Israel und Iran als Verbündete? Was heute kaum vorstellbar ist, war einst Realität. Iran war nach der Türkei im März 1950 das zweite muslimische Land, das Israel offiziell anerkannte. Unter der Herrschaft des Schahs Mohammad Reza Pahlavi arbeiteten Israel und Iran zusammen. Sie entwickelten Kooperationsprojekte in der Infrastruktur- oder Landwirtschaftspolitik. Israelische Spezialisten bildeten iranische Sicherheitskräfte und Geheimdienstmitarbeiter aus.
Das ist lange her. Im Herbst 2024 droht ein offener Krieg zwischen den beiden Ländern, der sich auf die gesamte Region ausweiten könnte. Anfang Oktober startete Israel eine Bodenoffensive im südlichen Libanon. Zuvor tötete das israelische Militär den Hisbollah-Anführer Hassan Narallah bei Luftangriffen auf das Hauptquartier der Hisbollah-Miliz in Beirut. Der Iran feuerte im Gegenzug 200 Raketen auf Israel. Israel konnte die Raketen unter anderem mit Unterstützung der USA abwehren und antwortete am 26. Oktober mit einem Angriff auf militärische Ziele im Iran.
Wie hat sich die Feindschaft zwischen Iran und Israel entwickelt?
Wendepunkt der iranisch-israelischen Beziehungen ist die islamische Revolution im Iran 1979: Revolutionsführer Ruhollah Chomeini ruft die USA und Israel als Erzfeinde aus. „Das geschah quasi über Nacht und war ein geopolitischer Schlag, ein Schock ohnegleichen“, beschreibt Politikwissenschaftler und Deutsch-Iraner Ali Fathollah-Nejad die Auswirkungen.
Die Führung in Teheran erkennt das Existenzrecht Israels nicht länger an, vielmehr wird der Kampf gegen Israel zur iranischen Staatsdoktrin. Das zeigt sich zum ersten Mal 1982, als Israel gegen feindliche Gruppierungen im Libanon vorgeht und im Süden des Nachbarlandes einmarschiert, was vor allem die schiitische Minderheit dort stark betrifft.
Daraufhin erlässt Ajatollah Chomenei eine Fatwa und schickt iranische Revolutionsgarden zur Unterstützung. Die gründen im weiteren Verlauf die schiitische Hisbollah-Miliz, um israelische Truppen zurückzudrängen. Am ebenfalls von Chomenei ins Leben gerufenen "Al-Kuds-Tag" fordern jährlich Demonstranten im Iran und weltweit die Befreiung Jerusalems und wenden sich gegen das Existenzrecht Israels.
Der Hass des Revolutionsführers hat auch machtpolitische Gründe. Chomenei macht die Unterstützung der Palästinenser und die Feindschaft zu Israel zu zentralen politischen Säulen, weil er für sich und sein Land nach der Vorreiterrolle in der islamischen Welt strebt. Die Palästina-Frage dient ihm dafür als Vehikel. Ohne diese könnte er als Angehöriger der schiitischen Minderheit kaum solche Anerkennung erreichen. An dieser grundsätzlichen Position als „Anwalt der Palästinenser“ hält der Iran bis heute fest.
Israel wiederum sieht im autoritär geführten Gottesstaat das größte Risiko für die eigene Sicherheit. Iran ist eine starke Militärmacht in der Region, die den jüdischen Staat zusätzlich durch die Unterstützung verschiedener islamistischer Milizen unter Druck setzt. Seit Bekanntwerden des iranischen Atomprogramms 2002 fürchtet die Regierung in Tel Aviv zudem den Aufstieg Irans zu einer Atommacht.
Wie wird der Konflikt zwischen Iran und Israel seit Jahrzehnten ausgetragen?
Beide Staaten bekämpfen sich seit langem, allerdings oft im Verborgenen. Der Iran wird beispielsweise mit Terroranschlägen gegen jüdische Einrichtungen in Verbindung gebracht. In den 1990ern sterben insgesamt 114 Menschen bei zwei Bombenexplosionen in einem jüdischen Gemeindezentrum in Buenos Aires. Das Regime in Teheran versucht außerdem Israels Sicherheit über „Stellvertreter“ zu untergraben. Unter dem Begriff „Achse des Widerstands“ stattet der Iran verschiedene Gruppierungen in der Region mit Waffen aus - darunter die Hamas und den Islamischen Dschihad im Gazastreifen, die Hisbollah im Libanon aber auch die reguläre syrische Armee von Machthaber Assad.
Israel wiederum bekämpft den iranischen Einfluss mit verschiedenen Mitteln. Dazu zählen Luftangriffe auf Stellungen pro-iranischer Gruppen im Libanon, Syrien und dem Irak. 2007 zerstörten israelische Jets einen mutmaßlichen Atomreaktor im syrischen Deir Al-Sor, der mit dem iranischen Atomprogramm in Verbindung gebracht wurde. Israels Auslandsgeheimdienst Mossad soll für die gezielte Tötung mehrerer iranischer Wissenschaftler verantwortlich sein. Mit einem den USA und Israel zugeschriebenen Cyberangriff zerstörte das Computervirus „Stuxnet“ Zentrifugen zur Urananreicherung in der iranischen Forschungsanlage Natans.
Einzige Ausnahme der anhaltenden Auseinandersetzungen: Zu Zeiten des Iran-Irak-Krieges bezieht der Iran über geheime Kanäle Waffen aus Israel.
Wie steht die Bevölkerung beider Länder diesem Konflikt gegenüber?
Offenbar sind sowohl Israelis als auch die Menschen im Iran skeptisch, was einen Waffengang gegen den jeweils anderen angeht. Laut einer Umfrage der Hebräischen Universität in Jerusalem waren 52 Prozent der Befragten in Israel gegen einen Vergeltungsangriff nach der Großattacke mit Hunderten Drohnen und Raketen durch den Iran im April.
Experten gehen davon aus, dass auch die iranische Bevölkerung den jüngsten Raketenangriff auf Israel nicht befürwortet. Es sei möglich, dass Teile der konservativen Elite hinter der Regierung stehen, nicht aber die Mehrheit der Bevölkerung, sagt Nahost-Experte Philipp Dienstbier. Diese leide viel mehr unter der desaströsen Situation im Land. „Die Regierung wird immer wieder kritisiert, dass sie Geld in die Milizen steckt, aber nicht in die Lage zu Hause. Versuche der Regierung Unterstützung in der breiten Bevölkerung zu finden, scheitern deshalb oft“, so Dienstbier.
Wie könnte dieser Konflikt beruhigt oder beigelegt werden?
Die Lage ist derzeit brisant, weil beide Länder schon seit längerem früher geltende rote Linien überschritten haben. "Dass Israel und Iran sich gegenseitig direkt angreifen, ist absolut nicht normal. Deshalb ist die Lage so angespannt", erklärt ARD-Korrespondent Benjamin Hammer. Um den Konflikt zu deeskalieren wäre Experten zufolge eine Rückkehr zum Zustand vor all diesen Attacken erforderlich. Für Dr. Cornelius Adebahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik hätte lediglich eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern Aussicht darauf, die Lage zu entspannen.
Ein Waffenstillstand und längerfristig eine Rückkehr zu einem Friedensprozess mit einer klaren Perspektive für einen palästinensischen Staat wäre ein Weg. „Wenn das gelänge, würde der Iran ein wichtiges Thema verlieren, mit dem er sich Freunde in der Region macht“, sagte Adebahr in dem Podcast "Streit und Strategie" des NDR. Die Feindschaft zu Israel verlöre in der Folge an Bedeutung und die Kräfte im Iran, die dieser Konfrontation ohnehin skeptisch gegenüberstehen, könnten dann eine substanzielle Veränderung des politischen Kurses erreichen.
Die durch den Gazakrieg unterbrochene Annäherung zwischen Israel und den arabischen Ländern, allen voran Saudi-Arabien, ist ein weiterer Schlüssel für eine stabile Sicherheitslage im Nahen Osten.
jk