Parlamentswahl in Israel
Comeback für Ex-Langzeitpremier Netanjahu?

Am 01. November wählt Israel ein neues Parlament - zum fünften Mal innerhalb von weniger als vier Jahren. Der umstrittene Ex-Premier Benjamin Netanjahu hat gute Chancen, wieder Regierungschef zu werden. Ein Überblick über die Situation vor der Wahl.

30.10.2022
    "Es liegt an Dir, ob wir die Mehrheit von 61 Sitzen bekommen" steht auf der Rückseite eines Busses in Israel und ist Wahlwerbung von Ex-Premierminister Benjamin Netanjahu.
    Es liegt an Dir, ob wir die Mehrheit von 61 Sitzen bekommen - Wahlwerbung von Israels Ex-Premierminister Benjamin Netanjahu. Der Likud-Chef hofft auf eine erneute Amtszeit. (picture alliance / ZUMAPRESS.com / Nir Alon)
    Welche Macht eine einzelne Person in der israelischen Politik haben kann, bewies die Abgeordnete Idit Silman im April 2022 eindrücklich. Völlig überraschend verließ die Politikerin der rechtsnationalen Jamina-Partei die Regierungskoalition, wodurch das Bündnis um Premierminister Naftali Bennett seine äußerst knappe Mehrheit im Parlament verlor. Es war der Anfang vom Ende der jüngsten Regierung in Israel.
    Nach der Selbstauflösung des Parlaments Ende Juni wurden für den 1. November Neuwahlen angesetzt. Damit sind die Israelis bereits zum fünften Mal innerhalb von weniger als vier Jahren aufgerufen, eine neue Legislative zu wählen.

    Das israelische Wahlsystem

    Die Knesset, Israels Parlament, ist mit ihren 120 Abgeordneten die Legislative des Staates. Für eine absolute Mehrheit sind 61 Mandate notwendig. Israels Wahlsystem basiert auf einer landesweiten reinen Verhältniswahl. Dabei stimmen die Wahlberechtigten nicht für Kandidaten, sondern für eine Partei ab. Diese erhalten dann Abgeordnetensitze proportional zu ihren Stimmanteilen. Um den Sprung ins Parlament zu schaffen, benötigt eine Partei mindestens 3,25 Prozent der Stimmen. Wahlberechtigt sind am 1. November knapp 6,8 Millionen Israelis.
    Grundsätzlich finden die Parlamentswahlen alle vier Jahre statt. Allerdings besteht rechtlich die Möglichkeit, dass die Knesset sich per Mehrheitsentscheid selbst auflöst und damit den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimacht, wie bereits bei den vier vorangegangenen Wahlen geschehen.
    Nach der Abstimmung erteilt der Staatspräsident, aktuell Isaac Herzog, den Auftrag zur Regierungsbildung an den Spitzenkandidaten der Partei oder des Bündnisses mit den meisten Wählerstimmen und somit den besten Erfolgsaussichten. Gelingt es diesem nicht innerhalb von drei Monaten eine Regierungsmehrheit zu organisieren, kommt es wieder zu Neuwahlen. Bis dahin bleibt die Übergangsregierung kommissarisch im Amt.
    Blick in eine Wahlkabine in Israel bei der letzten Parlamentswahl
    Bei Parlamentswahlen in Israel Wahl stimmen die Wähler für eine Partei, nicht aber für einen speziellen Kandidaten ab. Buchstabenkombinationen auf den Wahlzetteln stehen für die jeweiligen Parteien. (picture alliance / Newscom / RAFAEL BEN-ARI)

    Das letzte Regierungsbündnis - Hauptsache ohne "Bibi"

    Die zuletzt gescheiterte Regierungskoalition aus acht höchst unterschiedlichen Parteien, war ein Experiment, das immerhin mehr als ein Jahr lang halbwegs funktioniert hat. Vertreten waren Parteien vom rechten Rand, aus dem linken Lager und zum ersten Mal in der Geschichte Israels auch eine arabisch-islamische Partei (Ra'am). Sie alle einte zu Beginn vor allem der Wille, eine weitere Amtszeit von Benjamin Netanjahu als Premier zu verhindern. Netanjahu, der in Israel auch "Bibi" genannt wird, hatte das Land fast 15 Jahre regiert, seit 2019 steht er jedoch wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue vor Gericht.
    Neben der gemeinsamen Front gegen Netanjahu waren die Schnittmengen zwischen der Koalitionspartnern jedoch recht gering – kritische Themen wurden meist umschifft. Den Posten des Premierministers hatten sich Naftali Bennet von der rechtsnationalen Partei Jamina und Jair Lapid von der Zentrumspartei Jesch Atid geteilt. Mit dem Austritt der Jamina-Abgeordneten Idit Silman büßte die Koalition ihre knappe Mehrheit ein. Seit der anschließenden Selbstauflösung des Parlaments Ende Juni wird das Land übergangsweise von einer Minderheitsregierung unter dem liberalen Lapid als Premierminister geführt.

    Ergebnis der letzten Parlamentswahl in Israel im März 2021

    Ergebnis der Parlamentswahl in Israel am 23. März 2021

    Die Parteien und ihre Aussichten für den 1. November

    Zwei Parteienblöcke stehen sich bei den Wahlen am 1. November gegenüber: Auf der seinen Seite Kräfte aus nahezu allen politischen Lagern, die auch die Übergangsregierung unter Lapid und Verteidigungsminister Benny Gantz bilden, auf der anderen Seite die Opposition aus rechten und streng-religiösen Gruppierungen, angeführt von der national-konservativen Likud-Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Benjamin Netanjahu.
    Jüngsten Umfragen zufolge wird der Likud sehr sicher stärkste Kraft werden, doch für eine Mehrheit könnte ein Sitz fehlen. Die Parteien der Übergangsregierung um Lapid kämen demnach gemeinsam nur 56 Sitze. Am Ende könnte es erneut zu einem Patt in der Knesset kommen.

    Ra'am, Meretz, Avoda: Nehmen sie die 3,25 Prozent-Hürde?

    Entscheidend dürfte das Abschneiden der drei kleineren Parteien werden, die dem Block von Lapid angehören: Neben der Arbeiterpartei Avoda und der linken Partei Meretz muss auch die arabische Noch-Regierungspartei Ra'am aktuell um den Einzug in die Knesset bangen. Große Unbekannte ist dabei das Abstimmungsverhalten der arabischen Minderheit, die knapp 20 Prozent der Wahlberechtigten ausmacht. Ihre Parteien könnten eine Minderheitsregierung von Übergangspremier Lapid unterstützen oder sich zum Teil sogar direkt an einer von ihm geführten Koalition beteiligen.
    Dass alle arabischen Parteien den Einzug in die Knesset schaffen, ist aber nicht sicher. Es zeichnet sich eine niedrige Wahlbeteiligung der arabischen Israelis ab - im Idealfall 45 Prozent, laut Umfragen. Viele arabische Bürger haben das Gefühl, dass ihre Belange auch mit einer Regierungsbeteiligung nicht ernst genommen wurden und werden. Aktuell sind 10 von 120 Sitzen in der Knesset mit arabischen Politikern besetzt und damit unterrepräsentiert.

    Ein Comeback für Netanjahu als Premierminister?

    Der ehemalige Langzeitpremier, der sich weiter einem gegen ihn laufenden Korruptionsprozess stellen muss, hofft auf eine Rückkehr an die Macht. Sollte das rechte Bündnis um ihn mindestens 61 Sitze bekommen, ist eigentlich klar, dass er wieder Premierminister wird.
    Für den Fall, dass das Lager um Netanjahu nicht gewinnen sollte, gibt es Befürchtungen, dass er, wie Ex-US-Präsident Donald Trump, die Legitimität der Wahlen in Frage stellen könnte. Entsprechend äußerte sich Übergangspremier Lapid gegenüber der israelischen Nachrichtenseite "Ynet". Die Opposition habe demnach bereits damit begonnen, Petitionen an den Wahlausschuss zu senden, so Lapid in einem Interview.

    Netanjahu und die Anklage wegen Untreue, Betrug und Korruption

    Beobachter befürchten zudem, dass sich Netanjahu bei einer Rückkehr als Regierungschef durch entsprechende Gesetzgebung vor Strafverfolgung schützen, Einfluss auf die Besetzung von Richterposten nehmen und generell versuchen könnte, die Rolle der Justiz in Israel zu schwächen. Zur Erinnerung: Netanjahu steht wegen Untreue, Betrug und Korruption unter Anklage. Der 73-Jährige selbst bestreitet jegliches Fehlverhalten und bezeichnet die Vorwürfe als politische Hexenjagd.

    Schas und Jahadut HaTora

    Bei seiner Rückkehr an die politische Spitze setzt Netanjahu auf die streng-religiöse Partei Schas und dem Vorsitzenden Aryeh Deri und das ebenfalls religiöse Parteienbündnis Jahadut HaTora, zu Deutsch: Das Vereinigte Thora-Judentum". Schas vertritt dabei die Interessen ultra-orthodoxer Juden orientalischer Abstammung. Das Bündnis Jahadut HaTora besteht aus den Parteien Agudat Israel und Degel HaTora. Agudat Israel (Deutsch: Union Israels) hat ihre Wurzeln weit vor der israelischen Staatsgründung in Osteuropa und repräsentiert die chassidisch ausgerichteten Charedim. Die Partei Degel HaTora (Deutsch: Fahne Israels) vertritt nicht-chassidische Ultra-Orthodoxe.
    Eine Schlüsselrolle bei "Bibis" Comeback aber kommt dem rechtsextremen Politiker Itamar Ben-Gvir und dem Parteienbündnis der "Religiösen Zionisten" (HaZionut-HaDatit) zu.

    Itamar Ben-Gvir und das Parteienbündnis "Religiöse Zionisten"

    Seit der letzten Wahl im März 2021 sitzt der israelische Rechtsextremist Itamar Ben-Gvir in der Knesset. Das Bündnis um seine Partei Otzma Jehudit (Jüdische Kraft) könnte bei dieser Wahl möglicherweise dritt- oder viertstärkste Kraft werden - aktuelle Umfragen sprechen von 13 bis 14 Sitzen.
    Ben-Gvir polarisiert in Israel ähnlich wie Ex-Premier Netanjahu. Schon als Jugendlicher vertrat er Ansichten die so extremistisch waren, dass er aus dem Militärdienst entlassen wurde. Der 46-Jährige galt lange als Bewunderer des radikalen Rabbiners Meir Kahane, der ein unverhohlener Gegner der Palästinenser und Befürworter von deren Massenvertreibung war. Ben-Gvir wurde schon dutzende Male wegen extremistischer Umtriebe angeklagt, acht Mal verurteilt, einmal sogar wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
    Auf einem Wahlplakat an einer Hauswand in Israel ist der israelische Politiker Itamar Ben-Gvir zu sehen
    "Es ist Zeit für Ben-Gvir" - Wahlplakat des israelischen Politikeris und rechten Hardliners Itamar Ben-Gvir. (picture alliance / dpa / Ilia Yefimovich)

    Itamar Ben-Gvir bald Minister?

    Ben-Gvir hat vor allem jene Wähler im Visier, die das bestehende politische System ablehnen. Er fischt damit im Becken von Ex-Premier Netanjahu. Der wollte sich noch vor der letzten Wahl nicht mit dem religiös-nationalistischen Ben-Gvir einlassen, musste aber einsehen, dass er dessen Stimmen für einen Wahlsieg dieses Mal gebrauchen könnte. Gut möglich, dass Ben-Gvir bei einem Erfolg Netanjahus als Minister im Kabinett auftaucht.
    Wie die Partei Otzma Jehudit vertritt auch HaZionut-HaDatit unter Parteichef Bezalel Smotrich das religiös-zionistische Lager rechts des Likud. Beide setzen auf einen scharfen Kurs im Konflikt mit den Palästinensern und rechtfertigen Siedler-Ansprüche im Westjordanland mit der Bibel. Drittes Mitglied im Bündnis ist die konservativ-religiöse Noam-Partei, die vor allem durch ihre Ablehnung der LGBTQI-Bewegung bekannt ist.

    Wahlentscheidende Themen

    Israel erlebt erneut einen stark polarisierten Wahlkampf. Wichtiges Thema für die Israelis sind zwar die extrem hohen Lebenshaltungskosten. Umfragen zufolge sind diese aber nicht ausschlaggebend für die Wahlentscheidung. Die Position der Parteien im Konflikt mit den Palästinensern, darunter die Frage nach einer Zwei-Staaten-Lösung, spielt keine große Rolle. Man steht politisch entweder links oder rechts, ist entweder für Benjamin Netanjahu oder gegen ihn.
    Quelle: Tim Aßmann, Julio Segador, Nastassja Shtrauchler, kna, Israelische Botschaft in Berlin, Ynet