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Israels Staatsgründer Ben-Gurion und die Religion
Buddha auf dem Schreibtisch

Der israelische Historiker und Journalist Tom Segev hat eine 800 Seiten starke Biografie über David Ben-Gurio­n vorgelegt. Ben-Gurion war durch und durch ein sozialistisch geprägter Zionist. Doch die Gretchenfrage: Wie hielt es der israelische Staatsgründer mit der Religion?

Von Thomas Klatt |
    Israels Staatsgründer David Ben-Gurion auf einer Aufnahme von 1967
    Zionist, Sozialist ... Atheist? Israels Staatsgründer David Ben-Gurion 1967 (imago/Sven Simon)
    "Ich hab einen Mann gefunden, der voller Widersprüche ist, voller Konflikte ist. Und deshalb auch so faszinierend ist. Er konnte von Tag zu Tag von der tiefsten Depression plötzlich umschwenken in die unkontrollierbare Euphorie. Und das Interessante an ihm war auch, dass er das selber wusste und auch geschrieben hat in seinem Tagebuch."
    Tom Segev hat nicht nur Ben-Gurions Tagebuch gelesen, sondern mehr als fünf Jahre lang in Archiven geforscht, alte Interviews abgehört, Filme und Fotos gesichtet. In Ben-Gurions Arbeitszimmer standen nur drei Plastiken: Platon, der den idealen Staat der Antike beschrieb, Moses als Gründerfigur des Judentums, und: Buddha!
    Mit dem Computer zum Glauben
    "Buddha ist auch interessant, weil Ben-Gurion ein Problem hatte mit Gott. Er verstand sich als Atheist, er glaubte nicht an Gott. Aber er fand es problematisch, dass er nicht an Gott glaubte. Er sagte schon mit 17 Jahren, dass nicht Gott das jüdische Volk erwählt hat, sondern dass das jüdische Volk sich Gott gefunden hat. Und er fuhr Anfang der 50er Jahre nach Burma auf einen Staatsbesuch und blieb noch einige Tage länger, um den Buddhismus kennen zu lernen. Und das hat er deswegen getan, weil Buddhismus eine Religion ohne Gott ist."
    Erst im hohen Alter hat Ben-Gurion sich dazu durchgerungen, an Gott zu glauben. Überzeugt hat ihn aber weniger die Bibel als vielmehr einer der ersten Computer. Tom Segev erinnert sich an ein Interview, das er im Jahr 1968 mit Ben-Gurion führte, fünf Jahre vor dessen Tod.
    "Herr Ben-Gurion, glauben Sie an Gott? Und er hat uns dann gesagt, er glaubt nicht an einen alten Mann mit weißem Bart, der auf einen Thron sitzt. Aber er will uns was erzählen. Dass er in Schweden war, in Uppsala, in einem berühmten wissenschaftlichen Institut und da hat man ihm eine Maschine gezeigt, die den millionsten Bruchteil von einer Sekunde messen kann. Ich sehe ihn noch vor mir sitzen und sagen: Ein Bruchteil! Millionen Bruchteil von einer Sekunde! Das kann nicht sein, dass ein Mensch allein das erfunden hat, da muss eine höhere Kraft dabei sein."
    "Der Konflikt lässt sich nicht lösen"
    Tom Segev ist sich sicher, dass Ben-Gurion sich heute besonders über die weltweit erfolgreichen IT-Startup-Unternehmen in Tel Aviv oder Haifa freuen würde. Wie überhaupt, dass Israel sich zu einer blühenden und funktionierenden Demokratie im Nahen Osten entwickelt hat. Ein Staat, der von Anfang an nicht zusammen mit den Arabern, sondern gegen sie gedacht und erkämpft wurde. Denn Ben-Gurion war schon in seiner polnischen Heimatstadt Płońsk ein glühender Verfechter der Idee, eine sichere Heimstatt für alle Juden in Palästina zu errichten. Um dieses Ziel zu erreichen, wollte er so viele Juden wie möglich ins Land bringen.
    "Und dieser Gegensatz lässt sich nicht lösen. Weil es keinen Araber gibt, der das Land aufgeben wird. Genauso wie es keinen Juden geben wird, der das Land aufgeben wird. Dass man dieses Problem managen kann, man kann es nicht lösen, aber man kann es managen. Und das ist, was man heute sagt. Die meisten Israelis und die meisten Palästinenser sind sich heute einig, dass man den Konflikt nicht lösen kann. Und Ben-Gurion war eigentlich der Erfinder dieser Formel, den Staat Israel zu gründen."
    Widersprüchliche Thesen
    Beim Zionisten Ben-Gurion finden sich viele Widersprüche. Mal plädiert er für eine strenge Trennung zwischen Juden und Arabern. Dann wiederum empfiehlt er allen jüdischen Einwanderern, man solle doch zur besseren Verständigung Arabisch lernen. Ben-Gurion verfolgte auch kurze Zeit den Gedanken, dass doch nur die Beduinen der Wüste echte Araber seien. Die Fellachen aber, die einfachen Bauern Palästinas, wären im Grunde jüdisch.
    "Er hatte ein Problem damit, dass so viele Araber in dem Teil des Landes waren, was er eigentlich als jüdischen Staat haben wollte und hat sich gedacht, ach, das sind doch eigentlich alles Juden. Es gab ja früher keine Araber, es gab früher Juden, also das müssen Juden sein, die zum Islam übergetreten sind. Aber in ihren Venen fließt jüdisches Blut."
    Der israelische Journalist und Historiker Tom Segev
    Der israelische Journalist und Historiker Tom Segev (picture alliance / dpa)
    Mit dieser These konnte sich David Ben-Gurion nicht durchsetzen. Auch eine andere Idee Ben-Gurions hat sich nie bewahrheitet, dass die geschätzt 700.000 vertriebenen und geflüchteten Araber bald woanders heimisch werden würden.
    "Er hat ja eine Zeit lang geglaubt, dass die Palästinenser ihr Land vergessen, ihre Heimat. Und das ist besonders merkwürdig, weil der Zionismus darin besteht, dass die Juden 3000 Jahre lang ihre Heimat nicht vergessen haben. Warum sollen gerade die Palästinenser diese selbe Heimat ja vergessen?"
    Judentum als Nationalität
    Dabei war immer unklar, was ein "jüdischer Staat" sein sollte. Die Spannungen zwischen religiösen und nicht-religiösen Juden waren von Anfang an Teil der zionistischen Bewegung, für die sich Ben-Gurion sein ganzes Leben lang einsetzte. Eine Spannung, die sich nicht entspannen lässt.
    "Nein, es kann nicht geklärt werden, weil überhaupt nicht geklärt werden kann, wer Jude ist. Das ist auch eine Frage, die Ben-Gurion sein ganzes Leben lang beschäftigt hat und die Schwierigkeit von Judentum als Religion und Judentum als Nationalität. Für Ben-Gurion war Judentum als Nationalität wichtiger. Also er war ein völlig unreligiöser Mensch. Er hat Schweinefleisch gegessen. Er hat an Yom Kippur gearbeitet, das ist der heiligste Tag für das Judentum. Und er hat sich trotzdem als Jude gefühlt und fand sich oft in Konfrontation mit anderen religiösen Juden."
    Ben-Gurion war vor allem Histadrut-Gewerkschafter und sozialistischer Politiker. Theologische Debatten wollte er nicht führen - weder mit Rabbinern noch mit einem großen jüdischen Philosophen wie Martin Buber. Den ließ er über Jahrzehnte hinweg links liegen.
    Konfrontation statt Kompromiss
    "Ben-Gurion konnte die philosophische Größe von Martin Buber sicher respektieren. Aber er hatte ein großes Problem damit, dass ein Philosoph versucht hat, ihm vorzuschreiben eine andere, eine fast nicht-zionistische Politik zu machen. Es war so eine Geste: Der Premierminister kommt zu dem Philosophen. Zum Beispiel über die Frage, ob Adolf Eichmann aufgehängt werden soll oder nicht. Buber versuchte ihn zu überzeugen, dass aus philosophisch-moralischen Gründen es besser sein wird, wenn Eichmann am Leben gelassen wird. Für Ben-Gurion war das gar keine Frage, die Todesstrafe. Und natürlich auch das Verhältnis zu den Arabern, zu der arabischen Bevölkerung."
    Denn Martin Buber plädierte für eine wesentlich kompromissbereitere Haltung gegenüber den Arabern. Gurion aber strebte letztlich die Bildung einer jüdischen Armee und die Konfrontation an. Kompromissbereit war Ben-Gurion dagegen gegenüber den Ultraorthodoxen, den "Schwarzen", wie er die strenggläubigen Juden verächtlich nannte. Zur Bildung seines zionistischen Staates schienen sie ihm nützlich. Ben-Gurion erlaubte, dass ultra-orthodoxe Juden nicht zum Militär müssen, solange sie in der Jeschiwa Thora und Talmud studieren. Zur Staatsgründung 1948 war das noch Ausnahme für nur wenige Hundert Ultra-Orthodoxe.
    "Heute sind es zigtausende von orthodoxen jungen Männern, die nicht zum Militär gehen. Das ist ein sehr, sehr großes Problem in Israel. Und so hat Ben-Gurion das auch nicht gedacht. Sie müssen sich erinnern, dass das sofort nach dem Holocaust war. Es gab keinen Nachwuchs fürs religiöse Studium. Und er hat dann gesagt, die Besten, die es gibt, und die Begabtesten, die müssen nicht zum Militär. Dass er sich sagte, er will die Orthodoxen als Minister in der Regierung. Es ist leichter mit ihnen zu verhandeln, als wenn sie in der Opposition sind."
    "Jerusalem war ihm nicht so wichtig"
    Der Staatsgründer fühlte sich vor allem in Tel Aviv wohl oder eben in den sozialistischen Kibbuzim. Er selbst zog sich am Ende seines Lebens zurück in die Wüste Negev, in den Kibbuz Sde Boker. Mit Jerusalem dagegen wurde Ben-Gurion nie richtig warm. Dass Juden bis zum Sechs-Tage-Krieg 1967 nicht zur Klagemauer konnten, weil sie im jordanisch besetzten Teil der Stadt lag, ließ ihn kalt.
    "Die Klagemauer war Ben-Gurion nicht besonders wichtig. Überhaupt Jerusalem war ihm nicht besonders wichtig. Er fand dort viel zu viele orthodoxe Juden und viel zu viele Araber. Aber er verstand die emotionale und symbolische Wichtigkeit Jerusalems für das jüdische Volk. Nur er hatte keinen Anteil daran. Er sagte manchmal: Dann habt ihr eben die Klagemauer nicht. Betet woanders!"