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Israel
Familie Razzouk und die Debatte um Jerusalem

Ob die amerikanische Botschaft nach Jerusalem kommt oder nicht - den Razzouks ist das einerlei. "Es wird sich niemals etwas ändern. Israel wird immer die Herrschaft über Jerusalem haben", sagen sie. Zu Besuch bei einer alteingessenen Familie, die vor mehr als 500 Jahren aus Ägypten in die Stadt gekommen ist.

Von Silke Fries |
    Anton Razzouk vor einer Wand mit alten Schriften der Tätowierkunst
    Anton Razzouk glaubt nicht, dass Jerusalem jemals auch Hauptstadt der Palästinenser wird (deutschlandradio / Silke Fries)
    Nicht weit vom Jaffa-Tor hält Wassim Razzouk in einem Gewölberaum die Tätowiermaschine in der Hand, vor ihm sitzt Taylor Butler aus Colorado Springs. Der 28-jährige Amerikaner ist auf Weltreise und lässt sich Wörter in den Unterarm eintätowieren. "Know. Think. Choose. Do." Und tatsächlich, sagt Taylor hätte US-Präsident Trump auch mehr nachdenken sollen vor seiner Entscheidung, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen und damit Fakten zu schaffen.
    "Wenn man Botschaften nach Jerusalem verlegt, dann ist das politisch motiviert. Aber für eine Zweitstaatenlösung ist das natürlich alles andere als nützlich. Ich halte die Ankündigung von Trump für sehr einseitig, sie fand ohne Diskussion statt. Und was das amerikanische Volk darüber denkt, wurde gar nicht gefragt. Außerdem stehen die Chancen für Amerika jetzt schlechter, je eine Friedenslösung für Israelis UND Palästinenser zu finden."
    Israelische Flagge in Ost-Jerusalem
    Israelische Flagge in Ost-Jerusalem (imago / photothek)
    "Trump kennt sich hier nicht aus"
    Bei Wassim Razzouk stößt er damit auf offene Ohren. Der 44-Jährige tätowiert wie schon seine Vorfahren in Jerusalem. Seit mehr als 500 Jahren leben die Razzouks in Ostjerusalem. Sie kamen als koptische Christen ursprünglich aus Ägypten, nennen sich Palästinenser. Die Familie hat in der Altstadt die türkische Herrschaft mitbekommen, die britische, die jordanische. Seit 1967 ist der Ostteil Jerusalems durch Israel annektiert – international ist das nicht anerkannt.
    "Trump ist ein Fremder. Und nur, weil er amerikanischer Präsident ist, sagt das nichts aus über seine Intelligenz. Er kennt sich hier nicht aus und er argumentiert vom Schreibtisch aus. Aber durch die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt verspricht er sich politische Unterstützung: etwa durch zionistische Christen oder durch die jüdische Lobby. Er schafft Fakten und die Amerikaner haben wahrscheinlich keine Ahnung, was ihr Präsident da macht."
    Wassim hat einen israelischen Pass, vor seinem Tätowierstudio parken zwei Harley-Davidson. Die Lederkutte mit dem Aufdruck "Holy Land Rider" hängt über dem Stuhl. Das Geschäft brummt - längst sind es nicht mehr nur Pilger, die sich an Ostern das Jerusalem-Kreuz unter die Haut stechen lassen. Manche muslimische Frau trägt tätowierte Brauen, Priester auch mal ein Kreuz unter der Soutane, und jüdische Hipster schätzen Wassim Razzouk wegen seiner präzisen Arbeit. Außerdem tätowiert er günstiger als die Konkurrenz in Tel Aviv.
    Wassim Razzouk in seinem Tätowierstudio bei der Arbeit.
    Wassim Razzouk - manche seiner möglichen Kunden meiden den Ostteil der Stadt (deutschlandradio / Silke Fries)
    "Wenn behauptet wird, dass Jerusalem vereint ist oder die Hauptstadt von Israel – dann sind das nur Worte und Politik. In der Realität sieht das ganz anders aus. Ich bekomme oft Anrufe von Juden aus Tel Aviv, die sich gern von mir tätowieren lassen wollen. Die nächste Frage ist dann: Was ist Deine Adresse? Und wenn ich dann sage, dass ich im arabischen Teil der Altstadt bin, dann machen sie oft einen Rückzieher. Aber auch wenn sie dann kommen wollen fragen viele: Ist es dort für mich als Israeli wirklich sicher? Man hört die Angst in ihrer Stimme, nach Ostjerusalem zu kommen."
    Warum diese Angst vor Ostjerusalem?
    Die aber sei völlig unbegründet. Um die Ecke in der Altstadt sei eine israelische Polizeistation. Warum also, fragt Wassim, gibt es diese Angst vor dem arabischen Teil Jerusalems. Niemandem werde etwas getan, nur weil er durch die engen Gassen und den arabischen Bazar gehe. Anton Razzouk gibt seinem Sohn Recht. Dennoch hält es der 78-jährige für ausgeschlossen, dass Jerusalem jemals auch Hauptstadt der Palästinenser werden wird.
    "Es wird sich niemals etwas ändern - egal, ob die amerikanische Botschaft in Tel Aviv bleibt oder nach Jerusalem kommt. Das wird nichts an der realen Situation ändern: Wir leben in Israel. Und wir müssen realistisch sein: Jerusalem wird nie geteilt werden. Und auch ohne den Umzug der US-Botschaft wird Israel immer die Herrschaft über Jerusalem haben."
    Das müsse man akzeptieren - Ziel müsse aber auch die Gleichberechtigung von Christen, Muslimen und Juden sein. Anton Razzouk sagt, er fühle sich als arabischer Christ oft wie ein Mensch zweiter Klasse.
    "Israel ist miliärisch stark genug, um seine Existenz hier für ewig zu behaupten. Denn die Araber bilden keine Einheit, und sie werden niemals mit einer Stimme sprechen. Und Krieg wird hier nie eine Lösung sein. Die einzige Lösung kann sein, wenn Israel einen Plan dafür hat, wie sie uns Arabern Rechte wiedergeben können. Es muss eine Lösung sein, mit der auch die Araber leben können, ohne ihr Gesicht zu verlieren."
    Viel tätowiert, noch mehr diskutiert
    Anton Razzouk ist stolz auf seine Familie – auch auf die Tätowierkunst, die seine Familie seit 700 Jahren betreibt. An den Wänden hängen Fotos seines Vaters, wie er ägyptischen Pilgern das Koptenkreuz aufs Handgelenk sticht – ein Erkennungsmerkmal der Kopten. Er zeigt die Holzschablonen, die den Razzouks schon seit hunderten Jahren als Vorlage dienen.
    Es wird viel tätowiert in diesen Tagen, noch mehr aber diskutiert. Auch mit Stas, einem jungen Touristen aus Texas, der sich Blumen in den Oberarm stechen lässt.
    "Ich habe nicht wirklich verstanden, warum Trump ganz Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hat. Ich dachte, nur ein Land selber kann eine Stadt zur Hauptstadt erklären. Wie kann Trump sagen: "Oh, hej, ich erklär das jetzt zur israelischen Hauptstadt." Das macht für mich keinen Sinn, zumal in einer Stadt mit so einer komplizierten Geschichte."
    Im Grunde sagt Wassim Razzouk, sei der Status Jerusalems politisch sowieso unverhandelbar. Er sagt, Trump sei der Sargnagel für den Friedensprozess und eine Zweistaatenlösung. Und sein Vater Anton sieht die Lösung im Glauben.
    "Die Wurzeln meines Christentums sind hier. Wir warten auf die Wiederkehr von Jesus Christus. Er wird unser Herr sein und die Welt richten. Jesus Christus ist der Herr, der über Jerusalem, Palästina und Israel herrschen wird. Er ist der König der Könige."
    Das Problem ist, dass sowohl Juden als auch Moslems das völlig anders sehen. Und so wird auch die Trump-Beschluss nur ein historische Zäsur sein im Leben der Familie Razzouk, die seit einem halben Jahrtausend in Jerusalem lebt.