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Israel gerät in eine rechtliche Schieflage

Liminski: Am Telefon begrüße ich Professor Christian Tomuschat, Völkerrechtler an der Humboldt-Universität Berlin und Berater internationaler Gremien. Guten Tag.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Tomuschat: Guten Tag, Herr Liminski.

    Liminski: Amnesty International hat die Zerstörung palästinensischer Häuser als Kriegsverbrechen bezeichnet, Israel dagegen bezeichnet das als Vergeltung oder Kollektivstrafen nach vorhergehenden Terroranschlägen oder auch als Prävention. Was sagt denn das Völkerrecht dazu?

    Tomuschat: Das kommt natürlich immer auf die Umstände an, die man von Ferne nicht ganz genau beurteilen kann. Aber Artikel 53 der hier einschlägigen Genfer Konvention von 1949 sagt, dass Zerstörungen von Privateigentum verboten sind, es sei denn, dass Kampfhandlungen solche Zerstörungen unbedingt erforderlich machen und ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass hinterher, wenn als Bestrafung irgendwelche Häuser demoliert werden, dieses dem Sinne des Artikels 53 entspricht, dass es nämlich unbedingt notwendig ist, diese Häuser zu zerstören.

    Liminski: Die Israelis reden hier auch von vorbeugendem Sicherheitsinteresse. Ist das eine Kategorie?

    Tomuschat: Das ist eigentlich keine Kategorie. Natürlich kann man vorbeugende Maßnahmen treffen, um einem Bombenanschlag vorzubeugen, aber von vornherein Zerstörungen zu planen und durchzuführen, das geht so weit über die zusätzliche Prävention hinaus. Israel hat in den besetzten Gebieten eine Polizeifunktion und das muss sich in dem Rahmen halten, wie es sonst polizeilichen Aufgaben entspricht.

    Liminski: Es würden auch, so Amnesty, landwirtschaftliche Flächen zerstört, dadurch würde die Lebensgrundlage vernichtet. Schuldet Israel den Geschädigten Wiedergutmachung und wo könnten die Palästinenser das einklagen?

    Tomuschat: Wenn es rechtswidrige Handlungen sind und landwirtschaftliches Grundvermögen zerstört wird, dann ist das rechtswidrig, dann schuldet an sich Israel Wiedergutmachung. Aber es gibt kein zuständiges Gericht außer den israelischen Gerichten und die sind in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend, der oberste Gerichtshof hat ja offenbar auch die Zerstörung von Häusern gebilligt und es gibt keine internationalen Gerichte, an die man sich in einer solchen Angelegenheit wenden könnte.

    Liminski: Wenn es nun keine Gerichte gibt, vielleicht gibt es andere Gremien, den Weltsicherheitsrat als oberstes Gremium?

    Tomuschat: Ja, an den kann man sich sicher wenden, er hat auch schon zahlreiche Entschlüsse gefasst zu Palästina und der Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern. Das sind Dinge, die in der Tat vor den Sicherheitsrat gehören. Er kann Beschlüsse fassen, die auch bindend sind, es kommt freilich wiederum darauf an, zunächst einmal, ob solche Beschlüsse zustande kommen, denn Israel hat ja in den USA jemanden, der Israel grundsätzlich unterstützt und zweitens wäre dann die Frage, ob Israel einen solchen Entschluss dann tatsächlich auch beachtet und da gibt es in den ganzen Jahren der Besetzung zahlreiche Beschlüsse, die unbeachtet geblieben sind.

    Liminski: Also muss man sagen, das Völkerrecht ist ein harmloser Papiertiger?

    Tomuschat: An sich nicht, aber man braucht natürlich Organe, die sich auch dafür einsetzen, der Sicherheitsrat ist primär aufgerufen, dem internationalen Recht Geltung zu verschaffen, dann gibt es auch das internationale Komitee vom Roten Kreuz, das ja insbesondere auch damit beauftragt ist, auf die Gewährleistung dieses Genfer Rechtes zu achten, aber es hat keine scharfen Waffen, es kann nur Ermahnungen an die betroffenen Regierungen richten. Insofern - das Völkerrecht ist, was die Durchsetzungsmechanismen anbetrifft schwach, das ist richtig, aber es ist nicht inexistent. Es ist da und Israel muss sich an diesen Maßstäben messen lassen.

    Liminski: Hat dann der alte Hugo Grotius recht, wenn er sagt, dass die Macht des Rechts nur so weit reicht, wie der Radius der Kanonen?

    Tomuschat: Das glaube ich nicht, denn langfristig haben solche permanenten Rechtsbrüche doch eine sehr große Bedeutung. Sie werden registriert und Israel wird sich eines Tages auch auf das Recht berufen müssen gegenüber anderen und tut es ja auch, denn wenn man sich selbst auf das Recht beruft, kann man sich nicht auf der anderen Seite täglich über das Recht hinwegsetzen. Ich glaube, Israel gerät dort in eine Schieflage und ein Großsteil der israelischen Bevölkerung weiß das ja. Es ist die israelische Regierung, die hier eine unkluge Strategie eingeschlagen hat und ich denke schon, dass eine andere israelische Regierung sich in einer ganz anderen Weise verhalten würde.

    Liminski: Ist denn der Primat des Rechts in Zeiten des internationalen Terrorkriegs, damit argumentiert ja auch die israelische Regierung, noch wirksam?

    Tomuschat: Man hat ja nun eigens für solche Lagen das humanitäre Recht geschaffen. Das sind Regeln darüber, wie man sich in einer solchen Situation auch des bewaffneten Konfliktes verhalten darf. Es ist die Frage, welche Regeln dort überhaupt Anwendung finden. Eines ist sicher: Das vierte Genfer Abkommen findet Anwendung, es gilt für besetzte Gebiete, es ist insofern kein Zweifel daran. Das ganze Genfer und humanitäre Recht ist ständig bedroht, weil eben im bewaffneten Konflikt die Parteien häufig die rechtlichen Regeln missachten. Man hat es auch im Irak gesehen, dass selbst Rechtsstaaten nicht in der Lage sind, tatsächlich für die Einhaltung des Rechtes zu sorgen, aber man hat es jetzt in den USA gesehen, dass es da Reaktionen gibt und ich denke auch, dass Israel langfristig denken muss und sich nicht auf eine kurzfristige Strategie beschränken darf.

    Liminski: Das war Professor Christian Tomuschat, Völkerrechtler an der Humboldt-Universität Berlin und Berater internationaler Gremien. Besten Dank.

    Tomuschat: Gut.