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IT und Recht

IT.- Der schottische Anwalt Richard Susskind ist der neue Präsident der britischen "Gesellschaft für Computer und Recht". Susskind ist sehr IT-affin und sieht eine Zukunft dämmern, in der die meisten Rechtsstreits erst gar nicht vor Gericht kommen – weil sich vieles im Vorfeld via Internet regeln lässt.

Von Maximilian Schönherr |
    Die "Society of Computers and Law" gibt es seit der Computersteinzeit, nämlich seit 1973. Der schottische Anwalt Richard Susskind ist als Autor des provokativen Buchs "The End of Lawyers?" (Sind Anwälte überflüssig?") prädestiniert für die Leitung dieser Interessensvertretung. Er setzt sich seit längerem für eine Entschlackung der modernen westlichen Rechtssysteme mit Mitteln von Computertechnik und Internet ein.

    Im Strafrechtlichen gibt es bereits erste Ansätze, erzählt Susskind, nämlich Internet-Videokonferenzen zwischen dem Festgenommenen, der Polizei und dem Richter. Der Verdächtige wird nicht mehr dem Richter direkt vorgeführt, sondern vor eine Webcam gesetzt. Das spart nicht nur Transportwege und -kosten, sondern spart Zeit, beschleunigt das Verfahren, genauer: den Beginn des Verfahrens, wo es noch lange nicht um Recht oder Unrecht geht, sondern nur um die Entscheidung, ob diese Person wegen hinreichenden Strafverdachts in Untersuchungshaft geht oder nicht. Solche Videokonferenzen sind heute bei einigen englischen Polizei- und Gerichtsbehörden testweise installiert. Ein Problem mit dem Datenschutz, mit sicheren Verbindungen und so weiter sieht Susskind nicht, weil diese Anhörungen sowieso in der Regel öffentlich sind. Anders ist das im Zivilrecht.

    Aus der Experimentalphase heraus ist die Internetseite der britischen Justizbehörde "Possession Claim" – zu Deutsch: Besitzanspruch.

    Richard Susskind:

    "Das Portal ermöglicht es beispielsweise einem Hausbesitzer, Mietrückstände anzumahnen, ohne wirklich zum Anwalt und vor Gericht zu gehen. Er nutzt online die Infrastruktur des Gerichts, er bedient sich sozusagen auch der offiziellen Marke, des Gewichts dieser Behörde. Sein Web-Formular wird vom Gericht an die Gegenseite, also den Mieter weitergegeben, und der Dialog, der dabei entsteht, ist ein rein elektronischer. Kein Mensch dazwischen."

    Mietforderungen sind klare Beträge, über die es keine Diskussion gibt, höchstens über den Zeitraum des Nachzahlens. Was aber, wenn mir beispielweise Richard Susskind versehentlich mit seiner Bürotür mein Knie verletzt hat und ich von ihm 3000 Pfund Schmerzensgeld haben will, er das aber für völlig überzogen hält? Dafür brauchen wir Schlichtungsportale, wie es sie in den USA gibt.

    "Das funktioniert wie bei einer Blindwette. Wir beide melden uns bei einem ‚Blind- Bidding‘-Portal an, einigen uns auf sagen wir mal 30 Tage, in denen wir den Disput beigelegt haben wollen. Jeder nennt dem System dann, ohne dass es der andere sieht, wie weit er gehen würde – ich schreibe, wie viel ich bereit wäre, maximal an Sie zu zahlen; Sie tippen den Minimalbetrag ein, den sie bereit wären, gerade noch als Schmerzensgeld zu akzeptieren. Wir haben einen Monat Zeit, und wenn sich die Beträge dann irgendwann einmal nahe kommen, meldet das System uns beiden: Stopp, Euer Kompromiss ist gefunden!"

    Auf einer anderen Ebene betrachtet besagt das nichts anderes als: Was bin ich bereit, zu tun, damit dieses Problem endlich aus meinem Leben verschwindet? Die meisten Menschen wollen ja Auseinandersetzungen vermeiden, sie sind nicht scharf darauf, sie gerichtlich zu klären.

    Susskind nennt als Erfolgsbeispiel für Online-Schlichtung das amerikanische Portal "Cybersettle" mit inzwischen mehr als 200.000 Kunden. Aber selbst wenn sich der Streit nicht um Geld allein dreht, kann das Internet helfen, nämlich der Online-Mediator, einer realen Person, bei der sich beide Streitparteien online anmelden.

    Und in den sozialen Netzen wie LinkedIn und Facebook sieht Richard Susskind ein besonders hohes Potenzial, in relativ großen Gruppen in relativ geschätzten Bereichen Konflikte zu lösen, lange bevor man überhaupt an einen Anwalt denkt.

    "Die Menschen sollten ihre sozialen Netze stärker dazu nutzen, ihre Sorgen direkter zum Ausdruck zu bringen, ihre Streits früher zu schlichten, und zwar auf informelle Weise, vielleicht mithilfe von Freunden oder Menschen in diesen Netzen, die sich mit dieser Art von Problem auskennen. So können wir eine Atmosphäre schaffen, wo es völlig unüblich ist, vor Gericht zu gehen – anders als in den USA also, wo das zum Alltag gehört."