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Israel
Ultraorthodoxe Frauen arbeiten im High-Tech-Sektor

Die Männer studieren die Tora und den Talmud – und die Frauen gehen arbeiten. So ist traditionell die Aufteilung in ultraorthodoxen Familien in Israel. In den kinderreichen Familien wird das Einkommen der Frauen dringend gebraucht. Immer mehr von ihnen arbeiten in der israelischen High-Tech-Branche: Das hat Vor- und Nachteile.

Von Anna Kohn |
    Frauenhände tippen auf einer weißen Computertastatur. Rechts daneben liegt eine weiße Computermaus.
    Mehrere tausend ultraorthodoxe Frauen arbeiten im israelischen High-Tech-Sektor. (imago / View Stock)
    Nur für Frauen: In die Küche von Matrix Global dürfen keine Männer. Eine Mitarbeiterin füttert hier gerade ihr Kind, eine andere wärmt ihr Mittagessen auf – beide in knielangen Röcken, die Haare züchtig von Perücken bedeckt. In den Büros nebenan sitzen ihre Kolleginnen an Computern, programmieren und testen Software. Sie alle sind streng religiös: Rund 850 ultraorthodoxe Frauen arbeiten bei dem israelischen High-Tech-Unternehmen Matrix Global.
    "Sie sind sehr motiviert und sehr, sehr loyal gegenüber der Firma. Ihr Arbeitsethos ist außergewöhnlich. Sie gehen nicht raus, um zu rauchen, sie surfen nicht kurz auf Facebook, nein, sie widmen sich der Sache, an der sie tatsächlich gerade arbeiten."
    Libby Affen ist Chief Operating Officer. Sie leitet das operative Geschäft des Unternehmens. Libby Affen ist eine ungewöhnliche Figur in der israelischen High-Tech-Welt. Mit ihrem türkisfarbigen Rollkragenpulli und der akkurat sitzenden Perücke unterscheidet Affen sich kaum von ihren Mitarbeiterinnen. Sie ist selbst ultraorthodox, studierte in den 1970er Jahren Informatik, hat sechs Kinder großgezogen. Bei Matrix Global, sagt sie, wird darauf geachtet, dass die Frauen ihre religiösen Regeln einhalten können.
    "Wir haben einen jungen Rabbiner hier im Gebäude. Wir haben Regeln, zum Beispiel, dass die männlichen Mitarbeiter gesonderte Arbeitsplätze haben, so dass sie nicht mit den Frauen zusammen in einem Raum sitzen, aber rausgehen und mit ihnen reden können. Wir haben koschere Küchen, koschere Mikrowellen. Die Frauen reisen immer zu zweit zu Kunden. Wenn sie Fragen haben, können sie den Rabbiner ansprechen – und der bespricht sich mit uns. Alles ist sehr komfortabel."
    Deborah Greenbaum arbeitet seit sechs Jahren im Unternehmen, sie ist Projektmanagerin. Die junge Frau schätzt, dass sie keine Überstunden machen muss – in der High-Tech-Welt sonst nichts Ungewöhnliches.
    "Hier arbeite ich acht Stunden – und nicht neun oder mehr. Und die Kinderbetreuung hier geht normalerweise acht Stunden. Also kann ich morgens früh los, acht Stunden arbeiten und sie dann wieder abholen. Das ist super."
    Wie Deborah arbeiten mehrere tausend ultraorthodoxe Frauen im israelischen High-Tech-Sektor. Keine Überstunden, ein angenehmes Betriebsklima: Klingt nach einem idealen Arbeitsplatz. Allerdings werden die ultraorthodoxen Frauen um einiges schlechter bezahlt als ihre säkularen Kolleginnen. Sie verdienen 15 bis 30 Prozent weniger. Die Zahlen schwanken. Bei Matrix Global sind es 30 Prozent weniger in den ersten zwei Jahren. Die Begründung der Firma:
    "Wir haben viel höhere Kosten. Wir haben bestimmte Einrichtungen. Wir fahren sie mit Bussen zur Arbeit. Sie arbeiten nicht mehr als acht Stunden am Tag. Wir müssen den Mutterschutz bezahlen. Wir bilden sie aus, zwei Monate lang. Wir können das auch nachweisen, dass wir anfangs einfach nicht so viel Lohn zahlen können."
    Der israelische Staat will mehr Ultraorthodoxe in den Arbeitsmarkt bringen, denn von den Männern arbeitet nur die Hälfte. Bei den Frauen sind es 70 Prozent; für sie bietet der Staat Hilfe an: etwa bei der Jobvermittlung sowie Kurse in Englisch und Mathe. Denn das traditionelle ultraorthodoxe Schulsystem stattet sie nur mit wenigen Kompetenzen für den Arbeitsmarkt aus, außer für den pädagogischen Bereich. Hier arbeiten auch die meisten ultraorthodoxen Frauen. Alle stemmen Job und Familie, oft mit vielen Kindern. Wie zum Beispiel Tehila Kalagy. Die Wissenschaftlerin arbeitet an der Negev Universität und hat acht Kinder.
    "Es ist eine Art Wunder, dass das funktioniert. Aber es ist nicht einfach für mich. Vor vier oder fünf Jahren war ich wissenschaftliche Geschäftsführerin in einer High School für religiöse Frauen, und diese Arbeit musste ich aufgeben, weil es zu schwierig für mich wurde. In der akademischen Welt kann ich Job und mein Zuhause und meine Kinder besser unter einen Hut bringen. Und ich fühle mich gut dabei. Es ist nicht einfach. Wir arbeiten sehr hart, obwohl meine Mutter uns hilft, meine Großmutter, die ganze Gemeinschaft."
    Ohne ein solches Netz und ohne eine Arbeitsteilung mit den Männern geht es nicht: Viele Ehemänner bringen die Kinder morgens in die Schule, wenn die Frauen zur Arbeit gehen, oder bleiben zuhause, wenn eines der Kinder krank wird. Tehila Kalagys Mann arbeitet Teilzeit:
    "Mein Mann arbeitet halbtags und studiert dazu in der Jeschiwa, der religiösen Schule. Er hilft auch viel zuhause. Die Kinder auch, Gott sei Dank, wir haben so viele, aber sie helfen und passen auf ihre Geschwister auf und machen Essen und so klappt es."
    Die israelische Forscherin Lee Cahaner ist überzeugt: Es sind die Frauen, die Veränderungen in der ultraorthodoxen Welt anstoßen. Sie sind diejenigen, die mehr Schulbildung anstreben, um einen besseren Job zu bekommen. Und so inspirieren sie auch ihre Ehemänner in dieselbe Richtung. Und sie signalisieren ihnen: Der Job ist mehr als nur Einkommensquelle:
    "Es wird immer mehr um Selbst-Entwicklung gehen, denn wir sprechen hier über große Veränderungen in der ultraorthodoxen Gesellschaft in den vergangenen zehn Jahren. Immer mehr Frauen haben eine Schulbildung, einen Uni-Abschluss, und immer mehr von ihnen arbeiten außerhalb der ultraorthodoxen Welt, haben Zugang zum Internet. Die Stimme des Rabbinats hat an Macht verloren. All das schafft neuen Platz für ultraorthodoxe Frauen."
    Es gibt mittlerweile auch Seminare für ultraorthodoxe Frauen, um sie in Führungspositionen zu bringen. Es gibt aber auch Widerstand in der ultraorthodoxen Welt: "Eine Karriere zu haben" - das erstrebt nur eine Minderheit der Frauen. Zu viel Ehrgeiz wird nicht gern gesehen. Das ist auch ein Grund, warum viele sich nicht gegen die niedrigen Löhne im High-Tech-Sektor aussprechen. Businessfrau Libby Affen scheint das perfekte Beispiel für eine streng religiöse Frau zu sein, die es "weit gebracht" hat.
    "Ja, sicher, ich arbeite in einer hohen Position, aber die Karriere ist nicht das Wichtigste für uns. Unsere Familie ist das Wichtigste. Der Ehemann sollte den Talmud so intensiv studieren wie möglich – das macht mein Ehemann bis heute - trotz meiner Karriere. Die erfüllt dich und bringt dir das Geld ein, um deine Familie zu ernähren. Aber was wir wirklich wollen: religiös sein, unsere Familien aufziehen, gute, jüdische Kinder haben. Das ist es, worauf wir stolz sind. Wenn ich in Rente gehe, dann bin ich stolz auf meine Kinder, meine Enkelkinder und die Tatsache, dass mein Ehemann den Talmud studieren kann."
    Religion und Arbeitswelt sollen endlich nicht mehr getrennt sein. Danach streben ein Teil der ultraorthodoxen Bevölkerung und die Regierung. Zum Teil mit Erfolg - etwa in israelischen High-Tech-Unternehmen.