Die Reaktion in Israel auf die aktuelle Veröffentlichung zum Gaza-Krieg 2014, habe ihn überrascht, sagt Yehuda Shaul - Veteran der israelischen Armee und Mitbegründer der Organisation "Breaking the Silence". Häufig wird der Organisation vorgeworfen, gegen die Interessen Israels zu handeln; mit Unterstützung aus dem Ausland:
"Und dieses Mal war es tatsächlich möglich, über die Aussagen der Soldaten zu sprechen. Wir schafften es sieben bis acht Minuten in einem Fernsehstudio ohne eine dieser Behauptungen."
Es hat sich etwas verändert - gleich auf mehreren Ebenen. Zum einen seien beim Gaza-Krieg 2014 die Regeln für Soldaten von der Armee so lax gehandhabt worden, wie bei keinem Einsatz zuvor, wirft der Chef der Organisation Yuval Novak der Militärführung vor.
Um Verluste auf der eigenen Seite möglichst gering zu halten, ist die israelische Armee nach Aussagen von Soldaten mit enormer Feuerkraft vorgegangen - zulasten der palästinensischen Zivilisten. Wobei mehrere Soldaten berichten, ihnen sei von der Armee vor Einsätzen erklärt worden, es gebe in den betreffenden Gebieten keine Zivilisten mehr - so der Analyst Avihai Stollar:
"Es gab die Vorstellung, dass es nicht notwendig war, zwischen Zivilisten und Militanten zu unterscheiden, nachdem Soldaten Flugblätter abgeworfen hatten, in denen die Zivilisten aufgefordert worden waren, das Gebiet zu verlassen."
Willkürlich geschossen - ohne Konsequenzen
Es ist die Verrohung durch den Krieg, der keine Gesellschaft gewachsen ist. Was in den Berichten der Soldaten außerdem deutlich herauskommt, ist die gezielte Zerstörung von Häusern durch israelisches Artillerie-Feuer im Sommer 2014 in Gaza. Ein Infanterist erklärt, dass er im Haus einer palästinensischen Familie stationiert worden war. Die Gebäude in der Umgebung seien unter Beschuss geraten:
"Ich weiß nicht genau, was der Befehl war. Aber jedes Haus schien eine Gefahr zu sein und musste mit mindestens einer Granate getroffen werden, damit niemand mehr drin war. Die Panzerbesatzung hat sich relativ häufig vertan. All die Häuser um Dich herum sahen aus wie Schweizer Käse mit einer Menge Löchern."
Auch dabei ging es offenbar darum, die eigenen Soldaten zu schützen vor Angriffen der Hamas-Kämpfer in Gaza. Ein anderer israelischer Soldat, der ebenfalls in Deir Al-Balah eingesetzt war, erklärt, er habe willkürlich geschossen - bis heute ohne Konsequenzen:
"Während der gesamten Operation sahen wir ein Haus entlang der Küstenlinie, 4,5 Kilometer entfernt. Niemand wusste, welches Viertel das war. Es stellte keine Gefahr für uns da. Es stand am Meer, entfernt von jedweder Gefahr. Aber es war orange und die Farbe machte mich verrückt. Jetzt war ich der Panzerschütze, ich hatte Kontrolle über alle Artillerie-System und ich ziele. Ich bin derjenige, der schießt und alles sieht und das orange Haus trieb mich in den Wahnsinn. Also sagte ich dem Kommandanten meiner Einheit: Ich will auf das Haus schießen. Und er sagte: Tu es - und wir schossen."
Jeder Gaza-Krieg sei extremer geführt worden als die Operation zuvor, sagt Yehuda Shaul. Womöglich bekommen Soldaten und Kommandanten schneller Zweifel. Eine weitere Veränderung in den vergangenen zehn Jahren:
"Wir sind nicht ohne Alternative. Wir haben Alternativen, aber entscheiden uns, die Dinge so zu machen, wie wir sie machen. Das ist ein Grund, warum so viele Soldaten aussagen. Der andere Grund: Wir sind professioneller, wenn wir Menschen ansprechen."
Israelische Armee weist Vorwürfe zurück
Die Organisation "Breaking the Silence" halte zum Beispiel über lange Zeit Kontakt mit Soldaten. Indirekt unterstützt auch die Armee die Arbeit der Aktivisten: Ein neues Konzept von gemeinsamen Einsatzräumen, in denen Entscheidungen fallen und überwacht werden, lasse auch Soldaten am Konferenztisch den Krieg erleben, so Shaul:
"Das bedeutet, dass sie das gleiche durchmachen wie Bodentruppe: Diese Unschärfe zwischen richtig und falsch, das Grenzen überschreiben, sich der Situation anpassen. Aber dabei stellen sie sich auch Fragen."
Nur zehn Monate liegen zwischen dem Krieg in Gaza und der Veröffentlichung der Aussagen von 60 Soldaten. Das ist enorm schnell. Es bedeute aber nicht, dass die Soldaten ihre Loyalität zur Armee grundsätzlich infrage stellen. Es gebe auch Befürworter der Militäroperation, die sich im Gespräch öffnen.
"Es geht nicht um mehr Loyalität oder weniger. Das verstehen viele nicht: Der größte Teil des Ärgers richtet sich nicht gegen die Armee, sondern gegen die Politik. Einer der Soldaten hat gesagt, das größte Verbrechen ist nicht was wir während der Einsätze tun, sondern was wir in der Zeit zwischen den Einsätzen unterlassen. Wir bemühen uns nicht um einen anderen Ausgang des Konflikts."
Die israelische Armee hat die Vorwürfe zurückgewiesen und der Organisation "Breaking the Silence" vorgeworfen, die Informationen über Fehlverhalten nicht zu teilen. Die Verantwortlichen der Organisation haben erklärt, sie hätten bereits frühzeitig den Kontakt zur Armee gesucht.