Christoph Heinemann: Mit großer Mehrheit hat die UN-Vollversammlung den Palästinensern einen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen verliehen und damit den Staat Palästina de facto, wenn auch gleich nicht de jure, anerkannt.
Am Telefon ist der SPD-Politiker Rudolf Dreßler, ehemaliger deutscher Botschafter in Israel. Guten Morgen.
Rudolf Dreßler: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Dreßler, was bedeutet diese Entscheidung für die Palästinenser?
Dreßler: Zunächst einmal bedeutet sie, dass der amtierende Ministerpräsident Abbas wieder als Akteur wahrgenommen wird, denn nach dem militärischen Konflikt mit der Hamas im Gazastreifen war dieser Ministerpräsident erheblich geschwächt. Und dieses musste durch ein wie auch immer geartetes Signal verändert werden, denn Israel hat außer ihm keinen ernst zu nehmenden Partner für die Wiederaufnahme von Verhandlungen. Insoweit war das für Abbas, also für die Moderaten innerhalb der palästinensischen Autonomie, ein wichtiger Punkt und in der Konsequenz auch für Israel ein wichtiger positiver Punkt.
Heinemann: Wieso für Israel?
Dreßler: …, weil Israel sonst keinen Verhandlungspartner hat. Denn sie wollen ja wohl nicht mit der Hamas verhandeln, die die Vernichtung Israels auf ihre Fahnen geschrieben hat. Es geht einfach darum, den palästinensischen Ministerpräsidenten so zu stärken, dass er in der Lage ist, mit Israel autonom für den ganzen palästinensischen Bereich Verhandlungen aufzunehmen, was zurzeit nicht gegeben ist.
Heinemann: Gleichwohl hat ja Israel diese Aufwertung abgelehnt.
Dreßler: Das ist richtig. Diesen Vorgang wird Israel genau analysieren müssen, weil er für sie in der Konsequenz letztlich kontraproduktiv ist. Diese Geschichte, die entzündet sich immer an einem bestimmten Punkt: an der Siedlungspolitik Israels. Solange sie dieses fortsetzen, wird es keinen Fortschritt bei Wiederaufnahme von Verhandlungen geben. Also Israel muss, nachdem Abbas vor der UNO die Existenzberechtigung Israels anerkannt hat - zum wiederholten Male übrigens -, jetzt seinerseits einen Schritt nach vorne gehen und muss die Siedlungspolitik beenden, um die Aufnahme von neuen Gesprächen wieder möglich zu machen.
Heinemann: Herr Dreßler, war Deutschland gut beraten, sich zu enthalten?
Dreßler: Ich vermute, es war nichts anderes als eine Geste gegenüber Israel und auch den Vereinigten Staaten. Der zweite Satz in dieser Begründung für die Enthaltung, nämlich dass Deutschland ohne Wenn und Aber an der Zwei-Staaten-Lösung festhalte, sagt ja deutlich, dass Deutschland in Wahrheit für diesen Antrag gewesen ist.
Heinemann: Aber lautet die Botschaft nicht auch, dass Israel sich auf Deutschland nicht mehr verlassen kann?
Dreßler: Nein, das glaube ich nicht, dass das der Fall ist. Im Gegenteil! Wer jetzt für Israel etwas tun will, muss Israel immer wieder in Argumenten versuchen klar zu machen, dass der Weg, den sie bisher gegangen sind mit der Siedlungspolitik, für Israel kontraproduktiv ist.
Heinemann: Herr Dreßler, die großen europäischen Südländer haben die Palästinenser aktiv unterstützt. Über Deutschland haben wir gesprochen. Wie schwer wiegt, dass Europa einmal mehr Hü und Hott gesagt hat?
Dreßler: Ich glaube nicht, dass das Konsequenzen haben wird, obwohl der Zustand selber sicherlich verbesserungswürdig ist. Aber wenn Sie 27 Staaten unter einen Hut bekommen wollen, dann ist das nicht so einfach, also autonome Staaten. Und die große Menge innerhalb der Europäischen Union hat ja sich der Stimme enthalten, oder dafür gestimmt, also für diesen Antrag, und nur die wenigsten, mit Israel eingeschlossen neun Länder, waren gegen diesen Antrag. Das ist bei einer Anzahl von weit über 100 Mitgliedern innerhalb der Staatengemeinschaft ein winziger Rest, der verblieben ist, und meine Prognose ist, er wird weiter sinken.
Heinemann: Herr Dreßler, bislang drohen die USA im Sicherheitsrat mit einem Veto, sollte dort der Antrag auf eine Vollmitgliedschaft der Palästinenser auf den Tisch kommen. Könnte ein Präsident Obama, der in der zweiten Amtszeit nichts mehr zu verlieren hat, daran etwas ändern?
Dreßler: Sicher könnte er das. Entscheidend ist im Nahen Osten, es ist nicht so, dass mit den Amerikanern alles möglich ist, aber ohne die Amerikaner ist überhaupt nichts möglich und insoweit ist der Druck der Vereinigten Staaten auf Israel, Positionen zu modifizieren, nach wie vor der entscheidende Schlüssel. Das können die Deutschen nicht leisten, das kann die Europäische Union nicht leisten. Aber das müssen die Amerikaner tun und dazu wäre Obama in seiner zweiten Amtszeit sicherlich in der Lage.
Heinemann: …, zumal die USA jetzt gewählt haben. Im Januar wählen die Israelis eine neue Knesset. Rechnen Sie damit, dass sich beide Seiten, also Israelis und Palästinenser, danach wieder an einen Tisch setzen werden?
Dreßler: Vor der Wahl in Israel glaube ich nicht daran.
Heinemann: Nein, danach!
Dreßler: …, es sei denn, es gibt Geheimgespräche. Das halte ich nicht für ausgeschlossen. Aber nach den Wahlen sehe ich eine neue Runde für denkbar. Aber entscheidend ist, dass A der Schritt von Israel: Stopp der Siedlungspolitik und B bei der palästinensischen Seite die nicht weitere Ausführung von Gewalttaten die beiden Schlüssel für den Einstieg in neue Verhandlungen darstellen.
Heinemann: Und muss man daran in irgendeiner Weise die Hamas beteiligen?
Dreßler: Das ist der entscheidende Punkt, der zunächst mal innerpalästinensisch geklärt werden muss: kann der amtierende Ministerpräsident auch für den Gazabereich sprechen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, Konjunktiv, dann wird es ganz, ganz problematisch, denn Israel kann unmöglich mit zwei unterschiedlichen Kräften innerhalb der palästinensischen Autonomie verhandeln.
Heinemann: Herr Dreßler, die von Islamisten beherrschte Verfassungsversammlung in Ägypten hat jetzt gerade einen Verfassungsentwurf beschlossen, über den in einem Referendum dann die Bevölkerung auch noch abstimmen soll. Die Muslim-Brüder und die Schwestern haben dafür gesorgt, dass sich ihre Weltanschauung darin deutlich wiederfindet. Gesamtgemengelage – welche Rolle spielt dabei die Lage in Ägypten?
Dreßler: Also der letzte Konflikt im Gazabereich vor wenigen Tagen hat gezeigt, dass Ägypten eine ganz entscheidende Rolle bei der Befriedung des Nahost-Komplexes darstellt. Das gilt so stark, wie es früher mal Jordanien gewesen ist. Also wir brauchen die Ägypter im Boot, weil zur Mäßigung der Hamas die ägyptische Stimme unentbehrlich ist.
Heinemann: Präsident Mursi spielt dabei ja eine merkwürdige Rolle: auf der einen Seite Held der Vermittlung im Gazakrieg, haben Sie gerade gesagt, und zuhause der kleine Diktator. Werden Sie schlau aus dem Mann?
Dreßler: Also im Augenblick werde ich nicht schlau, weil ich befürchte, er hat den Erfolg, den er auf der Weltbühne erreicht hat, versucht, in innenpolitische Erfolge umzusetzen, was in der Regel nie gut gehen kann. Also auch dieser Präsident von Ägypten unterzieht sich zurzeit einem schwierigen Lernprozess.
Heinemann: Rudolf Dreßler, der ehemalige deutsche Botschafter in Israel und SPD-Politiker. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Dreßler: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon ist der SPD-Politiker Rudolf Dreßler, ehemaliger deutscher Botschafter in Israel. Guten Morgen.
Rudolf Dreßler: Guten Morgen!
Heinemann: Herr Dreßler, was bedeutet diese Entscheidung für die Palästinenser?
Dreßler: Zunächst einmal bedeutet sie, dass der amtierende Ministerpräsident Abbas wieder als Akteur wahrgenommen wird, denn nach dem militärischen Konflikt mit der Hamas im Gazastreifen war dieser Ministerpräsident erheblich geschwächt. Und dieses musste durch ein wie auch immer geartetes Signal verändert werden, denn Israel hat außer ihm keinen ernst zu nehmenden Partner für die Wiederaufnahme von Verhandlungen. Insoweit war das für Abbas, also für die Moderaten innerhalb der palästinensischen Autonomie, ein wichtiger Punkt und in der Konsequenz auch für Israel ein wichtiger positiver Punkt.
Heinemann: Wieso für Israel?
Dreßler: …, weil Israel sonst keinen Verhandlungspartner hat. Denn sie wollen ja wohl nicht mit der Hamas verhandeln, die die Vernichtung Israels auf ihre Fahnen geschrieben hat. Es geht einfach darum, den palästinensischen Ministerpräsidenten so zu stärken, dass er in der Lage ist, mit Israel autonom für den ganzen palästinensischen Bereich Verhandlungen aufzunehmen, was zurzeit nicht gegeben ist.
Heinemann: Gleichwohl hat ja Israel diese Aufwertung abgelehnt.
Dreßler: Das ist richtig. Diesen Vorgang wird Israel genau analysieren müssen, weil er für sie in der Konsequenz letztlich kontraproduktiv ist. Diese Geschichte, die entzündet sich immer an einem bestimmten Punkt: an der Siedlungspolitik Israels. Solange sie dieses fortsetzen, wird es keinen Fortschritt bei Wiederaufnahme von Verhandlungen geben. Also Israel muss, nachdem Abbas vor der UNO die Existenzberechtigung Israels anerkannt hat - zum wiederholten Male übrigens -, jetzt seinerseits einen Schritt nach vorne gehen und muss die Siedlungspolitik beenden, um die Aufnahme von neuen Gesprächen wieder möglich zu machen.
Heinemann: Herr Dreßler, war Deutschland gut beraten, sich zu enthalten?
Dreßler: Ich vermute, es war nichts anderes als eine Geste gegenüber Israel und auch den Vereinigten Staaten. Der zweite Satz in dieser Begründung für die Enthaltung, nämlich dass Deutschland ohne Wenn und Aber an der Zwei-Staaten-Lösung festhalte, sagt ja deutlich, dass Deutschland in Wahrheit für diesen Antrag gewesen ist.
Heinemann: Aber lautet die Botschaft nicht auch, dass Israel sich auf Deutschland nicht mehr verlassen kann?
Dreßler: Nein, das glaube ich nicht, dass das der Fall ist. Im Gegenteil! Wer jetzt für Israel etwas tun will, muss Israel immer wieder in Argumenten versuchen klar zu machen, dass der Weg, den sie bisher gegangen sind mit der Siedlungspolitik, für Israel kontraproduktiv ist.
Heinemann: Herr Dreßler, die großen europäischen Südländer haben die Palästinenser aktiv unterstützt. Über Deutschland haben wir gesprochen. Wie schwer wiegt, dass Europa einmal mehr Hü und Hott gesagt hat?
Dreßler: Ich glaube nicht, dass das Konsequenzen haben wird, obwohl der Zustand selber sicherlich verbesserungswürdig ist. Aber wenn Sie 27 Staaten unter einen Hut bekommen wollen, dann ist das nicht so einfach, also autonome Staaten. Und die große Menge innerhalb der Europäischen Union hat ja sich der Stimme enthalten, oder dafür gestimmt, also für diesen Antrag, und nur die wenigsten, mit Israel eingeschlossen neun Länder, waren gegen diesen Antrag. Das ist bei einer Anzahl von weit über 100 Mitgliedern innerhalb der Staatengemeinschaft ein winziger Rest, der verblieben ist, und meine Prognose ist, er wird weiter sinken.
Heinemann: Herr Dreßler, bislang drohen die USA im Sicherheitsrat mit einem Veto, sollte dort der Antrag auf eine Vollmitgliedschaft der Palästinenser auf den Tisch kommen. Könnte ein Präsident Obama, der in der zweiten Amtszeit nichts mehr zu verlieren hat, daran etwas ändern?
Dreßler: Sicher könnte er das. Entscheidend ist im Nahen Osten, es ist nicht so, dass mit den Amerikanern alles möglich ist, aber ohne die Amerikaner ist überhaupt nichts möglich und insoweit ist der Druck der Vereinigten Staaten auf Israel, Positionen zu modifizieren, nach wie vor der entscheidende Schlüssel. Das können die Deutschen nicht leisten, das kann die Europäische Union nicht leisten. Aber das müssen die Amerikaner tun und dazu wäre Obama in seiner zweiten Amtszeit sicherlich in der Lage.
Heinemann: …, zumal die USA jetzt gewählt haben. Im Januar wählen die Israelis eine neue Knesset. Rechnen Sie damit, dass sich beide Seiten, also Israelis und Palästinenser, danach wieder an einen Tisch setzen werden?
Dreßler: Vor der Wahl in Israel glaube ich nicht daran.
Heinemann: Nein, danach!
Dreßler: …, es sei denn, es gibt Geheimgespräche. Das halte ich nicht für ausgeschlossen. Aber nach den Wahlen sehe ich eine neue Runde für denkbar. Aber entscheidend ist, dass A der Schritt von Israel: Stopp der Siedlungspolitik und B bei der palästinensischen Seite die nicht weitere Ausführung von Gewalttaten die beiden Schlüssel für den Einstieg in neue Verhandlungen darstellen.
Heinemann: Und muss man daran in irgendeiner Weise die Hamas beteiligen?
Dreßler: Das ist der entscheidende Punkt, der zunächst mal innerpalästinensisch geklärt werden muss: kann der amtierende Ministerpräsident auch für den Gazabereich sprechen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, Konjunktiv, dann wird es ganz, ganz problematisch, denn Israel kann unmöglich mit zwei unterschiedlichen Kräften innerhalb der palästinensischen Autonomie verhandeln.
Heinemann: Herr Dreßler, die von Islamisten beherrschte Verfassungsversammlung in Ägypten hat jetzt gerade einen Verfassungsentwurf beschlossen, über den in einem Referendum dann die Bevölkerung auch noch abstimmen soll. Die Muslim-Brüder und die Schwestern haben dafür gesorgt, dass sich ihre Weltanschauung darin deutlich wiederfindet. Gesamtgemengelage – welche Rolle spielt dabei die Lage in Ägypten?
Dreßler: Also der letzte Konflikt im Gazabereich vor wenigen Tagen hat gezeigt, dass Ägypten eine ganz entscheidende Rolle bei der Befriedung des Nahost-Komplexes darstellt. Das gilt so stark, wie es früher mal Jordanien gewesen ist. Also wir brauchen die Ägypter im Boot, weil zur Mäßigung der Hamas die ägyptische Stimme unentbehrlich ist.
Heinemann: Präsident Mursi spielt dabei ja eine merkwürdige Rolle: auf der einen Seite Held der Vermittlung im Gazakrieg, haben Sie gerade gesagt, und zuhause der kleine Diktator. Werden Sie schlau aus dem Mann?
Dreßler: Also im Augenblick werde ich nicht schlau, weil ich befürchte, er hat den Erfolg, den er auf der Weltbühne erreicht hat, versucht, in innenpolitische Erfolge umzusetzen, was in der Regel nie gut gehen kann. Also auch dieser Präsident von Ägypten unterzieht sich zurzeit einem schwierigen Lernprozess.
Heinemann: Rudolf Dreßler, der ehemalige deutsche Botschafter in Israel und SPD-Politiker. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Dreßler: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.