Neapel, Stadtviertel Scampia: 50 Prozent aller Erwachsenen sind hier ohne Arbeit, 70 Prozent aller jungen Leute. Mafiabosse kontrollieren das öffentliche Leben und viele junge Leute finden nur Arbeit im kriminellen Ambiente. Doch mitten im mafiadominierten Scampia existiert eine Realität, die mehr als nur ein Hoffnungsschimmer ist, erklärt Emanuele Ricci:
"Ich besuche die letzte Klasse der Berufsschule hier in Scampia, das Istituto Galileo Ferraris. Auch wenn ich den Berufsschulabschluss noch nicht in der Tasche habe, hat mir ein Werkzeugmacher in Turin, wohl aufgrund meiner guten Noten, bereits einen Arbeitsplatz angeboten. Die haben mich während eines "stage" in den Sommerferien kennengelernt."
Und anscheinend auch schätzen gelernt. Im kommenden Frühjahr erhält der dann 18jährige einen festen Arbeitsplatz als Werkzeugmacher in einem der führenden Unternehmen dieser Art in Italien.
Studieren, um den Absprung zu schaffen
Das Istituto Galileo Ferraris liegt mitten im problematischsten Stadtviertel Italiens. Der Schulweg in die Via Antonio Labriola ist nicht immer ungefährlich, berichtet Schülerin Lucia Canavese, 16 Jahre:
"Auch wenn es mir schwerfallen wird irgendwann Neapel und Scampia zu verlassen, ich kann hier nicht bleiben, wenn ich ohne Kriminalität leben will. Deshalb studiere ich hier, um den Absprung zu schaffen."
Vor Kurzem wurde die Berufsschule vom Bildungsministerium in Rom als, Zitat, "beispielhaft für Italien" gewürdigt. Rund 1.500 Schüler, 220 Lehrer, 77 Klassen in einem von außen herunter gekommen wirkenden Gebäude. Doch im Innern: hochmoderne Klassenräume und technische Ausbildungsgeräte.
Alfredo Fiore ist Ingenieur und Schulleiter:
"Das hier ist ein Laboratorium, in dem wir die Schüler nicht einfach nur mit technischem Wissen versorgen, sondern eng mit Unternehmen zusammen arbeiten, um den Schülern Praxiserfahrung zu bieten. Unternehmen kommen so in Kontakt mit hoch motiviertem und qualifiziertem Nachwuchs. Und: Wir ermöglichen es unseren Schülern, eigene Projekte der Öffentlichkeit und Unternehmen vorzustellen."
Wissen und Praxiserfahrung
Da ist zum Beispiel eine von Schülern gegründete Kooperative, die den Einsatz von Kleinrobotern in traditionellen Handwerksbetrieben fördert. Eine Initiative, die bereits die finanzielle Unterstützung eines amerikanischen Softwareunternehmens gefunden hat.
Im Unterschied zu den meisten Berufsschulen Italiens finden mehr als 70 Prozent aller Schulabgänger des Istituto Ferraris gleich einen weiterführenden Ausbildungs- oder Arbeitsplatz - vor allem weil sie Wissen und Praxiserfahrung mitbringen. Rund 25 Prozent der Schulabgänger schreiben sich an einer technischen Hochschule ein.
Informatik, Automation, Robotik, Elektronik: Das sind die Bereiche, in denen diese Berufsschule besonders stark ist. Wer hier einen Abschluss macht, braucht sich nur wenig Sorgen um seine berufliche Zukunft zu machen. Und so blickt der 16jährige Gennaro Puledri, der in Scampia aufgewachsen ist und sich auf Robotik spezialisiert hat, mit Hoffnung in seine Berufszukunft:
"Das hier ist ein Ort, an dem uns Wissen, Technik und verschiedene Anwendungsmöglichkeiten vermittelt werden. In Italien gibt es kein integriertes Bildungssystem, bei dem ein Ausbildungsplatz und die Berufsschule zusammen kommen. Man besucht eine solche Berufsschule und dann, das ist die Regel in Italien, sucht man lange oder vergeblich einen Job. Da wird viel wichtige Zeit verloren."
Das Istituto Galileo Ferraris könnte ein Vorbild für Italien sein. Doch dem ist nicht so. Auch die Reformregierung in Rom ist auf diesem Ohr taub. Und das, obwohl der italienische Unternehmensverband von sich aus ein integriertes Ausbildungssystem popagiert, also Berufsschule und Berufsausbildung zusammen, und sogar bereit wäre, dafür von eigene Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, um Berufsschülern in den Schulferien praxisorientierte "stages" zu vermitteln. Doch solange die Regierung keinen gesetzlichen Rahmen für so ein Ausbildungssystem schafft, sind auch dem Unternehmensverband die Hände gebunden.