Friedbert Meurer: Der frühere Botschafter Israels in Deutschland, Schimon Stein, arbeitet heute für das Institut für nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv. Wie gut ist das Verhältnis zwischen der Bundeskanzlerin und der israelischen Regierung, insbesondere dem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wirklich?
Stein: Um offen zu sagen meine ich, hier hat sich ein Stimmungswechsel angebahnt. Seit zwei Jahren sind die Kontakte noch immer gut, aber es herrschen Meinungsunterschiede insbesondere mit Hinblick darauf, wie es weitergehen soll mit dem politischen Prozess. Die Kanzlerin hat sich positioniert in einer Weise, die ich als sehr positiv finde. Als erste europäische Politikerin hat sie sich für den jüdischen Charakter des Staates eingesetzt. Sie hat für die Sicherheit des Staates Israel sich eingesetzt. Sie hat für die Zwei-Staaten-Lösung auch sich klar positioniert und sie hat auch, was Deutschland anbelangt, über Israel als Teil der deutschen Staatsräson gesprochen. Auf der anderen Seite sehen wir, dass der Ministerpräsident weiter auf seiner Position im Hinblick auf die Siedlungsposition beharrt, und das hat in den letzten zwei Jahren zu Verstimmungen zwischen der Bundeskanzlerin und Ministerpräsident Netanjahu geführt.
Kein Durchbruch absehbar bei Grenzen, Sicherheit und Rückkehrrecht
Meurer: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Stein: Die Kritik der Kanzlerin, die sie nicht öffentlich, aber am Telefon zum Beispiel an der Siedlungspolitik äußert, die unterstreichen Sie voll und ganz?
Stein: Ich unterstreiche die voll und ganz, weil ich meine, zurzeit ist die Lage in Israel politisch gesagt so, dass ein Durchbruch in Sachen Bereitschaft, etwas flexibler in der Siedlungspolitik zu sein, fast nicht vorhanden ist. Deshalb erwarte ich auch nicht, dass sich heute und morgen bei den Gesprächen ein sogenannter Durchbruch bemerkbar macht. Das sagt noch gar nichts, theoretisch angenommen, sollte sich Netanjahu hier bewegen, dass auf der palästinensischen Seite sich eine Offenheit kennzeichnet mit Hinblick auf die drei schwierigen Fragen, wo ich in absehbarer Zeit keinen Durchbruch sehe. Das ist Jerusalem, Grenzen, Sicherheit und Rückkehrrecht.
Meurer: Schwierige Fragen, alles ganz große schwierige Fragen. Thema Siedlungspolitik, Herr Stein. Die EU will, dass Forschungsgelder der Europäischen Union nicht mehr in die besetzten Gebiete fließen. Wird das von Deutschland eigentlich unterstützt?
Stein: Ich meine, diese Frage ist ja ganz interessant. Deutschland, wenn sie sich Schwierigkeiten machen, dann setzt es sich hinter die europäische Politik. Ds ist auch in diesem Fall der Fall, und ich glaube, wissen zu können, dass man hier sich bemüht, um einen Kompromiss zu finden. Ob es am Ende gelingen wird, hier eine Flexibilität einen Durchbruch zu sehen, muss abgewartet werden. Aber in dieser Sache, glaube ich, hat sich die deutsche Politik an die europäische Politik angepasst.
Kennzeichnung israelischer Produkte in Deutschland nicht vorstellbar
Meurer: Wäre es für Israel noch schmerzhafter, wenn es zu einer Kennzeichnung israelischer Produkte aus den besetzten Gebieten in Europa käme?
Stein: Es ist schon bereits so, glaube ich. Das hört man von Unternehmen, die sich beklagen, dass die israelische Politik auch der Wirtschaft in der Zukunft noch Schwierigkeiten bereiten wird. Aber wissen Sie: Bei allen europäischen Staaten kann ich mir mit Blick auf die Geschichte nicht vorstellen, dass es zu einem Boykott in Deutschland oder zu einem Labeling von Produkten auch für andere kommt. Da gibt es diese Sensibilität und ich sehe nicht, dass Deutschland sich bereit erklären wird, was zu tun, was in Holland und Großbritannien schon heute bereits der Fall ist.
Meurer: Aber es macht für die deutsche Politik einen Unterschied aus: einen offenen Boykottaufruf, unvorstellbar, aber die Kennzeichnung, einfach nur ein Label, dann entscheidet ja jeder Deutsche einzeln.
Stein: Ich wäre nicht dagegen, wenn diese Kennzeichnung auch in Deutschland käme. Aber ich sehe diese Schwierigkeiten und die Hemmungen, die zahlreiche deutsche Unternehmen noch immer haben. Das ist ein Punkt, wo die Vergangenheit eine sehr wichtige Rolle spielt. Man will ja nicht in der Lage sein noch einmal mit diese Sache, schließt man Juden und Israelis aus, und ich mache mir Sorgen. Es fängt damit an und schleichend geht es dann weiter zum Boykott, und das, glaube ich, wird in Deutschland im Hinblick auf die Geschichte eigentlich ganz schwierig sein.
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