Beatrix Novy: Der Chaos Computer Club funktioniert jetzt seit 30 Jahren ganz unchaotisch. Wenn man die Anfänge bedenkt: Da machte der Club von sich reden mit Hackerangriffen, die die Verletzbarkeit von Computersystemen offenlegten. Inzwischen hat es der Club ja vom Robin-Hood-Image zum Mainstream gebracht?
Peter Glaser: Also, als Erfolg würde ich verbuchen, so ein Begriff wie Computernetz hat davor, ehe der Chaos Computer Club gezeigt hat, dass es solche Dinge überhaupt gibt, in der Öffentlichkeit gar nicht stattgefunden. Das heißt, eine Diskussion über Computer, Computersicherheit, vernetzte Computer, das war Anfang der 80er-Jahre noch eine sehr exotische Sache, hat der Chaos Computer Club praktisch initiiert und angeschoben. Ich muss dazu auch noch sagen: Zu der Anmerkung, dass das halb legale Aktionen waren, die damals stattgefunden haben, die waren überhaupt nicht im Bereich einer Legislative, es gab damals gar keine Gesetze, die auf das, was man heute als Hacken bezeichnet, zugreifen hätten können.
Novy: Da hat der Club also auch seine Verdienste, das alles bewusst zu machen. Mittlerweile ist die Gesellschaft ja in allen Lebensbereichen so digital organisiert, dass alle mitmachen, und man sieht ja auch, dass Computerzeitschriften zum Beispiel gute Umsätze haben, rauf und runter gelesen werden im Großraumwagen der ICEs. Aber glauben Sie, dass die tieferen Hintergründe der Technik nicht doch der neuen digitalen Klasse vorbehalten sind und dass die anderen da immer zurückgehen, also eine Mehrheit, eine große Mehrheit in dieser Gesellschaft? Oder würden Sie eher sagen, die Leute sind mittlerweile so gut aufgeklärt, dass ein wirklich kompetentes Mitdenken und Mitmachen in diesen Fragen drin ist?
Glaser: Ja und nein. Also es kommt immer darauf an, wie fein aufgelöst sie das jetzt wissen oder Know-how verstehen. Also, einen Computer zu verstehen bis in die Funktionsweise von einem Mikrochip hinein, das gehört sicher noch nicht zum Allgemeinwissen im Detail. Also, als in den 80ern der Chaos Computer Club begonnen hat, musste man praktisch jedes Mal, ehe man ein bisschen über Computer und über Datenfernübertragung, wie das damals hieß, gesprochen hat, die Grundlagen klären, was ist ein Bit, was ist ein Byte, was ist ein Computer, was ist ein Modem und so weiter und so fort. Und diese Dinge, da hat sich viel getan. In der Zwischenzeit ist es so, dass, sagen wir mal, die allgemeine Kenntnis über Informationstechnik schon einen ungleich höheren Stand hat als vor 20 oder 30 Jahren.
Novy: Trotzdem ist man ja auf professionelle Hilfe angewiesen, was ja auch den riesigen Wirtschaftszweig überhaupt erst befördert hat, der hinter der IT-Revolution steht. Und das ist ja auch gut so. Wenn man aber jetzt in dieser Situation die Aufforderung hört gegen die allgegenwärtige Gefahr der Überwachung, seine Mails zu verschlüsseln, Encryption, Encryption, Encryption, wie viele könnten das auf Anhieb ohne Support?
Glaser: Im Grunde genommen kann das jeder. Es ist dann nur eine Frage, ob man sich mal eine halbe Stunde hinsetzt und sich mit einem Verschlüsselungsprogramm, wo es in der Zwischenzeit auch wirklich welche gibt, die relativ einfach zu bedienen sind und allgemein verständlich.
Novy: Sagt der IT-Experte.
Verschlüsselung im Zweifelsfall wirkungslos
Glaser: Das sagt der IT-Experte. Und der IT-Experte sagt auch, dass Verschlüsselung in letzter Konsequenz auch, wie wir seit etwa einem Jahr um die Enthüllungen von Snowden im Detail wissen, wenig Sinn macht. Weil wir als sozusagen Anwender in letzter Konsequenz dem, was Geheimdienste wie die NSA an Ressourcen zur Verfügung haben, sowohl Menschen, die für die NSA arbeiten, ungefähr 33.000 der besten Mathematiker, die es auf der ganzen Welt gibt, und die Computerressourcen, die die zur Verfügung haben, gibt es, glaube ich, kein zweites Mal auf diesem Planeten. Im Grunde genommen ist es ein bisschen Don Quichote auch, wenn man heute verschlüsselt. Es ist seit den Enthüllungen von Snowden, was den Sinn und den Nutzen von Verschlüsselung angeht, in letzter Konsequenz eine gewisse Ratlosigkeit aufgetreten, die sich einfach in so einer Mischung aus Resignation und einer Ernüchterung oder einer großen Enttäuschung und in einem großen Vertrauensverlust dem Internet gegenüber, der elektronischen Kommunikation gegenüber ausdrückt.
Novy: Und welche Folgen sehen Sie darin?
Glaser: Das war schon ein Schock, muss ich sagen, weil sich ein paar andere Dinge herausgestellt haben. Also, man kann die Dinge, die jetzt in der Zwischenzeit sozusagen überwacht und kontrolliert werden, gar nicht mehr verschlüsseln. In den 90er-Jahren ging es noch, da gab es, als das Internet sich in der Öffentlichkeit so verbreitet hat, sogenannte Crypt Awards, also wo es um das Recht darauf ging, dass man als Individuum auch eine Kommunikation verschlüsseln darf, was zuvor ja ausschließlich den Geheimdiensten vorbehalten war, also auch das ganze Wissen, die Verschlüsselungsprogramme und so weiter, die waren sorgfältig von den Geheimdiensten gehütet. Und es gab damals zum ersten Mal so ein paar junge Kryptografen, die ihr Wissen quasi in die Öffentlichkeit getragen haben. Und in diesem Ringen in den 90er-Jahren ging es hauptsächlich darum, dass man Inhalte verschlüsselt, also dass niemand den Inhalt von unserem Telefongespräch abhören kann oder den Inhalt von einer E-Mail, die ich Ihnen schicke, lesen kann, wenn ich das nicht will und so weiter. Darum geht es im Grunde genommen heute gar nicht mehr, es geht um die sogenannten Metadaten, also die Daten, die sich zum Beispiel aus Verbindungsdaten aus der Sammlung von Information darüber, wann ich mit wem von wo aus wie oft in Kontakt getreten bin, diese sogenannten Metadaten, die kann ich nicht verschlüsseln.
Novy: Alles das, was also mögliche künftige Diktatoren interessieren könnte.
Glaser: Zum Beispiel, ja. Das ist natürlich eine Befürchtung, die immer im Raum steht. Also, dass Technologien entwickelt werden, dass Technologien in demokratischen Systemen entwickelt werden, die dann entweder an nicht-demokratische Systeme verkauft werden, das ist das Erste, was passiert, oder es kann auch sein, dass sich die Systeme irgendwann mal ändern und wir dann Algorithmen, Software-Kontroll- und -Überwachungssysteme haben, die nur mit demokratischer Kontrolle überhaupt einigermaßen vertretbar funktionieren und in einem System, das sich dazu entschlossen hat, nicht mehr demokratisch zu sein, zu einem ungeheuren Repressionswerkzeug werden können.
Novy: Die Bosse der großen Computerfirmen haben in den 90er-Jahren oder seit Steve Jobs – ich weiß es nicht genau – ihre Unternehmenstreffen als quasi religiöse Selbstfeiern inszeniert, so nach dem Muster evangelikaler Veranstaltungen. Damals hat man sich gefragt, wie weit die IT-Welt von der Religion entfernt ist. Hat sich das geändert, hat sich das normalisiert?
Glaser: Na ja, normalisiert insofern ... Es ist so offensichtlich, wenn man einen Menschen vor einem leuchtenden Computerbildschirm auf seinem Schreibtisch sitzen sieht, das Ganze als so eine Art Altarwinkel sofort auch zu erkennen, so eine Art Herrgottswinkel ... oder den aufgeklappten Laptop, den man vor sich hat, das ist sozusagen schon ein Inbild von Religiosität, Andacht und Versenkung, also einen Mensch mit einer gewissen Inbrunst, die man zum Beispiel auch bei Videospielen oder Programmierern in einem Maß findet, das wirklich sich nur noch in religiösen Extasen auf der anderen Seite irgendwo wiederfindet. Und das, worauf Sie anspielen, das hatte natürlich eine gewisse ironische Komponente, aber nur eine gewisse. Es ist einfach so, dass unsere westlichen Religionen, die christlichen Religionen ihre Aufgabe zunehmend weniger wahrnehmen, und es gibt wohl in jedem Menschen Bedürfnisse, die sich in einer Form, die wir als religiös bezeichnen, äußern, die aber einfach mit dem Bedürfnis zu tun haben, Dinge so intensiv wie möglich zum Beispiel zu betreiben.
Novy: Eine letzte Frage gilt einem Satz, den Sie selber geschrieben haben: Soziale Netze werden sich in Langeweile auflösen. Können Sie sagen, wann das sein wird?
" ... sehe ich Facebook wie so dieses Sortierförderband in einer Müllverbrennungsanlage"
Glaser: Ich hoffe, so bald wie möglich. Es ist doch so, dass, wenn ich gut gelaunt bin, dann nehme ich soziale Netze wie Facebook oder, was mir persönlich bedeutend mehr Spaß macht, Twitter – weil, ich bin Schriftsteller –, auf Twitter ist man auf 140 Zeichen Ausdruckslänge beschränkt, das heißt, dieses Twitter zwingt einen zum Dichten. Das Chaos, das man im Chaos Computer Club vergeblich sucht, das kann man auf Facebook finden. Es ist im Grunde genommen, wenn ich nicht so gut gelaunt bin, sehe ich Facebook wie so dieses Sortierförderband in einer Müllverbrennungsanlage, also wo noch mal der Müll sortiert werden muss aus Umweltschutzgründen vorher. Und bei Facebook ist es sozusagen ein Zwei-Wege-System, jeder schmeißt auf dieses Sortierband drauf, was er gerade nicht brauchen kann oder was ihm gerade in die Hand kommt, und umgekehrt nimmt man von dem Band eben wieder runter, ein bisschen wie auf dem Flohmarkt, was einen gerade anspricht. Da ist natürlich auch viel Banales mit dabei und es ist im Grunde genommen eine sehr, sehr eingeschränkte Form von menschlicher Kommunikation. Also, die sozialen Netze, speziell Facebook, sind sozusagen per se langweilig, weil sie nur eine sehr eingeschränkte Form von menschlicher Kommunikation zulassen. Das beste Beispiel ist der Daumen nach oben, das berühmte "Gefällt mir", das Facebook-Like, und was passiert, wenn zum Beispiel ein Mensch gestorben ist und das auf Facebook von jemandem bekannt gegeben wird und dann die Leute sozusagen mit einem kurzen Symbol versuchen, darauf zu reagieren, und alles, was ihnen übrig bleibt, ist ein Daumen-hoch-Symbol anzuklicken und zu sagen, gefällt mir!
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