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Israel
Mehr christliche Araber leisten Wehrdienst

Jeder fünfte Israeli ist ein Araber. Etwa zehn Prozent von ihnen sind Christen. Sie können aber, wie muslimische arabische Israelis auch, freiwillig Wehrdienst leisten. In den letzten Jahren sind immer mehr Christen zur Armee gegangen - was zu heftigen Debatten führt.

Von Andreas Main |
    "In der IDF, der israelischen Verteidigungsarmee, gedient zu haben, das ist von Vorteil in dieser Gesellschaft. Das ist wie eine Eintrittskarte. Du gehörst zum Klub. Und das wird sich nicht ändern, so lange der arabisch-israelische Konflikt andauert. Wir werden erst eine perfekte Demokratie sein, wenn wir mit unseren Nachbarn in Frieden leben."
    Das kann noch dauern, weiß auch David Rosen, Rabbiner und zuständig für interreligiöse Fragen beim American Jewish Comittee. Auch weil die Armee als Schmelztiegel wirkt, streben immer mehr christliche Araber zur IDF. Sie werden von anderen Arabern als "Verräter" beschimpft. Auf den griechisch-orthodoxen Priester Gabriel Nadaf wurde ein Kopfgeld ausgesetzt. Denn er sagt: Wir Christen müssen unsere Heimat zusammen mit den Juden verteidigen. Er fordert alle jungen arabischen Christen auf, wie ihre jüdischen Altersgenossen Wehrdienst zu leisten.
    Das griechisch-orthodoxe Patriarchat distanziert sich von Priester Nadaf. Der bekommt Polizeischutz. So wie auch andere Mitglieder des von ihm gegründeten "Forums der israelischen Christen für die Einberufung". Der Streit hat sich weiter zugespitzt, seit das israelische Verteidigungsministerium ankündigt, Briefe an junge christliche wehrfähige Frauen und Männer schreiben zu wollen. Nicht als Einberufung, sondern als Einladung, sich zu informieren. Rabbiner David Rosen sieht Chancen und Gefahren.
    "Wir müssen den Willen der Menschen respektieren. Wenn ein Teil der christlichen Araber im Militär dienen will, dann sollten wir sie ermutigen. Aber zu versuchen, den Militärdienst Menschen aufzudrängen, die das nicht wollen und denen wir einst das Recht gewährt haben, keinen Militärdienst zu leisten, das ist meines Erachtens falsch."
    Drei Viertel der christlichen Israelis sind Araber. Ein Viertel ist christlich, aber nicht-arabisch. Sie sind Kinder von Gastarbeitern oder nicht-jüdische Partner aus gemischten Ehen. Und doch sind sie Israelis mit allen Rechten und Pflichten. Sie gehen ganz selbstverständlich zur Armee, sagt David Neuhaus, zuständig für die hebräisch sprechenden Katholiken in Israel. Er ist Jesuit, katholischer Priester und Jude. Viele seiner Gemeindemitglieder sind Offiziere, für ihn als Kirchenmann kein Problem. Seine arabischen Priesterkollegen reagieren anders, wenn ihre Gemeindemitglieder zur Armee gehen:
    "Nun, das ist viel problematischer, weil sie nicht zu jenen Israelis gehören, die alle Rechte genießen. Sie werden diskriminiert. Und zwar genauso wie muslimische Araber. Warum nun ist die Regierung so erpicht darauf, christliche Araber zu mobilisieren und nicht alle arabischen Israelis? Geht es darum, Christen und Muslime zu spalten und Probleme zu schaffen zwischen Christen und Muslimen?"
    David Neuhaus, der katholisch-jüdische Ordensmann, geht hart ins Gericht mit dem israelischen Staat: Der säe Zwietracht zwischen Muslimen und Christen. Der Feind würde neu definiert - nach dem Motto: 'Dein Feind sind nicht wir, die israelischen Juden. Dein Feind ist Moslem.' Sein zweites Argument: Die Drusen, eine weitere religiöse Minderheit, sie dienen seit fast 60 Jahren in der Armee, doch warten bis heute drauf, gleich gestellt zu sein mit jüdischen Israelis. Und drittens, diese Politik spalte auch die christliche Minderheit, rund zwei Prozent der israelischen Bevölkerung.
    "Die israelische Armee ist ein Instrument der Kontrolle"
    "Die israelische Armee ist ein Instrument der Kontrolle. Und es ist vor allem die palästinensische Bevölkerung, die kontrolliert wird. Ob man mag oder nicht, es für nötig hält oder nicht - das ist die Realität. Palästinenser kontrollieren - das ist das, was die Armee überwiegend tut. Gut, es gibt junge Araber, die wollen in dieser Armee dienen. Doch um aufgenommen zu werden, müssen sie offenbar ihre palästinensisch-arabische Identität opfern. Sie müssen klar und deutlich sagen: 'Wir sind keine palästinensischen Araber.' Das ist der ganz bewusste Versuch, Identität umzuformulieren."
    Dass das gelingt, bezweifelt Gershom Gorenberg. Er wendet sich dennoch ebenso heftig gegen die Einladung christlicher Araber zur Armee. Der Historiker allerdings argumentiert aus religiös-jüdischer Perspektive:
    "Dass dies unter einer rechten Regierung passiert, wundert mich nicht. Sie versuchen, die palästinensischen Bürger Israels zu teilen - und zwar entlang religiöser Linien. Das ist ein klassischer Schachzug von Staaten. Aber letztlich ist die Erfolgsaussicht sehr, sehr gering. Ich habe keinen Anhaltspunkt dafür, dass christliche Palästinenser ihre palästinensische Identität ablegen."
    Zahl der arabischen Christen, die freiwillig Wehrdienst leisten, steigt
    Einige haben das schon getan. Der griechisch-orthodoxe Priester Nadaf, der sich für den Wehrdienst engagiert, sagt: Ich möchte als Christ nicht in Gaza oder Hebron leben. Auch nicht in Syrien oder anderen arabischen Staaten, wo Christen wegen ihrer Religion getötet werden. In Israel, sagen er und seine Mitstreiter in Nazareth, würden Christen geschützt. Die Argumente ihres "Forums der israelischen Christen für die Einberufung" kommen offenbar an. Rund 2.000 arabische Christen kommen jährlich ins wehrfähige Alter. Vor wenigen Jahren entschieden sich jeweils nur etwa 35 von ihnen für den Wehrdienst. Jetzt sind es mehr als 100. Ofer Zalzberg verurteilt die Taktik der israelischen Regierung.
    "Das ist pervers. Diese Strategie, dieses Teile-und-Herrsche, das lehne ich zutiefst ab. Für die kleine Gruppe christlicher Araber wird ein Anreiz geschaffen, um sie zu abzuspalten von den muslimischen Arabern. Sie sollen die Fronten wechseln und sich auf die Seite der Herrschenden begeben. So was finde ich unmoralisch."
    Ofer Zalzberg ist Politikberater bei der International Crisis Group, einer weltweit agierenden Nicht-Regierungsorganisation, die Lösungsvorschläge zu internationalen Konflikten liefert.
    "Israel sollte sich besser um alle Araber in Israel kümmern. Es sollte einerseits seinen Charakter als Staat des jüdischen Volkes bekräftigen, aber andererseits anerkennen, dass es in Israel eine nationale, arabisch-palästinensische Minderheit gibt. Das ist nicht leicht, weil wir mitten im Israelisch-Palästinensischen Konflikt sind, der in den vergangenen 15 Jahren eskaliert ist. Und das Niveau wechselseitiger Ablehnung ist sehr hoch - auf beiden Seiten. Und doch: Verglichen mit der arabischen Minderheit ist die jüdische Mehrheit Israels in einer stärkeren Position und sollte den ersten Schritt tun."
    Auch Zalzberg argumentiert aus einer jüdischen Perspektive, kommt aber zu ganz anderen Ergebnissen als die israelische Regierung.
    "Juden waren 2000 Jahre lang eine Minderheit, die in Staaten anderer Völker lebte. Wir wissen vielleicht besser als irgendwer sonst, was es bedeutet, als Minderheit diskriminiert zu werden. Wir müssen uns moralisch daran messen lassen. Wie behandeln wir heute unsere Minderheiten? Ich lese diese Frage immer wieder, wenn ich die Bibel aufschlage. Das gehört zur jüdischen Geschichte. Wir sind ein Volk, dessen zentraler Narrativ sich darum dreht, wie es ist, als unterdrückte Minderheit unter fremder Herrschaft zu leben. Wir sollten also das humanistische Prinzip anwenden: Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen."
    Vorschlag: freiwilliger Nationaldienst
    Rabbiner David Rosen macht einen ganz konkreten Vorschlag, wie alle Israelis gleich behandelt werden könnten. Egal ob muslimisch, drusisch, jüdisch oder christlich. Ergänzend zum verpflichtenden Wehrdienst sollte ein verpflichtender Zivildienst eingeführt werden. Der freiwillige sogenannte Nationaldienst, den einige arabische Israelis schon jetzt ableisten und dafür Vergünstigungen erhalten, die denen der Soldaten entsprechen - dieser Dienst sollte für alle bindend sein als Alternative zur Armee. Gleiche Rechte und Pflichten für alle, und gleiche Chancen, resultierend aus dem Engagement für den Staat, fordert der Rabbiner.