Angriff auf Israel
Trauerarbeit in der Fankurve

Im Gedenken an die Opfer der Hamas, die Israel am 7. Oktober 2023 angegriffen haben, spielt auch der Fußball eine Rolle. Bundesliga-Klubs bekunden ihre Solidarität und laden Angehörige der Geiseln ein. Doch ihr Engagement löst auch Misstrauen aus.

Von Ronny Blaschke |
Werder-Fans gedenken dem Werder-Fan Hersh Goldberg-Polin, der von der islamistischen Hamas ermordet wurde.
Werder Bremen-Fans gedachten vor dem Anpfiff des Spiels gegen den FC Bayern München dem israelischen Werder-Fan Hersh Goldberg-Polin. Bewusst hatten sich die Fans gegen eine Schweigeminute entschieden und erinnerten vor allem an den Lebensmut des 23-Jährigen. (dpa / picture alliance / Sina Schuldt)
Das Weserstadion in Bremen Anfang September. Die Fans des SV Werder präsentieren vor ihrem Heimspiel gegen den FC Bayern eine große Choreografie. Auf roten und grünen Bannern ist die Botschaft zu lesen: „Shalom, Salam, Peace. Möge dein Andenken eine Revolution sein.“
In der Mitte ist auf Transparenten das Gesicht von Hersh Goldberg-Polin abgebildet. Der amerikanisch-israelische Friedensaktivist gehörte zu den rund 240 Geiseln, die am 7. Oktober 2023 von der Hamas nach Gaza verschleppt wurden. Ende August dieses Jahres, fast elf Monate später, fanden israelische Soldaten in Rafah sechs getötete Geiseln, darunter Hersh Goldberg-Polin. Er wurde 23 Jahre alt. Die Fans im Weserstadion gedenken ihrem Freund. Hersh Goldberg-Polin war Fan von Hapoel Jerusalem – und von Werder Bremen.

Wenn der große Konflikt greifbar wird

„Es ging vielmehr darum, das Leben zu zelebrieren, Hersh zu zelebrieren und seine Lebensfreude“, sagt Arne Scholz, Mitarbeiter von Werder Bremen mit einem besonderen Blick auf die Fans. „Eben keine Schweigeminute zu machen, sondern das Stadion 90 Minuten laut werden zu lassen, so wie Hersh es sich gewünscht hätte.“
Seit dem 7. Oktober hat der Verein auf die Geiseln aufmerksam gemacht. Mit Botschaften auf der Stadionleinwand und in sozialen Medien. Die Fans schwenkten Banner mit Botschaften wie: „Bleib stark Hersh“. Sie wandten sich an Menschenrechtsorganisationen und warben für Spenden an Familien der Opfer der Hamas.
Anfang September dann versammelten sich rund 150 Fans zum Gedenken vor dem Weserstadion, berichtet Arne Scholz: „Es ist erstaunlich, wie dieser große weltbewegende Konflikt dann da auf einmal ganz menschlich wird. Dass es da einfach um einen Freund geht, der gestorben ist und einfach nicht mehr zurückkommen wird.“

Eine Fußballdelegation in Israel

Der SV Werder konnte auch deshalb so schnell reagieren, weil seine Arbeit gegen Antisemitismus etabliert ist. Schon 2007 reiste eine Gruppe von Werder-Fans für eine Exkursion nach Israel. In den folgenden Jahren freundeten sie sich vor allem mit Anhängern von Hapoel Jerusalem an. Sie besuchten sich, organisierten Workshops gegen Rassismus, veranstalteten Fußballturniere, auch im Westjordanland.
Arne Scholz sagt: „Und das sind Beziehungen, die sich sehr schnell unter den Fangruppen verselbstständigt haben, wo sehr nachhaltige Freundschaften entstanden sind.“
Etliche Fangruppen von deutschen Vereinen bekundeten nach dem 7. Oktober ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat. Mehrere Bundesliga-Klubs luden Angehörige der Geiseln ein. Eine deutsche Delegation reiste mit dem World Jewish Congress und der DFL nach Israel.

Kooperation mit der jüdischen Gemeinde

Viele Aktionen fanden jedoch außerhalb der Öffentlichkeit statt. Zum Beispiel bei Borussia Dortmund, berichtet Klubmitarbeiter Daniel Lörcher: „Wir haben relativ schnell ein Format entwickelt, wo wir mit einem Friedensaktivisten aus Israel und Experten zu der Situation dort und zu einem späteren Zeitpunkt dann auch mit Familien von Geiseln quasi nicht öffentliche Informationsveranstaltungen gemacht haben. Wo einfach Mitarbeitende, Fans, Mitarbeitende von Sponsoren sich einwählen konnten, Fragen stellen konnten. Und vor allem auch Fragen stellen konnten, ohne dafür verurteilt zu werden.“
Seit dem 7. Oktober hat der Klub seine Zusammenarbeit mit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und mit israelischen Gewerkschaften intensiviert. Der BVB lud dreimal Gruppen aus Israel nach Dortmund ein und hat Veranstaltungen gegen Antisemitismus organisiert, seit dem 7. Oktober noch intensiver mit der Jüdischen Gemeinde, erzählt Daniel Lörcher:
„Also wir haben schon vorher eine enge Kooperation gehabt, aber seitdem haben wir ganz viel zusammen gemacht. Im Kleinen, was nicht öffentlich ist, nicht sichtbar ist. Und das ist für uns extrem wichtig. Weil das sind Menschen aus unserer Stadt, die sich für was rechtfertigen müssen, womit sie eigentlich überhaupt nichts direkt zu tun haben. Und die einfach angefeindet werden, aufgrund von Antisemitismus.“

Palästinensische Flaggen in Dortmund

Doch das Engagement ruft auch Misstrauen hervor. In der internationalen Fanszene werfen etliche Fans dem BVB eine einseitige Positionierung für Israel vor. Einige von ihnen verbreiteten die Bilder aus der Champions League am vergangenen Mittwoch. Anhänger von Celtic Glasgow schwenkten bei ihrem Spiel in Dortmund palästinensische Flaggen.
Celtic-Fans zünden im Dortmunder Gästeblock Pyrotechnik und zeigen Free Palestine Shirts und Fahnen.
Einige schottische Celtic-Fans nutzten die Champions-League-Partie in Dortmund für einen politischen Protest. (dpa / picture alliance / Martin Meissner)
Auch das Gedenken an Hersh Goldberg-Polin in Bremen wurde in sozialen Medien aufgegriffen. Pro-palästinensische Aktivsten dämonisierten ihn als „jüdischen Feind“. Und Anhänger der israelischen Regierung feierten Goldberg-Polin als Patrioten, berichtet der Autor Monty Ott: „Das ist Krieg, das verlangt Ambivalenzen, das verlangt Komplexität. Ich glaube, viele Menschen haben die Trauer-Choreos von den Werder-Fans geteilt, um damit eben auch diese Art und Weise der einfachen Positionierungen weiterzutreiben. Wenn jetzt zum Beispiel israelische regierungsnahe Institutionen das Andenken an Hersh teilen, dann finde ich das schon bemerkenswert. Hersh wurde antifaschistisch sozialisiert, war Friedensaktivist. Dass passt nicht mit den Werten überein, die große Teile der israelischen Regierung tragen.“

Das Stadion gibt Halt

Monty Ott hat gemeinsam mit dem Publizisten Ruben Gerczikow ein Buch über die Politik von jungen jüdischen Menschen in Deutschland geschrieben. Der Titel: „Wir lassen uns nicht unterkriegen“. Auf ihren Lesungen sprechen sie auch vor Fußballfans über antisemitische Bedrohungen.
Aber sie wollen nicht nur als Opfer ohne Einfluss gesehen werden, sagt Ott: „Der Antisemitismus zeigt sich seit Jahren zunehmend offener und gewaltvoller. Ich muss aber sagen, dass dieser Raum des Stadions mir eher Halt gegeben hat. Mir eher die Möglichkeit gegeben hat, auch rauszukommen. Wo ich das Gefühl habe: ich bin hier von Freunden umgeben, ich bin hier von Menschen umgeben, in meinem kleinen Umfeld, die eben sensibel gegenüber Antisemitismus und Rassismus sind.“
Der Fußball wird auch in den kommenden Jahren eine Plattform für das Gedenken an die Opfer vom 7. Oktober bieten. In Israel wurde vor wenigen Monaten ein Fanklub von Werder Bremen gegründet. Und weitere könnten folgen.