Beten ist in der Hagia Sophia verboten, sowohl für Christen als auch Muslime - darüber wachen Ordner, und daran musste sich sogar der Papst halten, als er das Museum vor einigen Jahren besuchte. Sehr genau nahm es der türkische Staat bisher mit diesem Status der Hagia Sophia als Museum, doch nun liegt Veränderung in der Luft - das wurde spätestens beim Auftritt von Vizeministerpräsident Bülent Arinc klar, als der vor ein paar Tagen vor der Hagia Sophia auftauchte und sich an die Kameras wandte:
"Wir stehen hier im Vorhof der Hagia Sophia und spüren es in der Seele: Die Hagia Sophia spricht zu uns, sie will uns etwas sagen. Was sagt sie uns?"
Wer Bülent Arinc kennt, kann sich das denken, denn der hat in den vergangenen zwei Jahren schon zwei byzantinische Kirchen von Museen in Moscheen umwandeln lassen: die Hagia Sophia von Nizäa und die Hagia Sophia in Trabzon. Die Hagia Sophia in Istanbul galt bisher als unantastbar, schließlich zählt die byzantinische Reichskirche zum Weltkulturerbe. Fast dreieinhalb Millionen Besucher aus aller Welt zieht sie jährlich an. Doch während die überwiegend westlichen Besucher vor der Hagia Sophia anstehen, regt sich gegenüber in der Blauen Moschee schon länger der Unmut der späteren Erben. Bei der Predigt zum islamischen Opferfest brachte Mustafa Akgüz, der Chefprediger von Istanbul, diesen Unmut zum Ausdruck:
"Die Blaue Moschee ist heute brechend voll, aber die Hagia Sophia steht leer. Wie lange müssen wir noch warten, bis die Hagia Sophia uns wieder zum Gebet geöffnet wird? Eines Tages wird die Hagia Sophia wieder Moschee sein - das verkünde ich von diesem Festgottesdienst aus als unsere Forderung."
Als Chefprediger von Istanbul ist Akgüz ein Beamter des türkischen Staates – solche Forderungen verkündet er nicht als Privatansicht. Vor zehn Tagen folgte denn auch ein Gesetzesentwurf im türkischen Parlament, vorgelegt von dem Historiker und Abgeordneten Yusuf Halacoglu, der den Anspruch der türkischen Nationalisten auf die Hagia Sophia so begründet:
"Die Ayasofya ist das Symbol unserer Eroberung von Istanbul, das Symbol der Einnahme dieser Stadt durch die Türken. Deshalb muss sie uns wiedergegeben werden."
Halacoglu, der sich als langjähriger Vorsitzender der Türkischen Gesellschaft für Geschichte einen Ruf als Chefleugner der osmanischen Massaker an den Armeniern erworben hat, gehört der nationalistischen Opposition im Parlament an. Mit ihren Forderungen nach der Hagia Sophia sind die Nationalisten aber in der Türkei durchaus nicht in der Minderheit, sagt Geschichtsprofessor Mehmet Celik:
"Die Hagia Sophia ist nicht einfach eine Kirche oder eine Moschee, da geht es um viel mehr: Die Hagia Sophia ist ein nationales Symbol. Die Hagia Sophia verkörpert für uns Türken unsere nationale Unabhängigkeit und Souveränität. An dem Tag, an dem der Muezzin dort wieder zum Gebet ruft, werden den Menschen die Tränen in die Augen steigen – und zwar auch denen, die gar nicht zum Gebet zu gehen."
Populär wäre das Projekt in der Türkei durchaus – zu einer Demonstration nationalistischer Jugendverbände vor der Hagia Sophia reisten letztes Jahr hunderttausende junge Türken aus dem ganzen Land an. Bleibt noch die Rechtslage, immerhin geht der Regierungsbeschluss von 1935 auf Atatürk zurück. Eine gesetzliche Grundlage gebe es dafür aber nicht, argumentiert Vize-Ministerpräsident Bülent Arinc jetzt:
"Bisher war es in diesem Lande wohl möglich, Moscheen ohne gesetzliche Grundlage einfach zu Museen zu erklären. Aber jetzt gibt es eine neue Türkei. Ich blicke heute auf diese traurige Hagia Sophia und bin zuversichtlich, dass mit Gottes Hilfe bald glücklichere Tage beginnen."
Die griechische Regierung hat schon einmal Protest eingelegt. “Byzantinische Kirchen sind ein wesentlicher Bestandteil des kulturellen und religiösen Welterbes”, erklärte Regierungssprecher Konstantinos Koutras. Ihre Umwandlung in Moscheen sei "ein anachronistisches und unverständliches Vorhaben für ein Land, das der Europäischen Union beitreten will".