Der frühere israelische Armeegeneral Moshe Tamir kennt die Stadt Dschenin sehr gut. Vor 21 Jahren war er einer der Oberbefehlshaber während der damaligen israelischen Offensive im besetzten Westjordanland. Es war die Hochzeit der zweiten Intifada. Das Ziel war damals, Terrorangriffe palästinensischer Extremisten zu unterbinden.
Eine ganze Generation hat versagt
Schon vor einem Jahr sagte der Ex-General gegenüber dem Deutschlandfunk, es werde bald wieder mehr Gewalt geben zwischen Israelis und Palästinensern. Seine Generation, sagte Moshe Tamir, habe versagt. Sie sei beim Versuch gescheitert, Frieden zu schließen.
Es war ein zutiefst deprimierender Blick auf die Region. 21 Jahre nach der Schlacht von Dschenin folgte in dieser Woche ein weiterer schwerer Angriff der israelischen Armee. Auch diesmal wurde der Einsatz mit vorherigen Terroranschlägen von palästinensischer Seite begründet.
Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit im Westjordanland
Die Vereinten Nationen werfen Israel übermäßige Gewalt vor, Israel weist das zurück. Fast alle militanten Palästinenser, die bei dem Einsatz getötet wurden, manche von ihnen Minderjährige, waren vor 21 Jahren noch gar nicht geboren. Aber auch sie wurden groß in der Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit des besetzten Westjordanlandes. Auch sie waren empfänglich für Radikalisierung.
Die Geschichte im Nahen Osten wiederholt sich. Weil Gewalt und Gegengewalt keine Konflikte lösen. Eine politische Lösung des Konfliktes ist derweil noch unwahrscheinlicher geworden als vor 20 Jahren.
Manche israelische Analysten vergleichen die Einsätze der israelischen Armee mit dem Rasenmähen oder mit „Wartungsarbeiten“. Formulierungen, die zeigen, dass in diesem Konflikt nicht nur die Aussicht auf politische Lösungen abhandengekommen ist, sondern auch die Empathie gegenüber den Menschen auf der anderen Seite.
Das gilt übrigens für beide Seiten. Anfang der Woche fuhr ein Palästinenser mit einem Auto in eine Menschenmenge in Tel Aviv. Eine Frau verlor ihr ungeborenes Kind. Eine Verurteilung des Anschlages durch die palästinensische Führung erfolgte nicht.
Einen Friedensprozess gibt es nicht mehr
Eine Eskalation der Gewalt im Nahen Osten – das klingt vertraut. Dabei ist die Lage gerade jetzt besonders angespannt. Einen Friedensprozess gibt es nicht mehr. Ein souveräner palästinensischer Staat wirkt beinahe unerreichbar.
Die palästinensische Autonomiebehörde hat die Kontrolle in Teilen Dschenins längst verloren – ebenso den Rückhalt in der Bevölkerung. Vertreter der in Teilen rechtsextremen israelischen Regierung wollen Siedlungen im besetzten Westjordanland massiv ausbauen. Itamar Ben-Gvir – ausgerechnet Minister für nationale Sicherheit – rief dazu auf, wenn nötig „Tausende Terroristen“ zu töten. Das Land Israel gehöre dem Volk Israel. Ben-Gvir meint damit auch das besetzte Westjordanland.
Einen palästinensischen Staat will er unbedingt verhindern. Immer wieder kommt es zu massiver Gewalt extremer israelischer Siedler gegen Palästinenser. In Israel wiederum gibt es weiterhin Proteste gegen die Regierung und die sogenannte Justizreform. Manche fürchten sogar einen Bürgerkrieg.
Tweets der israelischen Botschaft
Auch hier in Deutschland wäre jetzt, spätestens jetzt ein guter Moment, um sachlich und konstruktiv über die desolate Lage zu sprechen und zu streiten.
Das aber ist leider nicht der Fall. Die israelische Botschaft in Berlin setzte jüngst bemerkenswerte Tweets ab. Sie unterstellte einer angesehenen Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik „Israelbashing“ und schrieb von „Antisemitismus im pseudoakademischen Milieu“. Die Politologin Muriel Asseburg hatte im Interview-Format Jung&Naiv über das Völkerrecht und die Besatzung gesprochen.
Später griff die Botschaft den deutsch-israelischen Publizisten Meron Mendel mit scharfen Worten an. Mendel kritisiert Israels Regierung, vertritt aber keineswegs extreme Positionen. Man muss die Aussagen von Asseburg oder Mendel nicht teilen. Dass ein Staat aber öffentlich zwei Publizisten teils unsachlich verbal angriff, empfanden viele als Eingriff in die wissenschaftliche und publizistische Freiheit.
Wo soll das alles enden?
Dabei hat der Diskurs über den Nahen Osten dringend mehr sachlichen Austausch nötig. Und zwar ganz konkret über die Fakten vor Ort und die zentrale Frage, wo das alles enden soll. Eine Frage, über die verblüffend wenig gesprochen wird.
In den kommenden Wochen und Monaten wird es im Nahen Osten zu neuer Gewalt kommen. Moshe Tamir, der ehemalige israelische Armeegeneral, sagte vor einem Jahr, in dieser Geschichte gebe es kein Happy End.