Spätestens, wenn man in der Einsatzzentrale in Amatrice ist, merkt man, dass hier immer noch der Ausnahmezustand herrscht. Das Erdbebengebiet ist auch einen Monat danach immer noch eine militarisierte Zone. Deshalb gehen hier Soldaten, Zivilschutz, Feuerwehr ein und aus.
Zeltstädte sollen abgebaut werden
Über 3.000 Menschen müssen noch versorgt werden. Viele von ihnen leben immer noch in einer der elf Zeltstädte, die es in der Gegend gibt. Doch die Zelte sollen abgebaut werden, sagt Marco Agnoloni, vom italienischen Zivilschutz:
"Klar, dass das Wetter uns zwingt. So schnell wie möglich, in einigen Tagen, müssen wir die Zelte aufgeben. Dann haben wir die Gewissheit, dass alle, die jetzt im Zelt leben, besser untergebracht sind. Und dann ändern sich die Ziele: Dann können wir so schnell wie möglich die provisorischen Häuser aufbauen, und da lebt es sich dann am besten, solange der Wiederaufbau noch nicht fertig ist."
Kurz gesagt: Der Platz, auf dem die Zelte jetzt stehen, wird zum Bau der neuen Häuser gebraucht. Doch bis die fertig sind, werden noch sechs oder sieben Monate vergehen. Viele müssen sich jetzt entscheiden, ob sie in der Zwischenzeit selbst versuchen unterzukommen, oder ob sie staatliche Hilfe annehmen und zum Beispiel in einem Hotel an der Adriaküste überwintern.
Psychische Probleme nach dem Erdbeben
Am Ortsrand, nahe der Schule, hat der Zivilschutz 50 blaue, große Zelte aufgestellt. 160 Menschen wohnen noch hier, rund 100 haben sich schon ein anderes Quartier gesucht. Aber Paolo Gatta, der die Anlage leitet, hat gemerkt, dass bei denen, die noch hier sind, die Stimmung nicht ganz einfach ist:
"Wir sind jetzt in einer anderen Phase, der unmittelbare Eindruck des Erdbebens ist weiter weg. Die zweite Phase ist manchmal komplizierter, denn die Menschen werden sich des Unglücks bewusst, dass sie durchlebt haben. Das ist ein psychologisches Problem und das hat starke Auswirkungen auf den Alltag."
Allein die Gemeinde Amatrice hat 69 Ortsteile auf einem riesigen Gebiet von 170 Quadratkilometern. Viele Straßen sind noch nicht passierbar. Überall stehen Polizisten und Soldaten – auch weil es schon zu Plünderungen gekommen ist.
"Es gibt viel Wut, denn sehr viel Menschen sind allein gelassen"
Der Einsatz des Staates ist das eine, aber dann gibt es in Amatrice und Umgebung auch jetzt noch viele freiwillige Helfer. Die "Brigade der Solidarität", die nach dem schweren Erdbeben von l’Aquila 2009 gegründet wurde, hat ein eigenes Zelt aufgebaut und verteilt Essen, Kleidung und Hygieneartikel. Mit einem Transporter versucht Matteo Mattavelli auch, das Nötigste zu den Menschen zu bringen:
"Es gibt viel Wut, denn sehr viele Menschen sind allein gelassen, was die Hilfe vom Staat angeht. In den verschiedenen Ortsteilen sagen sie uns: Mal abgesehen von den ersten zwei, drei Tagen haben sie niemanden mehr gesehen, der gekommen ist, vielleicht auch einfach nur um zu fragen, wie es geht. Die Leute sind wütend und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen und was jetzt passiert. Die sind allein gelassen."
Vom Bürgermeister zum Krisenmanager
Sergio Pirozzi, der Bürgermeister sieht das ganz anders. 600 Euro bekommt er als Entschädigung für sein Amt, aber seinen Job als Fußballtrainer hat er an den Nagel gehängt, denn er kann zur Zeit nur Krisenmanager sein, rund um die Uhr. Pirozzi glaubt an den Wiederaufbau von Amatrice – auf wenn es bis dahin noch ein paar harte Entscheidungen geben wird:
"Es ist hart. Aber ich glaube, es ist nicht wichtig, eine Schlacht zu gewinnen, wir müssen den Krieg gewinnen. Das ist ein langer Weg, wir brauchen starke Nerven. Ich zwinge mich immer zu sagen: Ich will keinen Gedenktag. Denn nach dem Tod kommt immer das Leben. Und: Wir sind keine Erdbebenopfer, wir sind nur für eine gewisse Zeit ausquartiert."
Deshalb wird einen Monat nach dem Erdbeben nur eine Messe gefeiert. Und am Sonntag wollen sie einen Gedenkstein errichten. Dann sollen nach dem Willen Pirozzis drei Fahnen wehen: die von Amatrice, die Italienische und die der Gesellschaft der "Schönsten Dörfer Italiens". Amatrice soll irgendwann wieder dazugehören. Aber es wird noch lange dauern.