Es ist das Jahr 2025. Im besten Hotel Berlins sind wieder Hunderte aktive und zukünftige Mülljäger zur allwöchentlichen Müllauktion erschienen. Müllauktionen sind der neueste Schrei, seit bekannt wurde, dass Müll das neue Gold sei. Recycling ist hipp. Mülltonnen werden gesichert wie Tresore.
"Unser erstes Objekt heute: Die Restmülltonne der Familie Müller. Familie Müller hat in dieser Woche nicht nur normalen Müll erzeugt, nein, Familie Müller trennt ihren Müll nicht. Herr und Frau Müller haben zudem ihren Dachboden ausgemistet. In der Tonne sind nach erstem Augenschein viele Plastikverpackungen, aber auch Kleingeräte, ein Toaster liegt gleich obenauf, sowie einige elektronische Leckerbissen wie ein Handy aus dem Jahr 2010 sowie ein altes Notebook von 2008. Das Anfangsgebot liegt bei 50 Euro. Wer bietet 50 Euro, ja der Herr in der zweiten Reihe, wer bietet mehr?"
"60 Euro – 70 Euro – 85 Euro – 110 Euro – 150 Euro – 200 Euro!"
Der Grund für die hohe Wertsteigerung des Mülls liegt an der Rohstoffknappheit. 2015 und 2018 waren die Minen Chinas, Afrikas und Südamerikas bis zum letzten Klumpen Erz ausgebeutet. Seitdem fehlen den Industriestaaten wichtige Technologie-Elemente wie Coltan, Indium, Lithium und die Metalle der Seltenen Erden. Die und viele andere stecken in Handys, Autos und vielen anderen Gegenständen. Und auch in der Mülltonne.
Müll-Auktionen - das könnte ein Szenario sein, an das Medien und Politkern gerne denken, wenn es um die Wiedergewinnung chemischer Elemente geht. Vor allem an den Seltenen Erden machen viele Verfechter fest: Unser Müll ist Goldes wert. Doch nüchtern betrachtet stellt sich die Frage, wie knapp sind die Rohstoffe auf unserer Erde wirklich? Thomas Pretz von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen bezweifelt eine echte Verknappung.
"Rohstoffe werden nicht knapp. Die Erde bietet von den meisten Elementen ausreichend Material um auch eine wachsende Erdbevölkerung zu versorgen. Das sagen uns alle Studien, zum Beispiel der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe oder auch andere aus dem internationalen Bereich. Also, es ist nicht ein geologisches Problem. Wenn etwas knapp wird, dann ist das ein Verteilungsproblem."
Die These, dass Rohstoffe an sich nicht knapp werden, unterstützt auch Rainer Lucas vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.
"Wenn wir über Knappheit reden, reden wir vor allen Dingen über eine relative Knappheit, nämlich das Angebot bleibt im Großen und Ganzen stetig, es bleibt in diesem Umfang vorhanden, aber die Nachfrage steigt zum Teil um das fünf- bis zehnfache und die Minenproduktion kann nicht entsprechend gesteigert werden. Das heißt wir sprechen aus einer wissenschaftlichen Sicht auch von einer relativen Knappheit."
Hinzu kommt eine politische Dimension. Sie spielt in jüngster Zeit die größte Rolle bei der Diskussion um und über Rohstoffe. Rainer Lucas:
"Es gibt nicht nur die engere Sicht auf die Rohstoffförderung, sondern es gibt natürlich auch Bewertungen in Bezug auf politische Risiken. Dass man sagt, hier habe ich ein Risiko, weil bei den seltenen Erden beispielsweise 97 Prozent der Produktion aus der Volksrepublik China kommen und irgendwann werden die staatsautoritär sagen, das brauchen wir selbst und werden den Export dieser seltenen Metalle einschränken und dann sitzen wir auf dem Trockenen. Oder auch die Frage Coltan aus der Republik Kongo, Bürgerkriegsregion. Heiß umkämpfte Bergbauregion. Auch da kommen dann politische Instabilitäten dazu, die die Versorgungssicherheit beinträchtigen können."
Rohstoffe wiederzugewinnen kann Abhängigkeiten verringern und Verteilungsprobleme mindern. Als eine Quelle kommt der normale Müll in Frage. Aber auch Abrissgebäude, Straßen, Überlandleitungen und viele weitere Teile der Infrastruktur beherbergen wertvolle Stoffe wie Eisen, Kupfer oder Aluminium. Die allgegenwärtigen Computer, Handys und Elektronikgüter enthalten gar Gold, Silber, Platin und noch allerhand weiterer so genannter Technologiemetalle. Sie alle könnten theoretisch wieder gewonnen werden, durch Urban Mining – dem Bergbau in der Stadt. Thomas Pretz:
"Starten wir bei dem Urban Mining. Wir müssen sehen, dass wir als Gesellschaft in großem Umfang für unsere Infrastruktur Rohstoffe verbrauchen und die dann sehr lange in diesem Depot Infrastruktur sind. Infrastruktur sind unsere Straßen, das sind die Gebäude, in denen wir wohnen, in denen wir arbeiten. Wenn wir heute über Urban Mining reden, dann fokussieren wir dadrauf, dass wir in diesem Depot sehr, sehr große Mengen Rohstoffe gespeichert haben. Urban Mining beschreibt den Blick auf dieses große Depot als Alternative zu den primären Rohstoffen."
Nur wo sind die Rohstoffe konkret zu finden, die Thomas Pretz so reichhaltig in der Stadt herumliegen sieht? Und wann können sie genutzt werden? Es sind zwei der Fragen, die das Urban Mining zu einer – noch – schwierigen Aufgabe machen. Rainer Lucas ergänzt.
"Wir brauchen die Potentialabschätzung, das heißt, wir müssen wissen, was ist vergraben, was wird wo angewandt. Wir müssen aber auch sehr genau wissen, wie lange ist die Nutzungsdauer in den jeweiligen Produktbereichen. Im Gebäudebereich sind die ja zum Teil 50 bis 80 Jahre. Im Bereich der mobilen Güter, der Flachbildschirme haben sie Innovationszyklen von zwei bis drei Jahren. Das alles müssen Sie mit bedenken wenn sie systematisch rückführen wollen."
Allerdings gibt es ein weiteres Problem: Die schieren Mengen. Denn zwischen einem Bauwerk mit überschaubaren Anteilen an Metall zum Beispiel und einem elektronischen Produkt liegen Welten. Thomas Pretz:
"Also nehmen Sie ein Stahlbauwerk. Eine Stahlbrücke. Die besteht überwiegend aus einem Material. Und die ist eben dadurch gekennzeichnet, dass wir viel Masse auf wenig Fläche unterbringen. Ein elektronisches Gerät ist durch unglaublich intelligente Konstruktion gekennzeichnet. Und diese Intelligenz führt zur Miniaturisierung. Das heißt, wir haben, nehmen Sie am Beispiel eines Handys, wir haben auf einer sehr kleinen Fläche sehr viele Rohstoffe in sehr kleinen Konzentrationen verbaut. Und damit ist das Rückgewinnen von Materialien, die eben nicht mehr im Milligrammbereich vorliegen, sondern die in deutlich geringeren Konzentrationen nur noch vorhanden sind und dann eingebaut sind in komplexe Strukturen, ist diese Aufgabenstellung dramatisch schwieriger, als die Aufgabenstellung im Urban Mining Gebäude rückzubauen."
Immer häufiger gerät auch der Siedlungsabfall ins Visier der Recycler. Neben den wohlbekannten Leichtverpackungen, Papier und Glas – alle drei werden bereits seit Jahren gesammelt und teils wiederverwertet – könnte auch der Restmüll eine Rolle im Stoffkreislauf spielen. Teils wird kolportiert, was im Hausmüll stecke, könne die gesamte Kette von der Sammlung bis zur Wiederverwertung refinanzieren. Thomas Pretz glaubt daran nicht.
"Also wir machen die einfache Rechnung. Im Hausmüll stecken vier Prozent Metalle. Das sind Eisenmetalle und Nichteisenmetalle und wir unterstellen einen mittleren Marktwert von 100 Euro. Dieser positive Beitrag ist so gering im Verhältnis zu den Behandlungskosten, die liegen für den Hausmüll bei einer Tonne bei ungefähr einer Größenordnung von 100 Euro und dazu kommen noch die Sammlungskosten, dass dieser kleine wirtschaftliche Beitrag der verwertbaren Stoffe niemals den Aufwand für die Erfassung und für die Beseitigung, die macht man ja aus anderen Gesichtspunkten, nämlich Schaden von der Bevölkerung abzuwenden, ersetzen kann. Und selbst wenn es mal so sein sollte, dass wir zehn Prozent Wertstoffe im Hausmüll haben, dann bedeutet das, dass wir immer noch 90 Prozent beseitigen müssen und diese zehn Prozent niemals die Kosten kompensieren können, die die Beseitigung und der Aufwand für die Sammlung und die Beseitigung ausmachen."
Wie viel Wertstoffe aus dem Hausmüll herausgeholt werden können, hat die Müllwirtschaft in der Region Trier ausprobiert. Der Zweckverband Abfallwirtschaft im Raum Trier, kurz ART, betreibt dazu eine Versuchsanlage.
"Ja wir sind hier im Eingangsbereich der Abfallbehandlungsanlage in Mertesdorf bei Trier. An einem dieser fünf Tore können die Restabfallfahrzeuge oder auch die Transportfahrzeuge, die aus weiteren Entfernungen den Abfall zu uns bringen, den Abfall in einen Tiefbunker abladen."
Max Monzel vom ART steht vor einer großen Halle mit hohen Toren. Ein großer vierachsiger Müllwagen kommt an. Rollt rückwärts an eines der Tore. Der Beifahrer registriert die Ladung an einem der elektronischen Terminals. Das Tor zum Müllbunker öffnet sich. Der Müllwagen rollt bis fast an die Kante des Müllbunkers und kippt Berge bunt gemischten Haushaltsmülls ab. In Mertesdorf kommt der Müll aus der gesamten Region Trier an. Abfälle aller Art aus über einer halben Million Haushalte. Und weil in der Region der Biomüll nicht getrennt gesammelt wird, landen Essensreste, Laub und Grünschnitt mit in den Mülltonnen. Der Wassergehalt im Müll liegt bei fast 50 Prozent. Das macht Probleme. Nasser Müll lässt sich schlecht trennen und noch schlechter verbrennen. Deshalb trocknen Max Monzels Kollegen in Mertesdorf den Müll. Aus dem Fenster der Leitwarte lässt sich die gesamte Anlage überblicken.
"Rechts den Tiefbunker, die Zerkleinerungseinheiten und links zwölf hintereinander angeordnete Rotteboxen, die eigentlich nicht anders aussehen wie eine umgedrehte Fertigteilgarage. Und diese Boxen wird dann der Abfall nachdem er zerkleinert ist, durch einen großen Greifer, eine große Baggerschaufel, eingefüllt und wird dort auf einen belüfteten Boxenboden gelegt und mit kalter Luft durchströmt. Und diese kalte Luft, die sich im Strömungsprozess aufwärmt und gleichzeitig die Feuchtigkeit bindet, wird dann am Deckel der Box wieder abgesaugt, herunter gekühlt in Wärmetauschern und hierbei diffundiert das Wasser wieder aus. Und dieser Prozess ist das, was wir auch dann als diesen sehr einfachen aber wirtschaftlich interessanten Prozess der Trocknung von Hausmüll bezeichnen."
Die Ruhe im Kontrollraum täuscht. Im Inneren der Anlage dröhnen Lüfter und auch der Greifer ist alles, aber nicht lautlos. Er baggert den Müll vom Müllbunker in die Rotteboxen. Sie ähneln Kompostern im heimischen Garten. Hier wie dort entsteht beim Lagern des Unrats Energie in Form von Wärme. Und die nutzen die Mertesdorfer um den Müll zu trocknen. Zusätzlich heizen müssen sie nicht. Was als Produkt nach der Trocknung entsteht, wird als Brennstoff, als Ersatz für die heimische Braunkohle weiterverkauft. Das war aber nicht immer so. Bis vor wenigen Monaten war Mertesdorf nicht nur eine Mülltrocknungsanlage, sondern viel mehr ein groß angelegter Mülltrennungsversuch. Monzel:
"Ja, aber dieses trockene Material, das ist wenn man hier so aus dem Fenster schaut, dann sieht man das auch ganz gut, das ist bunt. Und das ist deswegen bunt, weil in der Hausmülltonne auch viele Kunststoffe sind, viele Folien drin sind, Holz, Papier, Glas, alles Rohstoffe, die es gilt im Stoffkreislauf zu erhalten. Und so haben wir uns in einem zweiten Behandlungsschritt die Frage gestellt, könnte man diese Wertstoffe, die auch im Hausmüll sind, auch eigentlich wieder heraus sortieren? Bekommt man die wieder raus? Und kann man die auch wiederverwerten? Ja, das haben wir großtechnisch probiert."
In einer Halle so groß wie zwei Fussballfelder haben die Müllentsorger alles an High-Tech-Sortiertechnik versammelt, was Sinn machte.
"Das fängt an, hier mit einem Dosierer, der das Material in homöopathischen Dosen auf die Förderbänder legt, es geht weiter über eine zweite Metallabscheidung. Wir sehen ein großes Trommelsieb. So groß wie ungefähr ein, sagen wir ein dreiachsiger LKW. Wir haben dann zwei Windsichter dahinter geschaltet, wo mit Luftströmen das Schwere vom Leichten und das Flächige vom Rollenden getrennt wird. Wir haben einen Ballistikseparator, wo wir insbesondere die Problematik der Windeln heraus sortieren. Wir haben einen großen Materialstrom Windeln im Restabfall. Gehen dann weiter immer verbunden mit entsprechenden Förderbändern hoch zu den optischen Trennern, wo hier mit Infrarotlicht der Abfall beleuchtet wird und anhand der Reflektion ein dahinter geschalteter Prozessor erkennen kann, um welches Produkt es sich handelt."
Mit Hilfe der Technik konnten gezielt einzelne Materialien aus dem Strom der nun trockenen Abfälle heraus sortiert werden. Und zwar mit einer Genauigkeit von 99 Prozent, sagt Max Monzel. Nun steht die Anlage still. Der Versuchszeitraum ist zu Ende. Ob die Anlage wieder in Betrieb geht, steht in den Sternen. Denn Mülltrennung soll lieber der Verbraucher machen – sagt das Bundesumweltministerium. Dazu gibt es die Biotonne. Sie ist ab 2015 für jeden Bürger verpflichtend. Und auch die gelbe Tonne des Dualen Systems wird wohl so schnell nicht von unseren Müllplätzen verschwinden. Monzel:
"Dieses Konzept, dieser Ansatz, das widerspricht bezogen auf das 'Woher kommen die Rohstoffe' ja eigentlich zu hundert Prozent dem, was wir hier betrieben haben. Wir sagen, wir können das in ein Gefäß tun, denn Maschinen sortieren besser als Menschen. Es gibt keine Fehlwürfe und man kann die Sortiertechnik so einstellen, dass man die Produkte bekommt, die auch Marktgängig sind."
Es läuft auf eine Wiederverwertung der Stoffe hinaus, die sich gerade gut verkaufen lassen. Will sagen: Deren Rohstoffpreis gerade hoch genug ist. Der Rest der Abfälle wird in den Müllofen wandern. Dieser Ansatz des gezielten Teil-Recyclings ist umstritten. Hinsichtlich der Perspektive, dass Recycling sich in absehbarer Zeit nicht selbst über den Rohstoffpreis wird tragen können, ist der Ansatz des selektiven Recyclings allerdings nachvollziehbar. Macht es aber Sinn, jeden Stoff zu recyceln? Rainer Lucas vom Wuppertal Institut:
"In der Vergangenheit war sehr stark die Ökologie im Spiel nach dem Motto: Jedes rückgewonnene Metall, jede Tonne spart Primärressourcen. Das ist der ökologische Grundgedanke und der sollte auch weiterhin noch eine Rolle spielen. Aber es kommen jetzt zunehmend ökonomische Aspekte rein und das muss aber auch geordnet geschehen. Es kann nicht sein, wir nennen das in der Abfallwirtschaft Rosinenpicken, dass sozusagen ein Metall des Jahres aufgerufen wird und alle stürzen sich darauf und dann geht doch aufgrund irgendeiner Wirtschaftskrise oder eines Ereignisses im globalen Maßstab der Preis wieder runter und schon lässt man die Sache wieder liegen."
Zurück nach Berlin, doch diesmal nicht ins Jahr 2025, sondern ins jetzt und heute. In keiner anderen deutschen Stadt leben mehr Menschen, in keiner anderen fällt entsprechend viel Müll an. Und den entsorgt zu einem großen Teil die Berliner Stadtreinigung, kurz BSR. Und die Berliner, die sind wahre Meister der Mülltrennung. Was wie in welche Tonnen oder sonst wohin kommt, erläutert die Vorstandsvorsitzende der BSR Vera Gäde-Butzlaff.
"Getrennt wird in Berlin, wenn wir jetzt mal den Hausmüll nehmen, Papier, Pappe. Es wird Glas getrennt gesammelt. Es werden Leichtverpackungen getrennt gesammelt. Wir sammeln den Biomüll. Was natürlich noch dazu kommt ist, das wird dann auf Anforderung abgeholt, das ist der Sperrmüll. […] Wir haben außerdem noch 16 Recyclinghöfe, wo die Berliner wirklich sehr eifrig vorbeikommen und das bringen, was sie nicht mehr brauchen."
Und bald kommt noch eine Tonne dazu. Orange wird die sein. Sie soll aufnehmen, was sinnvoll zu recyceln ist – zum Beispiel alte Töpfe und Pfannen. Auch Elektrogeräte wie ein defekter Toaster oder Videorekorder und Hightech-Altlasten wie ausgediente Computer oder Handys dürfen hier ganz legal entsorgt werden. Insgesamt verteilt der Berliner seinen Müll fortan also auf sieben oder acht Tonnen. Doch trotz der Vielfalt: Die Mülltonne bleibt eine Mülltonne. Eine Goldgrube sei sie nicht, so Vera Gäde-Butzlaff. Denn beileibe nicht alles, was in den Tonnen landet, sei ein Wertstoff.
"Was ist ein Wertstoff, wirtschaftlich gesehen? Ein Wertstoff wäre ein Stoff, der wenn ich ihn sammle, sortiere, wiederaufbereite und dann verkaufe, einen höheren Erlös hat als der Prozess, den ich eben beschrieben habe. Das haben wir in Zeiten, wo die Papierpreise sehr hoch sind, beim Papier. Das gibt es bei bestimmten Metallen, aber dann hört es auch schon wieder auf. Die Realität bei den anderen Dingen, also sowohl bei den Verpackungsmaterialien als auch den entsprechenden ist, dass der Behandlungsprozess ein Vielfaches von dem kostet, was ich erlöse. So dass ich immer eine Finanzierung brauche. Also mit anderen Worten, Sie haben sicher noch nie gehört, dass die gelben Säcke geklaut werden."
Trotz allem: Auch aus dem, was nicht recycelt wird, ziehen die Berliner Entsorger noch einen Nutzen. Was in der Restmülltonnen landet, wird nach Ruhleben, einem Stadtteil am Rande Berlins, gefahren. Dort steht das Müllheizkraftwerk der Berliner Stadtreinigung.
"Hier vorne unser großes langes Gebäude das ist unser Müllbunker. Da wird der Müll von den Müllautos direkt abgekippt, wie er eingesammelt wird","
Der Ingenieur Gunnar Bessler ist einer der Schichtleiter.
""Von da wird der Müll mit einer großes Krananlage auf die Kesselanlagen aufgegeben. Das ist hier dieser mittlerer Teil. Im hinteren Teil ist dann die Rauchgasreinigung, wo die Rauchgase, die beim Verbrennungsprozess entstehen dann gereinigt werden."
Das Müllheizkraftwerk ist schon über vierzig Jahre alt und noch immer auf dem neuesten Stand der Technik. Die Abgasreinigung säubert die ausgestoßenen Gase soweit, dass das Kraftwerk deutlich geringere Schadstoffwerte aufweist als vergleichbare Kohlekraftwerke.
"Also wir werden hier jetzt gleich in die Krankanzel fahren. Da sieht man wie der Müll angeliefert wird, wie die Kranfahrer das auf die Kessel verteilen."
Was hier verbrannt wird – immerhin über eine halbe Million Tonnen Abfall pro Jahr – liefert Strom und Wärme für rund 100.000 Haushalte. Die Umwandlung erfolgt nicht bei der BSR selbst, sondern im benachbarten Steinkohlekraftwerk vis-a-vis. Über eine dicke Leitung wird der Wasserdampf aus dem einen Kraftwerk rüber in das andere Kraftwerk geleitet.
"Hier in der Reihe sehen Sie die großen Trichter. Das sind acht Stück an der Zahl. Da repräsentiert jeder Trichter einen Kessel. Das sind die sogenannten Müllaufgabetrichter. Also der Müll wird ja hier vorne an den Toren abgekippt von den Müllfahrzeugen, hier rin, die Kranfahrer nehmen das dann auf, mischen das ein bisschen durch, geben das dann auf die Kessel auf."
Zwei große Pilotensessel vor einer riesigen Glasscheibe. Joysticks links und rechts. Monitore über Monitore. Der Arbeitsplatz des Kranfahrers. Brennöfen und Roste hat er fest im Blick. Er sieht, wie gut die Öfen gerade brennen. Das variiert, je nach, Zusammensetzung des Mülls. Gunnar Bessler:
"Es ist wichtig, dass der Müll gut gemischt wird. Wenn hier manchmal so eine Monocharge sag ich mal irgendwie Styropor, irgendwie solche Kartons kommen und die in einem rauf geschmissen werden, dann macht es im Kessel einmal Puff und dann ist alles weg und dann verbrennt das mit einem Schlag und ... hat man einen ziemlichen Leistungseinbruch. und deshalb sehen die Kranfahrer hier auch immer wie das Feuer aussieht."
Wir verlassen die Krankanzel. Gehen zum Schlackebunker.
"Der verbrannte Müll, der noch auf dem Rost liegen bleibt, was nicht mehr brennt, die Schlacke, inertes Material, fällt am Ende des Kessel in einen so genannten Presskolben-Entascher, das ist erstmal ein Wasserbad. Das heißt, der Müll wird da runtergekühlt. Denn er ist ja noch glühend heiß vorher. Wird dann langsam raus geschoben mit einem Hydraulikstempel und fällt dann auf ein Band und wird dann hier, man sieht da die Enden von den Schlackebändern, fällt dann in diesen Bunker rein. Dieses graue Zeug das ist die Schlacke, wie sie aus dem Kessel kommt. Da sehen Sie auch unseren Kran. Der kommt da gerade an. Der schnappt sich dann Schlacke, was er jetzt auch macht, und fährt den dann in die Mitte. Da gibt es einen großen Trichter. Das geht dann rüber in unsere Schlackeaufbereitung und da werden dann Eisen und Nichteisenmetalle aussortiert. Jawoll Der macht jetzt noch voll den Greifer und fährt dann zur Mitte, gibt das auf und dann wandert die Schlacke rüber zu unserer Aufbereitung. Die Eisen- und Nichteisenmetalle, die werden verkauft. Die werden verwertet. Grobteile werden vorher abgeschieden, die landen im Container. Der Rest geht rüber."
... rüber in die Aufbereitungsanlage Gunnar Bessler. nennt sie scherzhaft Nugget-Maschine. Sie sortiert verschiedenste Metalle aus der Schlacke aus.
"So dieser Turm hier. Das ist unsere Schlackeaufbereitung. Hier werden die ganzen Eisen- und Nichteisenmetalle abgeschieden. Und man sieht schon die Riesenschrottberge hier. Alles was von diesem Band dort runterpurzelt das sind Eisenmetalle. Also Schrott. Die mit großen Magneten, Überbandmagneten aussortiert werden. Unsere Nichteisenmetalle die landen da hinten in so einem kleinen Container. Unsere Nuggetmaschine. Das sind ... über so Wirbelstromtrommeln. Da wird sozusagen ein Strom induziert. Das gibt dann auch ein magnetisches Feld und damit kann man die dann abscheiden. Im Grunde Nichteisenmetalle werden dadurch beschleunigt und fliegen dann so ein bisschen weiter in so eine andere Öffnung rein. Aber das hier nennen wir unsere Nuggetmaschine da das graue Gold das wir hier rausholen, das ist also Aluminium, Kupfer, all solche Sachen, die im Verbrennungsprozess anfallen."
Ob Eisen- oder Nichteisenmetalle: Die aussortierten Brocken bringen bares Geld. Sie werden an Hütten verkauft und dort wieder zu verwertbaren Rohstoffen aufgeschmolzen. Nur was, wenn auch Kleingeräte und Elektronik in die Anlage kommen? Deren nahezu homöopathisch verteilten, aber sehr wertvollen Rohstoffe wären dann verloren. Auch die orangene Tonne wird daran wohl nur wenig ändern.
"Man kann mit Sortiertechnik heute relativ viel machen, es gibt aber auch ganz klare Grenzen der Sortiertechnik. Als Faustregel können Sie sagen, je mehr sehr heterogene Gerätegruppen miteinander vermischt werden, desto anspruchsvoller wird die Sortiertechnik. Ein plakatives Beispiel ist, wenn Sie Handys zum Beispiel mit Bohrmaschinen und Toastern und sonstigen Sachen vermischen würden in einer gemeinsamen Erfassungstonne. Dann spielen erstens mengenmäßig die Handys darin wahrscheinlich eine relativ geringe Rolle. Und dann ist die Chance, dass so etwas entweder manuell oder auch mechanisch mit einem hohen Wirkungsgrad aussortiert wird, relativ schlecht","
erklärt Christian Hagelüken vom Unternehmen Umicore eines der Probleme beim Elektronik-Recycling. Dabei könnten Handys und andere hoch entwickelte technische Geräte theoretisch eine wichtige Quelle für begehrte Rohstoffe werden. Allein rund 72 Millionen Mobiltelefone sollen in deutschen Schubladen lagern, so eine Studie des Branchenverbandes Bitkom aus dem vergangenen Jahr. Weltweit sollen es mehrere Milliarden Alt-Handys sein.
""In Summe haben die Handys eine sehr große Ressourcenrelevanz, vor allem für Edelmetalle und für Kobalt. In Summe stecken in den 1,6 Milliarden Handys, die in 2010 weltweit verkauft worden sind auch ganz erhebliche Werte drin."
Wenn man nun bedenkt, dass in einem Handy Gold, Palladium und viele weitere wichtige Elemente stecken, dann muss dieser Alt-Handy-Berg ja die reinste Goldgrube sein – im wahrsten Sinne des Wortes. Doch Christian Hagelüken dämpft die Euphorie.
"Wenn ich das runter breche auf das einzelne Handy, ist in dem einzelnen Handy ein relativ geringer Wertinhalt. Der liegt heute in der Größenordnung ungefähr von ein Euro bis1,20 Euro Bruttowert für ein Handy. Das heißt, ein Container Handys oder eine Tonne Handys, die bei uns im Werk anlandet, hat einen durchaus positiven Wertinhalt, der bei aktuellen Preisen und normaler Qualität irgendwo zwischen 10.000 und 12.000 Euro die Tonne liegt. Das ist erstmal sehr viel. Aber um eine Tonne Handys zusammenzukriegen brauchen sie auch zehntausend Stück und mehr."
Betrachtet man aber die gesamte Sammelkette und deren Kosten, bleiben vom eigentlichen Handy- beziehungsweise Rohstoff-Wert lediglich ein paar Cent. Ein Anreiz, den wohl keinen Alt-Handy-Besitzer zur Abgabe seines geliebten Stücks Technik bewegt. Deswegen fordert Christian Hagelüken intelligente, kreative Geschäftsmodelle, die sicherstellen, dass ausrangierte Geräte zu ihm kommen.
"Was sich beim Handy anbietet, weil es ja auch eine relativ geringe Nutzungsdauer hat, ist schlichtweg einen Pfand einzuführen. Wenn sie auf den Handy-Verkaufspreis irgendwo noch einen Pfand in Höhe zwischen zehn und 20 Euro drauf legen, dann wird das kein Mensch mehr in die Mülltonne schmeißen."
Spezialisierte Unternehmen wie Umicore gewinnen zurück, was Physik und Chemie derzeit zulassen. Ein hoch komplexer Prozess. Am Anfang steht der Mensch. Christian Hagelüken:
"Entnahme eines Akkus aus einem Handy, Entnahme eines Motherboards aus einem PC, das geschieht häufig manuell und das ist auch sinnvoll, weil einfach die Selektion manuell sehr viel leistungsfähiger ist, als bei mechanischen Verfahren. Wenn bestimmte Wertstoffe und Schadstoffe manuell abgetrennt worden sind, dann erfolgt in der Regel ein mechanischer Aufschluss und das bekannteste Gerät dafür ist ein Schredder, da gibt es unterschiedlichste Ausprägungen."
Ein Schredder ist in erster Linie nichts anderes als ein Gerät, das die Elektrogeräte zu feinen Stücken zerkleinert. Die zerkleinerten Geräte werden dann aufwändig sortiert. Eine Magnettrennung kümmert sich um eisenhaltige Komponenten, eine Wirbelstromscheidung um die nicht eisenhaltigen. Auch eine Dichtetrennung oder optische Sortierverfahren werden eingesetzt. Ziel der Verfahren ist immer, die Stoffe in die jeweils am besten geeigneten stoffliche Recyclingschiene zu führen. Hagelüken:
"Das ist nicht eine Schiene, sondern da gibt es drei Hauptwege. Ein wichtiger Hauptweg ist der Stahlweg. Also im Prinzip das Stahlwerk, wo Stahlfraktionen nach über Jahrhunderte entwickelten und optimierten Technologien entsprechend wieder recycelt werden können zu neuen Stählen. Der zweite wichtige Schritt ist der Aluminiumweg. Also aluminiumhaltige Fraktionen, hochaluminiumhaltige Fraktionen in eine Aluminiumschmelze reingehen. Und der dritte Weg und das ist eigentlich der komplexeste Weg, ist die Kombination aus Kupfer, Edelmetallen und Sondermetallen."
Umicore hat sich auf die Edelmetalle, Sondermetalle und auch auf Kupfer und Blei spezialisiert. Die werden zum Beispiel aus Leiterplatten gewonnen.
"Der erste Schritt bei uns in der Anlage nach der erfolgten Probennahme ist, dass diese Leiterplatten mit vielen anderen edelmetallhaltigen Materialien zum Beispiel Autokatalysatoren in einem Hochofenprozess eingeschmolzen werden. Und das passiert bei Temperaturen von rund 1200 Grad."
So ein Ofen sieht beeindruckend aus. Allein seine Maße. Der Ofenkörper ist 15 Meter hoch und hat einen Durchmesser von vier Metern. Darüber sitzt dann die Abgasreinigung. Gesamthöhe des Gebäudes: 40 Meter.
"In diesem Hochofenprozess erfolgt eine Aufschmelzung des Materials und Ziel der Aufschmelzung ist, eine Trennung zu erreichen zwischen Kupfer und bestimmten Metallen, die sich in das Kupfer reinlegieren und anderen Metallen und Inertstoffen, die sich in einer Schlackephase abscheiden. In dem Fall kann man sich die chemisch-metallurgischen Eigenschaften zu Nutze machen, dass sich Edelmetalle sehr eng und gern mit Kupfer verbinden. Das heißt, beim Aufschmelzen sinkt das spezifisch schwerere Kupfer auf den Boden des Ofenkörpers und nimmt Edelmetalle und ein paar Sondermetalle mit, während keramische Bestandteile, aber auch Eisenoxid, Aluminiumoxid oder auch Bleioxid zum Beispiel als Schlacke obendrauf schwimmen. Und wenn Sie dann den unteren Teil des Ofens aufmachen, also einen Abstich machen, dann können sie entsprechend das kupferhaltige Material mit den Edelmetallen entziehen und haben eine relativ hohe Aufkonzentration schon erreicht im Vergleich zu den Materialien, wie sie es vorher hatten."
Dieses Gemisch aus Kupfer und Edelmetallen wird dann in einem Wasserbad granuliert und fein gemahlen. Dann lösen die Arbeiter mit Schwefelsäure das Kupfer heraus und erzeugen ein Kupfersulfat.
"Dieses Kupfersulfat kann dann über einen elektrochemischen Prozess als Kupferkathode elektrolytisch abgeschieden werden. Diese Kupferkathode ist reines Kupfer, was entsprechend in den Markt verkauft wird. Für uns ist diese Kupfergewinnung aber eigentlich ein reines Vehikel um an die Edelmetalle ranzukommen. Und dieses Gemisch aus Edelmetallen und Halbmetallen und sonstigen Verunreinigungen, das geht in einen weiteren Schmelzprozess. Man spricht da von pyrometallurgischen Prozessen, um eine weitere Aufreinigung zu machen."
Als nächstes folgt die Edelmetallscheidung. Darunter versteht der Fachmann verschiedene hochkomplexe nasschemische Verfahren wie Fällungsreaktionen, Destillationsreaktionen oder auch Solventextraktion. Als Ergebnis werden aus dem grob abgetrennten Edelmetallkonzentrat hochreine Endprodukte der einzelnen Edelmetalle. Christian Hagelüken:
"Dann haben wir da noch die ganze Schlackephase. Diese Schlackephase ist noch kein Endprodukt, sondern diese Schlackephase läuft bei uns in einen zweiten Hochofenprozess rein. In diesem Hochofenprozess reduzieren wir das Bleioxid und andere Metalle in eine metallische Phase und nutzen hier jetzt Blei als Extraktionsmittel für Reste von Edelmetallen und für bestimmte Sondermetalle, die darin enthalten sind. Antimon zum Beispiel, Zinn, Wismuth geht mit dem Bleiweg mit."
Am Ende dieses Weges stehen wiederum hochreine Metalle und auch wieder eine Schlacke. Diese so genannte glasige Schlacke kann als Baustoff verkauft werden oder als Zuschlagsstoff für die Zementindustrie.
"Über diese Kombination aus schmelzmetallurgischen Verfahren und hydrometallurgische Verfahren können insgesamt eine sehr breite Palette an Metallen zurückgewonnen werden. In unserem Fall sind das 17 unterschiedliche Metalle."
Noch bremst die Thermodynamik die Forscher, die noch gerne mehr der verwendeten Metalle zurückgewinnen möchten. Denn je nach Verfahren geht mal das eine, mal das andere Metall in die Schlacke über.
"Zu diesen Elementen, die thermodynamisch technisch sehr anspruchsvoll sind, gehören auch Elemente, die heute relativ hoch in der Diskussion sind. Da gehören die seltenen Erden mit dazu. Da gehört zum Beispiel auch Tantal mit dazu. Diese Elemente sind heute relativ wertvoll, aber sie sind im chemischen Sinne sehr unedel. Das heißt, sie oxidieren sehr leicht. Und das führt dazu, dass, wenn sie in komplexen Gemischen vorliegen, dass sie in eine Schlackephase reingehen und aus dieser Schlackephase eigentlich auch nicht mehr rausreduziert werden können."
Sehr begehrt ist derzeit auch Lithium, da es vor allem in wiederaufladbaren Batterien wie für tragbare Computer und ganz aktuell für Elektroautos verwendet werden kann. Hagelüken:
"Im Forschungsstadium sind wir im Augenblick daran auch Lithium zurückzugewinnen. Und bei der Entwicklung der Lithiumabtrennung sind wir auf die Möglichkeit gestoßen, dass das eventuell auch geeignet sein könnte für seltene Erden. Jetzt lassen Sie uns erstmal diese Schritte nacheinander gehen. Da ist noch ein erheblicher Forschungsaufwand zu tun."
Urban Mining: Sinnvoll ist die Wiedergewinnung vieler chemischer Elemente allemal. Machbar ist sie in vielen Fällen ebenfalls. Doch ökonomisch betrachtet ist das Recycling vor allem der Hochelektronik noch lange nicht rentabel. Da rechnet sich das Ausheben einer Mine oft mehr. Und die Hausmülltonne? Die wird wohl noch sehr lange Zeit eine Hausmülltonne bleiben. Von der umworbenen Schatztruhe der Zukunftsvision ist sie noch weit entfernt.