Es weht ein starker Wind in Misgav´Am, der Kibbuz liegt auf einem Berg, hier ist die Luft klar und die Sicht phantastisch: Im Osten sieht man übers Hula-Tal bis zum Berg Hermon, im Norden und Westen weit hinein in den Libanon bis zum Mittelmeer.
Am Rand von Misgav´Am steht ein elektrischer Zaun, der Israel vom Libanon trennt. Fünf Terroristen der Arabischen Befreiungsfront durchschnitten ihn in der Nacht heute vor 40 Jahren. Gideon Rapaport zeigt auf einen weißen Flachdachbau, der früher das Kinderhaus war. Unten schliefen die ganz kleinen Kinder, im ersten Stock der Betreuer Meir Peretz und die bis zu Dreijährigen, darunter Gideons Tochter Adi.
Am Rand von Misgav´Am steht ein elektrischer Zaun, der Israel vom Libanon trennt. Fünf Terroristen der Arabischen Befreiungsfront durchschnitten ihn in der Nacht heute vor 40 Jahren. Gideon Rapaport zeigt auf einen weißen Flachdachbau, der früher das Kinderhaus war. Unten schliefen die ganz kleinen Kinder, im ersten Stock der Betreuer Meir Peretz und die bis zu Dreijährigen, darunter Gideons Tochter Adi.
Angriff in der Nacht
"Sie haben zuerst auf der Rückseite angegriffen und dort haben sie eines der Kibbuz-Mitglieder erschossen. Und auf anderen Seite waren die kleinsten Kinder untergebracht, zwei Frauen haben sich jeweils zwei Babys geschnappt und haben sich in der Toilette versteckt. Aber sie mussten zwei Babys zurücklassen. Die Terroristen haben die Babys genommen und sind in den ersten Stock gegangen. Dort war Meir, um auf die größeren Kinder aufzupassen. Und die Terroristen blieben dort – von Mitternacht bis um zehn Uhr am nächsten Tag."
Meir Peretz hatte keine Chance gegen die fünf Terroristen. Er spricht langsam und bedächtig und erinnert sich an die Nacht der 40 Jahren:
"Ich hab sehr tief geschlafen und plötzlich wurde ich wach, weil ich sehr schnelle Schritte gehört hab. Das war etwa um ein Uhr nachts. Aber dann hörte ich auch Stimmen, und als ich die Augen geöffnet habe, stand plötzlich jemand im Khaki-Anzug und rotem Stirnband im Zimmer, der hat eine Kalaschnikow geladen und auf meine Stirn gerichtet.
Ich bin zu Tode erschrocken und ich konnte kaum atmen. Und dann hab ich einen Schlag auf den Kopf bekommen, sie haben mich umgedreht, das Gesicht ins Kissen gedrückt, die Hände über dem Kopf zusammengeschnürt und die Füße gefesselt. Und ich durfte mich nicht bewegen, ich habe gar nicht verstanden, was da passiert."
Meir sagt, die Terroristen seien alle sehr jung gewesen. Ihr Ziel war es, palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen freizupressen.
"In der absoluten Dunkelheit hörte ich die Stimmen von Kibbuzniks, die sich rund ums Kinderhaus versammelt hatten. Ich erinnere mich, dass sie sogar Richtung Kinderhaus schossen. Und im Haus wurde es absolut still. Und dann hab ich gehört ich, wie die Kinder im Haus angefangen haben zu weinen. Und meine Fesseln waren sehr schmerzhaft, langsam habe ich gespürt, wie ich kaum mehr Blut hatte in den Fingern und Füßen.
Aber dann haben die Terroristen mir plötzlich die Fesseln etwas lockert und ich habe verstanden, dass ich die Kinder beruhigen soll. Ich bin zu den Kindern gegangen und hab gesagt: ‚Schlaft, alles wird gut werden.‘ Dann hat mich ein Terrorist ans Fenster geführt und mir in sehr schlechtem Englisch gesagt, was ich den Kibbuz-Mitgliedern zurufen sollte: "Hört, Freunde von Misgav´Am, wenn Ihr schießt, dann werden sie uns umbringen."
Mehrere Tote
Es gibt mehrere Befreiungsversuche, am Ende gibt es Tote: Ein zweijähriger Junge, der Kibbuz-Sekretär und ein Soldat, auch die Terroristen überleben die Nacht nicht.
Meir Peretz ist heute 65 und lebt am anderen Ende Israels, in Nitzanim in der Nähe des Gazastreifens. Noch immer plagen ihn Albträume Gewissensbisse, dass er den Tod der Kibbuzmitglieder nicht verhindern konnte. Seine Geschichte aber interessiert heute kaum noch jemanden in Israel, zu viele ähnliche Attacken gab es – etwa in Ma´alot, in Kfar Juval und Avivim.
Als die Terroristen kamen, war Adi Rapaport drei Jahre alt, ein hübsches Mädchen mit blonden Locken. Heute lebt Adi mit ihrem Mann und vier Kindern in der Wüste südlich vom Toten Meer, von hier ist es nicht weit bis nach Jordanien. Weiter weg von Misgav´Am geht es kaum. Adi züchtet Ziegen und verkauft den Käse auf dem Hof. Ihre vier Kinder sind den ganzen Tag um sie, sie unterrichtet sie zuhause, es ist ein freies Leben.
"Ich liebe den Norden Israels. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass dort zu viel Menschen leben. Also ging ich mit 16 in ein Internat in der Wüste. Und ich hab von Anfang gespürt, dass das genau der richtige Platz für mich ist. Vielleicht war das eine unterbewusste Entscheidung. Aber immer wenn ich darüber nachdenke, habe ich sehr gute Erinnerungen an den Kibbuz Misgav´Am. Ich kenne dort jeden Stein. Und mit meinen Kindern fahre ich dort jeden Sommer hin."
Verblasste Erinnerungen
Adi erinnert sich kaum an die Geiselnahme. Nur aus Erzählungen weiß sie, dass sie von einer Handgranate an der Schulter verletzt wurde. Und noch lange hatte sie Angst vor Hubschrauberlärm und Hundegebell – die Soldaten kamen aus der Luft, die Hunde wurden gegen die Terroristen eingesetzt.
"Was ich darüber denke, dass meine Eltern immer noch dort leben? Ich habe da gemischte Gefühle, aber eigentlich ist es verrückt. Es ist wunderbar, so abgeschieden auf dem Berg zu leben. Es ist sehr schön in Misgav´Am und die meiste Zeit auch sehr ruhig und entspannt und es ein leichtes Leben dort."
Auch Adis Vater Gideon Rapaport lässt die Nähe zum Nachbarn kalt. Selbst wenn die schiitische Hisbollah-Miliz immer wieder mit Raketen gegen Israel droht - wegzugehen war für den 80jährigen nie eine Option. Und Meir Peretz, der die Nacht überlebte, mit Durchschuss im Fuß und einem Streifschuss am Rücken? Er ist froh, dass er nicht mehr in Misgav´Am lebt sondern nördlich des Gazastreifens.