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Italien
Ausstellung rückt Einzelschicksale von Flüchtlingen in den Fokus

Das Migrationsphänomen wird oft als Strom, Flut oder Welle und somit quasi als Naturgewalt dargestellt, dadurch verschwimmen die Einzelschicksale. Das Meeresmuseum Galata in Genua versucht, mit einer interaktiven Ausstellung dagegen zu wirken. Mit Erfolg: Aus dem Konzept der Ausstellung soll bald das italienische Migrationsmuseum entstehen.

Von Jan-Christoph Kitzler |
    Flüchtlingsunterkunft in Rom
    Die Ausstellungsmacher sehen in der Einwanderung vor allem eine Chance. (picture alliance / dpa / Foto: Vincenzo Tersigni / Eidon)
    Vielleicht kann es so eine Ausstellung nur in einer Hafenstadt geben, wo schon immer die Fremden kamen und gingen. In Genua, kommen schon seit Jahrhunderten die Schiffe aus der ganzen Welt an – und mit ihnen die Menschen von überall. Und es tut ganz gut, in einer aufgeheizten Diskussion, in der unschöne Worte wie "Migrationswellen" oder "Flüchtlingsströme" die Runde machen, in der von einer "Flut" die Rede ist, wie von einer biblischen Plage, sich zurückzulehnen und zurückzublicken. Denn das, was da gerade passiert, ist kein Ausnahmezustand, eher ein Normalfall der Geschichte, sagt Pierangelo Capodonico, der die Ausstellung konzipiert hat:
    "Wir reden nicht einfach nur über Aus- oder Einwanderung, sondern wir sprechen von Migration. Das ist der Motor für unsere Gesellschaft, ob uns das nun passt oder nicht. In der Geschichte der Menschheit spielt Migration eine sehr wichtige Rolle. Das heißt, wir müssen raus aus den alten Schemata – wir sprechen von Migranten."
    Um es gleich vorweg zu sagen: Es wird nichts beschönigt. Die Zahl der Einwanderer ist in Italien gerade in den letzten Jahren massiv angestiegen, auf jetzt rund sechs Millionen Menschen, also zehn Prozent der Bevölkerung. Seit 1973 schon ist Italien kein Auswandererland mehr, sondern ein Einwandererland. Aber es bleibt nicht bei diesen Nummern.
    Die interaktive Ausstellung im alten Hafen von Genua lässt die einzelnen Menschen zu Wort kommen, ihre Schicksale, ihre Hoffnungen, ihre Traditionen. Das geht nahe, das rückt vieles ins rechte Licht, das lädt ein zu unterscheiden:
    "Indem wir ihre Probleme sehen, ihre Geschichten erzählen, denken wir auch über die Probleme der Integration nach. Wo haben wir nicht genug getan, wo war die Gesellschaft zu wenig aktiv, aber auch: Wo gab es wichtige Bemühungen, sei es von Seiten der Migranten sei es von Teilen der Gesellschaft, die um diese Menschen herum ein Netzwerk gebaut haben."
    Ausstellungsmacher sehen in Einwanderung eine Chance
    Die ewigen Pessimisten, die, die den Untergang des Abendlandes fürchten, werden das für naiv halten: Aber die Ausstellungsmacher sehen in der Einwanderung vor allem eine Chance. Da helfen dann die nackten Zahlen: In schnell alternden Gesellschaften wie in Italien, aber auch in Deutschland oder Japan, stellt sich die Existenzfrage. Wer zahlt die Renten, wer macht die Arbeit, wer kümmert sich um die Alten? Einwanderung ist alternativlos, könnte man sagen. Vor allem der große Teil der Einwanderung, der schon lange abläuft, bevor es die Dramen auf dem Mittelmeer gab, die neuen Zäune in Europa. Auch davor schon sind viele Einwanderer gekommen, und:
    "Sie sind dort geblieben, wo sie Lücken in der Gesellschaft füllen konnten. Vor allem bei Jobs von geringer Qualifikation. Und an manchen Orten hat die Migration die Einheimischen überlagert, die aufgegeben haben. Zum Beispiel gibt es Sikh-Einwanderer, die zu den besten Parmesan-Herstellern geworden sind."
    Vermutlich weil der Käse einer Kuh, die als heilig gilt, einfach besonders gut werden muss.
    In Genua wollen die Ausstellungsmacher die Normalität der Migration zeigen – zu der leider inzwischen auch die Katastrophen auf dem Mittelmeer gehören. Ein Konzept, das auch Italiens Regierung überzeugt. Schon bald soll aus der ambitionierten Ausstellung das italienische Migrationsmuseum werden. Das wird ein guter Ort für alle sein, die sich ohne Aufregung und ohne populistisch einfache Lösungen mit dem Thema auseinandersetzen wollen.