Nahostkrieg
Israelische Ermittler werfen Hamas systematische sexuelle Gewalt "unbegreiflichen Ausmaßes" vor

Israelische Ermittler beschuldigen die Hamas des Kriegsverbrechens der systematischen sexuellen Gewalt. Bei dem Terrorangriff der Islamisten auf Israel am 7. Oktober hat es demnach Taten von Gruppenvergewaltigungen bis hin zur Schändung von Frauenleichen gegeben.

08.12.2023
    Israelische Frauen halten Schilder hoch, auf denen sie die sexuelle Gewalt der Hamas gegen sie anprangern. Alle haben den Mund zugeklebt.
    Schon im November protestierten israelische Frauen gegen die sexuelle Gewalt der Hamas. Hier vor dem UNO-Sitz in Jerusalem. (picture alliance / newscom / DEBBIE HILL)
    Ermittler haben nach eigenen Angaben bislang mehr als 1.500 Beweise in der größten Polizeiermittlung dieser Art in der Geschichte Israels zusammengetragen. UNO-Generalsekretär Guterres erklärte jüngst, es gebe zahlreiche Berichte über sexuelle Gewalt während der abscheulichen Terrorakte der Hamas. Diese müssten energisch untersucht und strafrechtlich verfolgt werden. Einen Tag später erklärte die Frauenorganisation der Vereinten Nationen, man sei alarmiert über die zahlreichen Berichte über geschlechtsspezifische Gräueltaten während des Hamas-Angriffs.
    Die israelische Kommandantin Shelly Harush nannte das Ausmaß der Terrorverbrechen unbegreiflich, wie ARD-Korrespondentin Bettina Meier berichtete. Es habe sich um eine "Massenvernichtung" von jedem gehandelt, der den Weg der Angreifer gekreuzt sei. Babys, Kleinkinder, alte Menschen sollen betroffen sein, Männer wie Frauen. Es geht demnach auch um Demütigungen und Verstümmelungen. Harush führte aus, sie hätten "schockierende und schmerzhafte Aussagen" von Zeugen, Medizinern und Pathologen zusammengetragen. Diese berichteten von Wunden an "Genitalien, Unterleib, Beinen und Gesäß", wobei einigen Frauen die "Brüste abgeschnitten" oder durchschossen worden seien. Die meisten Mädchen und Frauen - unter ihnen auch Schwangere - überlebten der Polizei zufolge nicht. Sie zählen zu den 1.200 Menschen, welche die Hamas nach israelischen Angaben bei ihrem Überfall tötete.

    60.000 Videos unter anderem von beschlagnahmten Körperkameras der Hamas-Angreifer

    Unmittelbar nach den Anschlägen hatte die Identifikation der Toten Priorität vor der Beweissicherung. Nun analysiert die Polizei nach eigenen Angaben 60.000 Videos, die aus beschlagnahmten Körperkameras von Hamas-Angreifern, Sozialen Medien und von Überwachungskameras stammen. Auch 1.000 Zeugenaussagen werden ausgewertet, um die Täter zur Rechenschaft ziehen zu können. Überlebende Vergewaltigungsopfer zu finden erwies sich den Angaben zufolge jedoch als schwierig, da viele von den Angreifern getötet worden seien.
    Die Organisation "Ärzte für Menschenrechte Israel", die sich in der Vergangenheit auch für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen eingesetzt hat, hatte im November ein erstes Gutachten veröffentlicht. Es sei sicher, dass sexuelle Gewalt während der Hamas-Angriffe weit verbreitet gewesen sei, sagte die Strategie- und Ethikdirektorin der Gruppe, Hadas Ziw. Ähnlich äußerte sich die Menschenrechtlerin Cochav Elkayim-Levy, Mitbegründerin einer nicht-staatlichen Kommission, die Beweise zu Straftaten an Frauen und Kindern am 7. Oktober sammelt. Auch kleine Kinder seien vergewaltigt und getötet worden.

    Bisher war die Hamas nicht für sexuelle Übergriffe bekannt

    Die Hamas hat den Vorwurf sexueller Übergriffe durch ihre Kämpfer zurückgewiesen. Der Forschungsdirektor des globalen Sicherheitsunternehmens Soufan Group, Colin Clarke, erklärte, vor Beginn dieses Kriegs sei die militant islamistische Bewegung tatsächlich nicht dafür bekannt gewesen, Vergewaltigung als Waffe einzusetzen. Vielmehr hätten Selbstmordattentate und Angriffe mit Schusswaffen auf israelische Soldaten und Zivilpersonen zur Taktik der Hamas gehört.

    Kritik an der UNO

    Anfang der Woche hatte es scharfe Kritik an der UNO gegeben. Frauen skandierten vor dem Hauptsitz in New York."Schande über die UNO" und "Vergewaltigung ist Vergewaltigung". Etwa 150 Demonstrantinnen trugen bei der Protestaktion lediglich Unterwäsche und waren mit Kunstblut beschmiert. Sie beschuldigten die Vereinten Nationen, die sexuellen Gräueltaten der Hamas zu verschweigen. Trotz der Beweise ignoriere die Weltgemeinschaft diese mnassiven Verbrechen, hieß es. In den Wochen nach dem 7. Oktober konzentrierten sich die Erklärungen von "UN Women" vor allem auf die Lage im Gazastreifen.
    Die aktuellen Erklärung der Organisation hätten schon vor zwei Monaten kommen sollen, kritisierte die israelische Juraprofessorin Ruth Halperin-Kaddari. Bereits kurz nach den Angriffen schickten israelische Rechtsexperten detaillierte Belege für die Gräueltaten an wichtige internationale Gremien wie UN Women und den UNO-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen (Cedaw). Keines dieser Gremien habe die Tatsache anerkannt, dass hier Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden seien.
    Die Menschenrechtlerin Elkayim-Levy betonte, das anfängliche Schweigen, das Nichterwähnen, das späte Eingeständnis sexualisierter Gewalt habe bereits Schaden angerichtet. Für viele Überlebende und deren Angehörige sei es ein zweites Trauma, nicht richtig gehört zu werden.

    Weiterführende Informationen

    Über die Entwicklungen im Nahen Osten halten wir Sie auch in einem Nachrichtenblog auf dem Laufenden.
    Diese Nachricht wurde am 08.12.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.