Ein 600 Jahre alter Hammam im islamisch geprägten Stadtteil Fatih, am Goldenen Horn von Istanbul. Einer der ältesten Hammams der Stadt. Hier hat die Künstlerin Monica Bonvicini eines der ungewöhnlichsten Werke der diesjährigen Istanbul Biennale geschaffen: einen Nachbau der Kaaba, also des Allerheiligsten im Islam, bestehend aus schwarzen Gürteln. Gürtel, die sich zu einem Würfel organisieren und viele Fragen aufwerfen: Erotik, Einengung, Beschränkung, Mode, Bestrafung, Unterdrückung? Der Zuschauer hat die Wahl.
Keine leichte Zeit für Kunstschaffende
Dabei hat es die Kunst in der Türkei nicht leicht, schon gar nicht jetzt.
Es ist kein Geheimnis, dass Recep Tayyip Erdogan mit der zeitgenössischen Kunst eher wenig anfangen kann. Künstler, Schriftsteller und Theaterleuten beschimpft er gern als alkoholisiertes Kulturgesindel und wirft ihnen einen unmoralischen Lebensstil vor. Stattdessen träumt der Präsident von einer türkischen Nationalkultur.
Das bringt Bedri Baykam auf die Palme, das kampferprobte Enfant terrible der türkischen Kulturszene. Der Wuschelkopf mit den grau-schwarzen Locken ist Präsident des türkischen Künstlerverbandes und der internationalen Künstlervereinigung der UNESCO.
"Es gibt bei uns jede Menge Selbstzensur. Unsere Karikaturisten dürfen nicht mehr zeichnen, wie sie wollen, Theaterleute gehen Risiken ein. Unsere Maler und Regisseure halten sich an selbst auferlegte Grenzen. Das ist furchtbar. Die Türkei hat in der Vergangenheit rechtsgerichtete Politiker gehabt wie Demirel oder Erbakan. Aber hier finden wir uns einer Gruppe von Leuten gegenüber, die jeden ins Gefängnis werfen wollen."
Bedri Baykam wirft ein Buch auf den Tisch - sein achtundzwanzigstes, sagt er. Es heißt übersetzt "Nein zur Ein-Mann-Diktatur" und ist gerade erschienen, im Buchhandel frei erhältlich.
"Oppositionelle Haltung eher indirekt"
Was aber verbirgt sich hinter dem Biennale-Motto "A good neighbour", von dem überall in der Stadt Plakate hängen? Lange wurde darüber spekuliert, was sich die beiden skandinavischen Kuratoren Elmgreen und Dragset dabei wohl gedacht haben mögen? Ist die Türkei ein guter Nachbar? Soll das hier eine naive Art Wellness-Biennale werden? Oder steckt dahinter eine politische Botschaft? Kurator Dragset:
"Keiner der von uns eingeladenen Künstler kritisiert direkt die politischen Ereignisse des letzten Jahres. Es sind ruhige Stimmen. Die Künstler wollen zusammenzukommen, neue Stärke finden und eine oppositionelle Haltung vertreten. Das geschieht nicht plakativ, eher indirekt, in einer poetischen Sprache. Aber die Ausstellung gibt ein ganz anderes Bild ab als das, welches die Regierung sehen würde."
Wer genau hinschaut, bemerkt durchaus Veränderungen im öffentlichen Raum. Was machen zum Beispiel diese weißen, eleganten, aus Porzellan bestehenden Überwachungskameras in den Straßen von Istanbul? Sie stammen von der Künstlerin Burcak Bingöl und sind mit Blumenmotiven verziert, wie sie im Osmanischen Reich üblich waren.
Kunst als T eil eines Heilungsprozesses
Diese Porzellankameras funktionieren zwar nicht; aber sie werfen ein merkwürdiges Licht auf ihre Umgebung, stellen das System realer Überwachung infrage und blicken mit einem poetischen Auge auf die Welt. Kurator Dragset:
"Die Türkei geht durch eine schwierige Zeit. Dabei waren wir nicht mal sicher, ob die Biennale überhaupt stattfinden kann. Aber dann hatten wir ein Abendessen mit dem Nobelpreisträger Orhan Pamuk, und der sagte: Leute, rennt nicht weg, wir brauchen eure Hilfe. Kunst kann Teil eines Heilungsprozesses sein – und sie nimmt den Leuten die Angst."
Es hat auch Angriffe auf die Kunst gegeben. Auf der letzten Contemporary Istanbul, der größten Kunstmesse der Türkei, wurde eine Statue umgeworfen, wohl von einer Gruppe Jugendlicher, die islamistisch inspiriert waren. Es gab Übergriffe auf Galeristen im Stadtteil Topane, was wohl mit der Gentrifizierung zu tun hatte.
Ein Quadratmeter Freiheit
Einer, der sich um die Demokratie besonders verdient gemacht hat, ja der sogar ein Stück Demokratie ins Land gebracht hat, ist der oppositionelle Künstler Bedri Baykam. Er hat eine "Democracy Box" installiert, eine Bretterbude wie eine Telefonzelle, in der jeder tun und lassen kann, was er will.
"Ein Quadratmeter Freiheit. Man betritt diese Box, sie sieht aus wie eine Toilette oder eine Telefonzelle, und dann sieht man, dass ein Telefon drin ist. Jeder kann dort tun, was er will. Es sollen auch Pärchen hineingestiegen sein und sich geliebt haben. Oft haben sich die Leute verewigt. Ein Raum der Freiheit, wo man tun kann, was man will.
Als ich das 1987 zeigte, was das sehr provokant. Meine Freunde sagten mit, ich könne dafür ins Gefängnis kommen, es herrschten ja noch Notstandgesetze.
Ich habe das im Atatürk-Center gezeigt, das Erdogan jetzt zerstören will. Ich sagte: Ich nehme das Risiko auf mich, wer würde es sonst tun?"