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Israel und Iran
"Es geht um die Aufrechterhaltung eines ideologischen Feindbildes"

Der Iran habe sich an das Atomabkommen gehalten, so der Nahost-Experte Michael Lüders im Dlf. Trotzdem versuche Israel, das Land als Bedrohung darzustellen - mit fragwürdigen Fakten. Im Kern gehe es darum, ein ideologisches Feinbild zu schaffen und gegebenenfalls auch militärisch gegen den Iran vorzugehen.

Michael Lüders im Gespräch mit Dirk Müller |
    Michael Lüders, Autor und Nahost-Experte
    Nahost-Experte Michael Lüders sagt, Israel und die USA wollen bezüglich des Irans ein ideologisches Feindbild aufrechterhalten (picture alliance / Karlheinz Schindler/dpa-Zentralbild/ZB)
    Dirk Müller: Die Siedlungspolitik, vor allem aber die Iran-Politik. Wir haben es gerade gehört: Benjamin Netanjahu fordert eine viel härtere Gangart gegenüber Teheran. Das ist genau das, was vor allem zwischen Berlin und Jerusalem nach wie vor steht. Am Telefon ist nun der Nahost-Experte und Islam-Wissenschaftler Michael Lüders. Guten Tag.
    Michael Lüders: Schönen guten Tag. Hallo!
    Müller: Herr Lüders, will der Iran nach wie vor Israel vernichten?
    Lüders: Nein, das will er nicht, und es gab ja nicht ohne Grund zwölfjährige Verhandlungen mit dem Iran über ein Atomabkommen, das dann im Juli 2015 auch geschlossen worden ist. Seither wird dieses Atomabkommen von der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien überwacht. Insgesamt zwölf Berichte liegen mittlerweile vor über die Frage, ob der Iran alle Vereinbarungen eingehalten habe, die getroffen worden sind im Rahmen dieses Abkommens. Und die Antwort lautet ganz eindeutig: Ja! Der Iran hat sich an alle Verpflichtungen gehalten. Nichts desto trotz haben die USA wie bekannt im Mai dieses Abkommen aufgekündigt.
    "Der Iran hat sich an alle Verpflichtungen gehalten"
    Müller: Aber ich muss da noch mal nachfragen, um das klar einzuordnen. Sie sagen, die Aggression Irans gegenüber Israel ist ad acta gelegt?
    Lüders: Ich weiß nicht, ob man das so verallgemeinernd formulieren kann. Wir haben ein Regime, in dem es Hardliner gibt, und dieses Phänomen der Hardliner ist natürlich kein iranisches Privileg. Die denken möglicherweise in maximalen Kategorien. Aber wenn man die Politik des Irans nüchtern betrachtet und sich anschaut, wie pragmatisch sich der Iran verhalten hat gegenüber den Ländern in der Region im Zuge des Atomabkommens, aber auch mit Blick auf vergangene Begegnungen, die bei uns in der breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt sind – zum Beispiel hat der damalige iranische Präsident Khatami schon im Jahr 2003 den USA und Israel angeboten, in breitem Umfang miteinander zu reden, die Beziehungen zu normalisieren, und die iranischen Angebote beinhalteten damals auch, die Unterstellung für die in Israel als gefährlich angesehene Schiiten-Miliz Hisbollah im Südlibanon einzustellen, und die Antwort der damaligen Regierung George W. Bush war, wir sind nicht interessiert. Man muss auch das wissen.
    Müller: Hisbollah ist unser Stichwort. Da macht der Iran doch weiterhin weiter, wenn wir das richtig lesen und hören können. Das heißt, Angriffe der Hisbollah auf Israel finden nach wie vor statt.
    Lüder: Wir haben ein Land Iran, wir haben ein Land Israel, wir haben verschiedene Staaten in der Region, und sie alle verfolgen ihre geopolitischen Interessen. Warum unterstützt der Iran die Hisbollah? – Ganz eindeutig deswegen, weil der Iran seit vielen Jahren damit rechnen muss, angegriffen zu werden. Aus Sicht der iranischen Führung - noch einmal: aus Sicht der iranischen Führung ist die Unterstützung schiitischer Milizen im Irak, in Syrien und auch im Libanon eine Art Vorwärtsverteidigung, weil man diese Milizen natürlich aktivieren kann für den Fall eines israelischen und oder amerikanischen Angriffes auf den Iran. Das ist die Strategie dahinter. Ob man diese Strategie jetzt gut findet oder nicht, ist eine andere Frage, aber das Atomabkommen war ja der Versuch, die Verhältnisse zu normalisieren und zu beruhigen.
    Müller: Aggression oder Verteidigung?
    Lüders: Im machtpolitischen Wettstreit verschiedener Staaten der Region im Nahen und Mittleren Osten gibt es keine "Good Guys" hier und "Bad Guys" dort, sondern jeder versucht, ein Maximum an Möglichkeiten für sich selbst herauszuholen. Die Gewichte sind aber in der Region sehr unterschiedlich verteilt. Israel ist die einzige Nuklearmacht im Nahen Osten, verfügt über 75 bis 400 Atomsprengköpfe. Das sind Schätzungen; wir kennen die genauen Zahlen nicht, weil Israel sich weigert, sein Nuklearprogramm unter internationale Kontrolle zu stellen, anders als der Iran. Israel gibt im Jahr, wenn ich die Zahl richtig in Erinnerung habe, in der Größenordnung 50 bis 60 Milliarden Dollar aus für Rüstung, der Iran 14, 15 Milliarden. Das sind schon Gewichte, die man zur Kenntnis nehmen soll. Das heißt nicht, dass man die Politik der einen Seite jetzt besser oder schlechter finden muss als die andere, aber ein existenzielles Ringen, das gibt es für Israel nicht mit Blick auf den Iran.
    Lüders: Iran soll als Bedrohung gesehen werden
    Müller: Jetzt frage ich nach Ihrer Einschätzung der israelischen Seite, des israelischen Vorgehens. Ist Israel, auch gerade vor dem Hintergrund der Fakten, die Sie gerade genannt haben, atomare Rüstung, Bewaffnung, wie auch immer, ist Israel ein Aggressor?
    Lüders: Israel hat ein politisches System, hat eine politische Regierung, besser gesagt, das seit vielen Jahren dominiert wird von einer ultranationalistischen Regierung unter der Führung von Benjamin Netanjahu, und die Politik dieser Regierung ist in enger Anlehnung mit der Politik vor allem der Regierung Trump in den USA die folgende. Erstens: Es wird keinen Kompromiss geben mit den Palästinensern. Sie werden keinen eigenen palästinensischen Staat bekommen, weil Israel das gesamte Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordanfluss für sich selber beansprucht – mit Ausnahme des Gazastreifens, der möglicherweise eine Teilautonomie in Verbindung mit Ägypten bekommen könnte.
    Und was den Iran anbelangt, ist man sich einig, dass der Iran, obwohl er alle Auflagen des Atomabkommens einhält, als eine Bedrohung gesehen wird – nicht, weil der Iran eine reale Bedrohung wäre, sondern weil der Iran die Möglichkeit hat, die uneingeschränkte Lufthoheit, die die Israelis und die Amerikaner für sich beanspruchen in der Region des Nahen und Mittleren Ostens, herauszufordern insbesondere durch ihre Raketentechnologie.
    Müller: Aber genau das bestreiten ja die entsprechenden Sicherheitsbehörden, die Geheimdienste in den Vereinigten Staaten, in Washington, sowie auch die israelischen Geheimdienste, die ja oft sehr, sehr viel wissen, vielleicht sogar mehr als die Atomenergiebehörde. Kann das nicht sein?
    Lüders: Die Regierung Netanjahu, vor allem Netanjahu selbst ist ja in regelmäßigen Abständen vor den Vereinten Nationen zu Gast und präsentiert dann Bilder, Fotos, die nahelegen sollen, dass der Iran an geheimen Aktivitäten tätig wäre.
    Müller: Er hat ja gesagt, das sind Beweise, Herr Lüders.
    Lüders: Ja, das hat er gesagt, dass es Beweise sind, und es gab unter anderem ein Nachrichtenteam von Al-Jazeera, was sich diese Fabrik, wo vermeintlich Atomwaffen hergestellt werden, angesehen hat, und da war nichts zu erkennen, nichts zu sehen. Es ist so, dass übrigens auch die amerikanischen Sicherheitskräfte in verschiedenen Berichten dargelegt haben, dass der Iran sein Programm zur Herstellung von Nuklearwaffen im Jahr 2003 aufgegeben hätte, und seither ist dieser Vorwurf von amerikanischer Seite jedenfalls nicht von offizieller Stelle - unter Trump mag das jetzt eine andere Gewichtung bekommen, weil da geht es mehr um Fake News als um realistische Bestandsaufnahme - , aber im Kern wissen die Sicherheitsdienste in den USA wie auch in Israel, dass der Iran zurzeit nicht an einer Atombombe bastelt. Das könnte er auch nicht; das würde die Internationale Atomenergiebehörde sofort feststellen können.
    Müller: Das ist ja sehr umstritten, wie Sie das jetzt gerade formulieren, zumindest aus amerikanischer, israelischer Sichtweise, auch noch aus der Sichtweise anderer Staaten und Sicherheitsbehörden. Dann liegt aber jetzt, wenn wir beide uns unterhalten und ich will das zusammenfassen, soll das zusammenfassen, der Schluss nahe, dass Sie sagen, Washington und Jerusalem lügen.
    Lüders: Ich weiß nicht, ob man immer so drastische Formulierungen verwenden muss. Aber Washington und die israelische Regierung haben bestimmte geostrategische Interessen, und die bestehen darin, dass man im Iran einen Regimewechsel herbeiführen möchte, und dies kann man nur tun, …
    Müller: Ist das legitim?
    Lüders: Nein, natürlich nicht! Es gibt überhaupt gar keine völkerrechtliche Legitimation, um einen Regimewechsel im Iran oder anderswo herbeizuführen. Das ist ein völkerrechtswidriger Akt, wie auch das Verhängen von Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, die sich im November noch einmal massiv verstärken werden, und das wird dann auch im Zuge der sekundären Sanktionen die Europäer betreffen. All das ist völkerrechtswidrig.
    Müller: Auch wenn man fest davon überzeugt ist, jedenfalls als amerikanische Regierung, als israelische Regierung, dass Teheran den Terrorismus fördert und dass Teheran nach wie vor das Existenzrecht Israels bekämpft.
    "Es geht um die Aufrechterhaltung eines ideologischen Feindbildes"
    Lüders: Das Existenzrecht Israels hat der Iran indirekt doch längst anerkannt.
    Müller: Haben Sie eben gesagt. Aber es glaubt halt niemand.
    Lüders: Aber kann man das jetzt den Iranern vorwerfen, oder liegt das nicht möglicherweise auch daran, dass es in der israelischen Regierung und in der amerikanischen Regierung genügend Akteure gibt, denen es gar nicht um die Faktenlage geht, sondern um die Aufrechterhaltung eines bestimmten ideologischen Feindbildes, das es dann ermöglicht, gegebenenfalls auch militärisch gegen den Iran vorzugehen.
    Die Aussagen der amerikanischen Regierung, namentlich deren Trumps, seines Sicherheitsberaters Bolton und des Außenministers Pompeo in Sachen Iran, sind frei erfundene Behauptungen, die sich vor allem an die Bösartigkeit, die sie feststellen, des Irans richten. Aber in der Politik, vor allem in der Geopolitik geht es um Interessen und der Iran ist das einzige Land im weiten Raum zwischen Atlantik im Westen und Indien im Osten, das nicht auf einer prowestlichen Linie liegt, und deswegen soll dieses Regime weg – vor allem, weil man damit auch Russland schwächen würde.
    Nur wie will man einen solchen Regimewechsel herbeiführen? Die Amerikaner, die Israelis, die träumen davon, sie könnten wieder einen Schah an die Macht bringen. Das wird aber nicht funktionieren. Im Zweifel wird ein weiteres Land zerlegt werden im Nahen und Mittleren Osten, und das kann eigentlich niemand ernsthaft wollen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.