Es ist ein Moment, auf den die Pilger lange gewartet haben. Mit verklärten Gesichtern waten die Männer und Frauen in ihren langen weißen Gewändern durch den Jordan, tauchen ein ins Wasser, schütten sich dieses immer wieder über das Gesicht. Hier, an dieser Stelle, soll der biblischen Überlieferung nach Johannes der Täufer Jesus getauft haben.
Dass der Jordan im Vergleich zur damaligen Zeit vor rund 2.000 Jahren nur noch etwa ein Zwanzigstel des Wassers mit sich führt, und dass der See Genezareth, aus dem der südliche Jordan nur wenige Hundert Meter entfernt entspringt, ums Überleben kämpft, kümmert die Leute weniger.
"Unser Leben hängt vom See Genezareth ab"
Idan Greenbaum dagegen bereitet dieses höchst irdische Problem Kopfzerbrechen. Der drahtige Politiker ist der Präsident des Regionalrats für das Jordantal. Der niedrige Pegel des See Genezareth macht ihm zu schaffen, weil eine ganze Region von dem biblischen See abhängig ist.
"Heute fehlen dem See Genezareth bis zu seinem ursprünglichen, oberen Wasserstand über 1,4 Milliarden Kubikmeter Wasser. Das macht uns große Sorgen. Unser Leben hängt weitgehend vom See Genezareth ab: Wir pumpen das Wasser zur Bewässerung unserer Felder ab, wir gewinnen das Trinkwasser aus dem See und unser Tourismus ist um ihn herum aufgebaut."
Israel erlebt eine historische Dürre. Es ist eine der schlimmsten Trockenperioden in den vergangenen 100 Jahren. Vor allem im Norden des Landes, im Grenzgebiet zu Syrien und Jordanien, sind die Niederschläge drastisch gesunken. Und das seit über 20 Jahren.
Der Pegel des See Genezareth nähert sich bedrohlich schnell der schwarzen Linie, dem historischen Tiefststand des Sees von 214 Meter und 87 Zentimeter unter dem Meeresspiegel. Es fehlen nur noch wenige Zentimeter. Doron Markel, der Leiter der regionalen Wasserbehörde schlägt Alarm:
"Sollte es ein sechstes Jahr der anhaltenden Dürre geben, werden wir die schwarze Linie ohne jeden Zweifel unterschreiten, und das werden wir auch nicht aufhalten können."
Entsalztes Meerwasser soll nachgefüllt werden
Nicht nur der niedrige Wasserstand macht Anwohnern und Behörden zu schaffen. Die Wasserknappheit führt zu weiteren gravierenden Problemen, erläutert Gidon Bromberg von der Nichtregierungsorganisation Eco-Peace:
"Der Salzgehalt im See steigt derart schnell an, dass der See schon bald nicht mehr als Trinkwasserspeicher geeignet ist. Der See wird zu einer Saline und wird schon bald jegliche ökologische Vielfalt abtöten. Er wird ausfallen als Reservoir für die Trinkwasserversorgung der Menschen."
Vor wenigen Tagen hat die israelische Regierung einen Notfallplan verabschiedet. Erstmals soll nun entsalztes Meerwasser in den See Genezareth eingefüllt werden. Eine Maßnahme, die zeigt, wie angespannt die Wassersituation ist. Zwar gewinnt Israel inzwischen rund 80 Prozent seines Trinkwassers aus Meerwasser-Entsalzungsanlagen. Der See Genezareth, aus dem früher das gesamte Trinkwasser des Landes gewonnen wurde, hat indes immer noch eine wichtige strategische Bedeutung, etwa in einem möglichen Kriegsfall, betont Idan Greenbaum:
"Sollte den Entsalzungsanlagen etwas geschehen, muss der Staat Israel in der Lage sein, Wasser aus dem See Genezareth zu pumpen und seine Bürger damit zu versorgen. Und eben weil der See als nationale strategische Wasserquelle erachtet wird, versteht man auch, dass er wieder aufgefüllt werden muss mit entsalztem Wasser."
Wasserlieferungen an Jordanien
Und noch ein Punkt ist strategisch wichtig. Jordanien erhält jedes Jahr eine vereinbarte Wassermenge aus Israel. Dies wurde im Friedensvertrag zwischen beiden Ländern so festgelegt. Israel pflegt zu Jordanien eine vergleichsweise gute, geschäftsmäßige Beziehung. Die soll nicht gefährdet werden, auch nicht durch ausbleibende Wasserlieferungen:
"Man ist in Jordanien darauf angewiesen, aus Israel die Wasserlieferung aus dem See Genezareth zu erhalten. Ohne dieses Wasser könnte das Regime Schwierigkeiten haben, weiter zu regieren. Daher ist es für uns von großer strategischer Wichtigkeit, den See Genezareth aufzufüllen und weiterhin das Wasser für alle Bedürfnisse bereitzustellen, auch für das jordanische Königreich."
Per Verordnung hat die Regierung festgelegt, dass derzeit nur in Ausnahmefällen Wasser aus dem See Genezareth entnommen werden darf. Die Landwirtschaft muss ebenfalls darben. Die Landwirte bekommen zehn Prozent weniger Wasser. Ein harter Schlag, meint Idan Greenbaum:
"Wir betreiben hier seit über 100 Jahren Landwirtschaft, was aufgrund des Wetters in dieser Region nicht einfach ist. Die Wasserqualität des See Genezareth hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Das Wasser hat einen höheren Salzgehalt, das führt dazu, dass in den vergangenen Jahren bereits mit mehr Wasser bewässert werden musste. Die Mischung aus einem erhöhten Salzgehalt und der Kürzung des Wassers ist sehr problematisch."
Wasserversorgung für ein Land alleine kaum zu bewältigen
Dass zuvor noch nie entsalztes Wasser in den See Genezareth eingeführt wurde, hat einen Grund: Die Regierung fürchtete um das ökologische Gleichgewicht des Sees. Doch erste Untersuchungen von Wissenschaftlern konnten die Bedenken zerstreuen. In dem Bericht heißt es: Letztlich sei das entsalzte Wasser auch nur Wasser, nur H2O.
Gidon Bromberg und seine NGO Eco-Peace unterstützen die Entscheidung, künftig entsalztes Meerwasser in den See Genezareth einzufüllen. In einem Punkt aber hofft der Umweltaktivist auf einen Kurswechsel der Regierung. Er würde sich wünschen, dass Israel das Thema Wasserversorgung mit seinen Nachbarn Syrien, dem Libanon, Jordanien und den Palästinensern gemeinsam anpackt. Denn ein Land alleine, so Bromberg, könne das Thema kaum bewältigen. Auch deshalb sein Appell, der politisch derzeit nur schwer durchsetzbar ist:
"Kein Land kann als Insel überleben. Israel ist beim Thema Sicherung der Wasserversorgung weit voraus. Aber wenn seine Nachbarn weiter unter Wasserknappheit leiden, führt das zu Krisen, erzeugt es Flüchtlinge. Die klopfen an unsere Türe und führen zu nationalen Krisen. Wir sitzen doch alle im selben Boot. Wir können uns nicht länger an die politischen Grenzen, die Menschen errichtet haben, halten."