorn-Baum nieder. Dieser verknotete, vernarbte, rissige Baum, dessen starke graue Äste den Boden berühren, ist berühmt in ganz Israel. Es soll der älteste Baum des Landes sein, über 1000 Jahre alt. Besucher kommen eigens wegen ihm zum Tamar Bibel-Park.
"Dies hier ist ein erstaunlicher Ort in der Wüste, wir lieben diesen Platz und den einmaligen Baum, hier fühlt man sich in Verbindung mit den uralten Zeiten. Wir sind Farmer, wir züchten Paprika, Mangos, Datteln."
Laura, Candy und Bill haben mir eine Menge erzählt über die Ausgrabungen und über ihre Arbeit im Bibelpark. Aber wenig über ihre religiösen Aktivitäten. Erst als ich gezielt danach frage, antwortet mir Bill:
"Wenn Gruppen hier sind, beten und singen wir, am Schabbat haben wir einen Gottesdienst. Hier ist es so ganz anders als in den Staaten, es ist ein so friedvolles Gefühl, in seinem Land zu sein, in Gottes eigenem Land, zusammen mit seinen Leuten."
Zum Schluss führt mich die Neugier natürlich auch zur benachbarten Krokodilfarm. Dort treffe ich ein paar von den neun Kindern der "Deutschen", einer deutsch-jüdischen Familie aus Hamburg, die vor 15 Jahren nach Israel gezogen ist und nun hier in der Wüste lebt, zur Miete in dem weißen Haus, das man vom Tamar Biblical Park aus sehen kann.
Das Haus gehört der Familie Perlmutter, Nachkommen des verstorbenen Gründers von Ir Ovot, der Kreis schließt sich. Ich fahre zurück zur Straße Nummer 90, verabschiede mich von diesem Fenster in längst vergangene Zeiten mitten in der Wüste.