Abfahrtski auf den Golanhöhen. Eine breite Piste führt von der Bergstation in Richtung Tal. Die Sonne scheint, der Himmel ist wolkenlos. Die Temperatur liegt bei etwa 5 Grad Celsius. Für Nahost-Verhältnisse liegt gerade sehr viel Schnee im Hermon-Gebirge. Es waren zwischenzeitlich über zwei Meter. Währenddessen hat das Meer, etwa 90 Autominuten entfernt, immer noch Badetemperatur. Miki Inbar hat in diesen Tagen viel zu tun. Die Israelin ist die Sprecherin des Skigebietes.
"Wir haben hier gerade so viel Schnee, wie seit sieben Jahren nicht mehr. Es ist so viel Schnee, dass die Leute verrückt danach geworden sind. Die Israelis sind Schnee einfach nicht gewohnt. Also kommen die Leute, um einmal im Leben einen Schneemann zu bauen. Schnee zu sehen. Und die Leute haben Spaß."
Auf den Pisten ist es relativ leer. Die meisten israelischen Besucher fahren als Fußgänger auf den Berg. An der Talstation ist es brechend voll. Die Touristen stehen fast eine Stunde an, bis sie in die Sessellifte steigen können. Die kommen aus Europa. "Bügel erst unmittelbar vor dem Ausstieg öffnen", steht dem Lift - auf Deutsch. Und wenn man gemächlich auf den Berg fährt und auf die schneebedeckten Pisten schaut und die Hütten am Pistenrand: Man könnte fast denken, das man in Österreich ist, oder in der Schweiz.
Soldaten auf der Piste
Aber die vermeintliche Idylle trügt. Ein Mann mit weißem Skianzug steigt aus dem Lift. Der Anzug soll ihn im Schnee tarnen. Sogar das M16-Gewehr, das er umgehängt hat, ist teilweise weiß lackiert. Der Mann ist ein israelischer Soldat.
Die Helmkamera eines Snowboarders zeichnete auf, was sich vor anderthalb Wochen im Skigebiet ereignete. Die Kamera ist in den Himmel gerichtet. Plötzlich rasen Raketen über die Skitouristen hinweg. In Richtung Syrien.
"Unglaublich, dass ich das gefilmt habe", sagt der Snowboarder. Wenig später meldet die israelische Armee: Die Raketen stammten von einem israelischen Abwehrsystem. Sie fingen eine andere Rakete ab, die nach israelischen Angaben zuvor von iranischen Truppen abgefeuert wurde. In diesem Moment erinnerte auf dem Hermon nur noch wenig an Alpenromantik. Miki Inbar, die Sprecherin des Skigebietes, versucht zu beruhigen.
"Die Leute in Israel haben sich an so etwas gewöhnt. Als vor einer Woche die Raketen flogen, sind die Leute hier geblieben. Keiner hat Panik bekommen und das Skigebiet verlassen."
Und dennoch war es ein ernster Vorfall. Nach Angaben eines israelischen Ministers war die iranische Rakete direkt auf das Skigebiet gerichtet. Die israelische Armee schloss das Areal für einen Tag. Ein bisschen Angst, habe er schon, sagt ein Skifahrer an der Talstation.
Streit um Golanhöhen
Das Skigebiet liegt auf einem äußerst umstrittenen Gebiet. 1967 eroberte Israel die Golanhöhen von Syrien, später annektierte es die Region. Die internationale Gemeinschaft hat das nie anerkannt. Für Miki Inbar ist trotzdem klar: Das hier ist Israel.
Wael Tarabieh sieht das anders. Er arbeitet für die arabische Menschenrechtsorganisation Al-Marsad. Und für ihn gehören die Golanhöhen zu Syrien. Majdal Shams, die Heimat von Wael Tarabieh. Er ist Druse und gehört damit zu einer arabischsprachigen Minderheit. Majdal Shams liegt nur wenige Kilometer vom Skigebiet entfernt. Das Städtchen der Drusen, mit seinen engen Straßen, liegt an einem steilen Berghang. Am Fuße des Berges steht ein Zaun. Dahinter Felder und vereinzelt Häuser: Syrien. Wael Tarabieh wurde zwei Jahre nach der Eroberung der Golanhöhen durch Israel geboren. In Syrien war er nie. An seiner Überzeugung ändert das aber nichts.
"Ich bin ein Syrer, der unter israelischer Besatzung lebt. Die Golanhöhen sind ein wirklich schöner Ort. Das Potential für den Tourismus ist groß. Aber die israelischen Siedler kontrollieren den ganzen Tourismus. Hier geht es um die Ausbeutung der Ressourcen von besetztem Land. Von diesem Skigebiet profitiert nur eine israelische Siedlung, die neben Majdal Shams liegt."
Am Vormittag sei sein Sohn auf dem Berg zum ersten Mal in seinem Leben Skigefahren, erzählt der Druse. 650 Schekel habe sein Sohn für alles bezahlt, über 150 Euro also. Geld, das an die Israelis fließe. Miki Inbar vom Skigebiet auf dem Hermon weist diesen Vorwurf zurück. 80 Prozent der Mitarbeiter seien Drusen. Und natürlich profitierten auch die vom Tourismus. Die Israelin Miki Inbar und der Druse Wael Tarabieh werden wohl nie zusammen kommen. Inbar sagt, dass Israel die Golanhöhen niemals aufgeben wird. Eine Aussage die auch der israelische Premier Benjamin Netanjahu immer wieder bekräftigt. Tarabieh wiederum fordert entschieden eine Rückgabe an Syrien – auch wenn das erst in Jahrzehnten geschehe.
Vor einer Hütte neben der Piste sitzt eine Gruppe von Skifahrern in der Sonne. Es ist ein wunderschöner Tag. Es gibt die Momente, in denen man im Schnee vergisst, wo man eigentlich ist. Im konfliktreichen Nahen Osten. Von der sonnigen Skihütte bis nach Syrien sind es nur drei Kilometer. Und dort herrscht seit acht Jahren Krieg.