"Ich fühle mich ein bisschen wie Dietrich Bonhoeffer. Ich meine, ich muss keine Opfer bringen, überhaupt nicht. Aber auch er liebte seine Kirche und sein Land. Und er wollte nicht dabei zusehen, wie beides zerstört wird. Ich liebe es, Jude zu sein und das Judentum. Und ich will nicht dabei zu sehen, wie es sich selbst zerstört."
Als jüdischer Bonhoeffer, als Widerstandskämpfer präsentiert sich Mark Braverman bei seinen Lesungen in Deutschland, wie hier auf Einladung des Köln-Bethlehem Städtepartnerschaftsverein. Bravermans Ziel: Die christlichen Kirchen in Deutschland sollen sich für die Rechte der Palästinenser stark machen. Die Schuld ist klar für ihn verteilt: Seine eigenen jüdischen Glaubensbrüder sieht er als Unterdrücker der Palästinenser.
Braverman, Jahrgang 1948, ist in einem konservativen jüdischen Umfeld in den USA aufgewachsen. Jahrelang hat er als Traumatherapeut gearbeitet, jetzt in seinem Ruhestand will er, wie er sagt, das Judentum vor sich selbst retten. Dafür reist er umher, hält Vorträge und liest aus seinen Büchern, oft in kirchlichen Einrichtungen, in Gemeindesälen und Bildungshäusern, katholischen wie evangelischen. Bei seinen Lesungen vertritt er die These: Die aktuelle - wie er es nennt - Unterdrückungspolitik Israels gefährde die Zukunft des Landes.
Klima der Angst
"Wir Juden sind immer noch gefangen in dieser psychologischen Realität, verfolgt zu werden. Wir leben in ständiger Angst davor. Deswegen haben wir eine Festung um uns gebaut. Aber so erholt man sich nicht von einem Trauma. Wir müssen wieder lernen anderen Menschen zu vertrauen. Das haben wir noch nicht geschafft. Und der Staat Israel ist ein Beweis dafür. Wir handeln total selbstzerstörerisch. Das bringt uns um. Es ist eine Katastrophe."
In einem Klima der Angst könne keine gute Zukunft erwachsen, glaubt der Psychologe. Braverman ist davon überzeugt, dass der Staat Israel auf Kosten der Palästinenser gegründet wurde. Israel sei mittlerweile - so behauptet er - ein Apartheidsstaat, der die Palästinenser wie Menschen zweiter Klasse behandele. Das hänge mit der Idee des Zionismus zusammen.
"Der einzige Ausweg ist, herauszufinden, wie man die zionistische Idee sein lassen und einen echten, demokratischen Staat etablieren kann. Einen, der auch Nichtjuden einbezieht. Ich glaube, die Idee eines jüdischen Staates hat keinen Platz in der modernen Welt. Christlicher Staat? Muslimischer Staat, wir wollen das nicht, oder?"
Sekundärer Antisemitismus?
Bei seinen Lesungen bekommt er dafür größtenteils Applaus. Für seine Kritiker ist das Antisemitismus, vorgetragen von einem Juden. Braverman setze die Politik Israels mit einer "jüdischen Politik" gleich, sekundären Antisemitismus nennen Wissenschaftler diese Form der Judenfeindlichkeit. Die Gemeinden, die Braverman einladen, sehen sich jedoch zu Unrecht dem Vorwurf ausgesetzt, antisemitischen Positionen ein Podium zu bieten. Sie betrachten Bravermans Thesen als Beitrag zu einer notwendigen Debatte.
Gesine Palmer, evangelische Theologin und Judaistin aus Berlin, hat unlängst ein Buch über das zwiespältige Verhältnis der evangelischen Kirche zu Israel herausgegeben. Sie kritisiert die Zionismus-Kritik vom Schlage Bravermans:
"Man muss das zionistische Projekt auch von innen heraus und von außen kritisieren können. Allerdings glaube ich, dass wir längst wieder eliminatorische Antisemitismen an allen möglichen Stellen der Welt hätten, wenn es nicht diesen doch relativ starken, mächtigen, erfolgreichen und einflussreichen Staat gäbe."
Gefährlich findet Gesine Palmer es, Israel als Apartheidsstaat zu bezeichnen und so mit dem Regime in Südafrika gleichzusetzen.
"Ich halte auch die Einführung des Begriffs Rassismus für unglücklich. Ich finde immer wenn man so ein Schild hochhält, das ist jetzt das und das und da müssen wir jetzt ganz doll dagegen sein, führt immer dazu, dass man dann doch wieder die 'Wir sind die Guten, die sind die Bösen'-Strukturen etabliert. Nur eben mit umgekehrten Vorzeichen."
Aufrufe zum Boykott
Braverman nutzt Signalworte wie Apartheid und Vergleiche wie den mit Bonhoeffer, und sorgt so für Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, um Verbündete in den Kirchen zu gewinnen. Kirchliche Gruppen engagierten sich auch schon gegen das Regime in Südafrika. Braverman träumt davon, dass sich mehr von ihnen der Kairos-Palästina-Bewegung anschließen. Die wiederum hat den Anti-Apartheids-Kampf in Südafrika zum Vorbild. Diese Bewegung geht zurück auf einen Aufruf christlicher Palästinenser aus dem Jahre 2009. Sie fordert unter anderem ein Ende der "Besatzung", wie sie es nennt, und einen wirtschaftlichen Boykott des Staates Israel.
Braverman sagt: "Wenn die Kirche nichts tut, dann unterstützt sie das jüdische Volk in seinen Sünden. Heute. Und das hat nichts zu tun mit ihren Sünden von damals. Sie macht sich erneut schuldig. Das ist meine Botschaft an die deutsche Kirche."
Doch die deutsche Kirche, von der Braverman im Singular spricht, gibt es nicht. Es gibt Widersprüche und Kontroversen rund um das Thema Israel. Einerseits bemühen sich die beiden großen Kirchen in Deutschland seit Jahrzehnten um den christlich-jüdischen Dialog. Zum Kairos-Dokument halten die Spitzen beider Kirchen Abstand. Andererseits stößt Bravermans Botschaft zunehmend auf offene Ohren.
Der frühere religionspolitische Sprecher der Grünen und heutige Lehrbeauftragte am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien in Bochum Volker Beck wünscht sich eine klare Linie der Kirchen zum Kairos-Papier. In dieser Sendung sagte er:
"In dem theologischen Teil des Papiers kommt die alte Überwindungstheologie wieder zum Ausdruck und wird eigentlich die Berechtigung einer eigenständigen jüdischen Religion faktisch negiert. Das ist etwas, wo ich auch von den Kirchen erwarte, dass das, was sie mal aufgeschrieben haben nach dem Krieg an neuen theologischen Haltungen gegenüber dem Judentum, das auch auf solche Papiere anzuwenden und sich dann auch mit palästinensischen Christen auseinanderzusetzen und zu sagen: 'Da muss ein anderer Duktus rein. Wir sind nicht auf der Welt als Christen, um dem Judentum ihr Judentum auszutreiben oder auf die jüdischen Brüder und Schwestern von oben herab zu blicken."
Verhältnis von Christen und Juden
Jüngst hat die Arbeitsgruppe "Solidarische Kirche im Rheinland" die EKD dafür kritisiert, nicht deutlich genug die Politik Israels anzuprangern. Die Gruppe ruft dazu auf, sich der Bewegung BDS anzuschließen und Produkte aus israelischen Siedlungen zu boykottieren und Investments aus dem Gebiet abzuziehen. Volker Beck beobachtet solche Tendenzen sowohl in den Kirchen als auch in der Politik kritisch:
"Viele führende Köpfe von BDS wollen auch nicht eine Zweistaatenlösung, sondern sie wollen Palästina. 'From the river to the sea, Palestine will be free.' Das ist ihr Schlachtruf. Und sie betrachten nicht nur die West Bank als besetzt von Israel, sondern sie betrachten auch das gesamte israelische Staatsterritorium als Kolonialprojekt und als Besetzung der Juden. Und da muss man ein bisschen genauer hinschauen. Ich habe das Gefühl, gerade in der politischen Linken ist der Umgang mit BDS äußerst naiv."
Die EKD lehnt offiziell die Boykottaktion BDS ab. Auch der Bundestag hat sich dazu jüngst kritisch geäußert. Manfred Kock, ehemaliger Ratsvorsitzender der EKD, hält diese Bewegung auch aus historischen Gründen für problematisch.
"Es gibt gute Gründe zu überlegen, ob das ein angemessener Weg ist. Ich habe das noch gut in Erinnerung, was es heißt: 'Kauf nicht bei Juden.' Das wird bei uns nicht verstanden nur alleine als ein Schaden gegenüber dem Staat Israel, der dann gezwungen werden soll, die Araber besser zu behandeln. Sondern das wird tatsächlich in den gleichen Topf gedreht, wie es vor 1945 auch gewesen ist. Und deshalb ist das sehr umstritten."
Kirchen müssen sich erklären
Trotz dieser Distanzierung vom Boykott trat Kock im Januar gemeinsam mit Mark Braverman in Köln auf und gab als ehemaliger EKD-Amtsträger der Lesung damit eine halb-offizielle Note. Bravermans Vorwurf, die evangelische Kirche sei zu zurückhaltend in ihrer Kritik an der Politik Israels wehrt Kock ab.
"Es trifft nicht zu dass die Kirche da völlig schweigt. Es gibt zwar eine gewisse Vorsicht. Man muss auch immer aufpassen, dass man bei der Kritik an Israel nicht in den Verdacht kommt, als wolle man den Staat selbst beschädigen. Der sollte ja schon geschützt bleiben. Aber das Leiden der Palästinenser ist schon im Bewusstsein", sagt Kock.
Braverman selbst weist den Vorwurf des Antisemitismus zurück. Das Wort werde instrumentalisiert, meint er, gerade in der deutschen Debatte um Israel:
"Ihr Deutschen seid in einer furchtbaren Klemme. Ihr unterstützt ein Land, das Südafrikaner sehen und sagen: Die Rassendiskriminierung in Israel ist schlimmer als zu unseren eigenen Apartheidszeiten. Auf der anderen Seite: Wenn ihr das sagt: Werdet ihr mit dem schlimmsten Wort bezeichnet, was man einem Deutschen sagen kann: Antisemit. Kein Deutscher will Antisemit genannt werden."
Ist Braverman ein mutiger Kritiker Israels oder ein jüdischer Judenhasser? Und vor allem: Ist es noch aufzuhalten, dass das Verhältnis von Christen und Juden beschädigt wird? Den Kirchen steht ein Klärungsprozess bevor.