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Italien
Auch ohne Berlusconi geht die Regierungskrise weiter

Enrico Letta ist Italiens Regierungschef, viel zu sagen hat er dennoch nicht. Die aktuelle Politik wird vor allem von Protagonisten bestimmt, die nicht als gewählte Abgeordnete im Parlament sitzen.

Von Jan-Christoph Kitzler |
    Enrico Letta ist zwar Italiens Regierungschef, aber es scheint, als ob er mit dem politischen Geschehen seines Landes zurzeit nur relativ wenig zu tun hat. Von Reformen ist zwar einmal wieder viel die Rede – aber sie kommen nicht aus der Regierung.
    Matteo Renzi, der Bürgermeister von Florenz und neue Chef der größten Regierungspartei PD, die auch Lettas Partei ist, gibt das Tempo vor. Und wenn es noch eines Beweises dafür braucht, dass Letta inzwischen ein Getriebener ist, dann musste man Renzi am vergangenen Wochenende nur bei einem seiner vielen Talkshow-Auftritte zuhören. Da ging es um die Qualitäten von Enrico Letta:
    "Eine großartige Positionierung in der Außenpolitik. Wenn sich Enrico um die Außenpolitik kümmert, dann ist er einer der absolut Besten."
    "Er ist der Ministerpräsident, er soll den Job gut machen, und wir sind seine Fans. Aber das heißt nicht, dass wir ruhig bleiben müssen, bis er fertig ist. Wenn sie es in diesen neun Monaten nicht geschafft haben, ein neues Wahlgesetz zu machen, und wenn wir das jetzt machen – was ist daran so schlimm? Wir müssen einfach nur Tempo machen."
    Mit anderen Worten: Außenpolitik kann er, innenpolitisch kommt nicht so viel. Und deshalb hat Matteo Renzi jetzt sogar den Leibhaftigen ins Haus geholt. Wegen der Reform des Wahlrechts.
    Um Silvio Berlusconi war es in den letzten Wochen still geworden. Seit er aus der Regierung ausgestiegen war, seine Partei sich gespalten und er seine alte Forza Italia neu gegründet hatte. Jetzt hatte er am Largo Nazareno in Rom wieder mal einen großen Auftritt. Renzi sei Dank. Denn der hatte Berlusconi eingeladen, einen Kompromiss zum Wahlrecht zu finden. Dass es geändert werden muss, ist spätestens klar, seit die Richter es für nicht verfassungsgemäß befunden hatten.
    Berlusconi kam also zum ersten Mal in die Höhle des Löwen, in die Parteizentrale des Partito Democratico, Eier flogen, die Demonstranten riefen „Vergogna“, „Schande“, und hinterher konnte Berlusconi mal wieder den Staatsmann geben:
    "Die Einigung mit Renzi sieht ein neues Wahlrecht vor. Das für die Konsolidierung der großen Parteien sorgt und für Vereinfachung. Zusammen sind wir der Hoffnung, dass alle Parteien im Parlament dazu beitragen. Damit das Gesetz mit einer breiten Mehrheit schnell angenommen wird."
    Wenn es diese breite Mehrheit gibt, dann wird sie gesteuert von Protagonisten, die keine gewählten Abgeordneten sind. Renzi ist es noch nicht, er zieht es vor, weiterhin von außen Alarm zu machen. Berlusconi ist es nicht mehr, seit er verurteilt und aus dem Senat ausgeschlossen wurde. Auch Beppe Grillo übrigens, der dritte Protagonist, sitzt nicht im Parlament. Er steuert seine Fünf-Sterne-Bewegung, die bei der letzten Wahl immerhin auf 25 Prozent der Stimmen kam von außen in der Totalopposition. Insofern ist die Kritik von Sebastiano Barbanti, eines der Fünf-Sterne-Abgeordneten, etwas seltsam:
    "Das Wahlrecht wird auf einer Ebene diskutiert, die sich von der unterscheidet, wo es normalerweise diskutiert werden müsste, nämlich im Parlament. Und von Leuten, die nicht mal im Parlament sitzen. Und dann muss man sich anschauen, wie es dazu gekommen ist: wir haben 20 Jahre gebraucht, um Berlusconi aus dem Senat zu werfen. Und Renzi lässt Ihn durch das Fenster wieder herein."
    Enrico Letta ist derweil außen vor. Vielleicht muss er schon bald seine Regierung umbauen, denn fast alle Minister sind angeschlagen. Landwirtschaftsministerin Di Girolamo wird vorgeworfen, Personalentscheidungen im Gesundheitssystem ihrer Heimatstadt illegaler Weise beeinflusst zu haben. Justizministerin Cancellieri soll Einfluss auf Entscheidungen der Justiz genommen haben. Finanzminister Saccomanni wird für Steuerchaos verantwortlich gemacht und der Stellvertretende Regierungschef Alfano hat bei der Abschiebung der Frau und Tochter eines kasachischen Dissidenten.
    Müssen Minister ausgetauscht werden, gibt es vermutlich ein Hauen und Stechen in der Regierungskoalition. Doch egal mit welchem Personal: Alle gehen davon aus, dass Enrico Letta bis auf Weiteres weiter machen darf. Zumindest solange, bis die italienische EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte überstanden ist.
    Vermutlich ist das auch egal – denn die Politik in Italien wird zurzeit woanders gemacht.